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Vereinbarung Bayerns mit Preußen betreffend
die Festung Neu-Ulm vom 16. Juni 1874 und
durch Errichtung des Reichsmilitärgerichts (Mili-
tärstrafgerichtsordnung vom 1. Dez. 1898 und
Gesetz vom 9. März 1899) Einschränkungen der
bayrischen Militärhoheit gebracht. Erheblich weiter
gingen von Anfang an die Beschränkungen der
Militärhoheit Sachsens und Württembergs.
2. Die durch die Militärkonventionen dem
preußischen Kontingent einverleibten Truppen der
mittleren Bundesstaaten sind in besondern For-
mationen zusammengefaßt. Die Truppen aus
Baden bilden ein besonderes Armeekorps, die aus
Hessen eine besondere Division; die aus Mecklen-
burg, Oldenburg, Braunschweig, den thüringischen
Staaten und Anhalt sind in besondern Regimen-
tern und Batterien vereinigt. Solche besondere
preußische Truppenteile werden nach dem Bundes-
staate, aus dem sie stammen, benannt und tragen
die Abzeichen ihres Landes (Landeswappen am
Helm, Landeskokarde). Soweit Wehrpflichtige
aus den thüringischen Staaten und Anhalt in
den für sie bestimmten besondern Infanterieregi-
mentern keinen Platz finden oder zu andern Waf-
fen eingestellt sind, werden sie andern benachbarten
preußischen Truppenteilen zugewiesen. Den mei-
sten der hier angeführten Bundesstaaten ist in den
Militärkonventionen zugesagt worden, daß die
aus ihren Wehrpflichtigen gebildeten besondern
Truppenteile für die Dauer friedlicher Verhält-
nisse im Gebiet des betreffenden Bundesstaates
garnisonieren und daß andere Truppenteile in ihr
Gebiet nicht disloziert werden.
3. Die Wehrpflichtigen aus Schwarzburg-
Sondershausen, Waldeck, Schaumburg-Lippe,
Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg werden ohne
besondere Formationen für sie in preußische Trup-
penteile eingestellt. Um ihnen die Erfüllung ihrer
Dienstpflicht innerhalb des Heimatstaates zu er-
möglichen, ist diesen Bundesstaaten zugesichert,
daß an bestimmten Orten ihres Gebietes preußi-
sche Infanterieregimenter garnisonieren. Eine
kleine Erinnerung an die ehemalige Kontingents-
herrlichkeit bildet die Landeskokarde, welche die
Wehrpflichtigen dieser Bundesstaaten neben der
deutschen Kokarde tragen (vgl. III 3).
III. Die militärischen Hoheitsrechte im Heer-
wesen sind zwischen Reich und Bundesstaaten,
Kaiser und Landesherren geteilt. Soweit nicht der
Zusammenhang mit einzelnen Gegenständen zur
Erörterung einzelner dieser Hoheitsrechte an anderer
Stelle dieses Artikels sowie in dem Artikel über
„Militärwesen“ zwingt, möge hierüber folgendes
hervorgehoben werden.
1. Die Ernennung der Offiziere eines
Kontingentssteht dem Kontingentsherrn zu (Reichs-
verf. Art. 66), damit auch die Versetzung, Beför-
derung und Entlassung der Offiziere. Es gibt nur
Offiziere des preußischen, bayrischen, sächsischen
und württembergischen Kontingents, keine „kaiser-
lichen“ Offiziere im deutschen Heer. Jedoch wer-
Staatslexikon. II. 3. Aufl.
Heerwesen.
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den der Höchstkommandierende eines Kontingents
sowie alle Offiziere, welche Truppen mehr als
eines Kontingents befehligen, und alle Festungs-
kommandanten vom Kaiser ernannt; auch ist bei
Generalen und den Generalstellungen versehenden
Offizieren innerhalb des Kontingents die Ernen-
nung von der jedesmaligen Zustimmung des Kai-
sers abhängig (Reichsverf. Art. 64, Abs. 2). Diese
Bestimmungen finden aber auf Bayern und Würt-
temberg keine Anwendung; in Württemberg ist
nur die Ernennung des Höchstkommandierenden
durch den Kontingentsherrn an die vorgängige
Zustimmung des Kaisers gebunden, und bezüglich
der Ernennung der Festungskommandanten wird
der Kaiser mit dem Kontingentsherrn sich vorher
„in Vernehmen“ setzen (Militärkonvention Art. 5
und 7). Sodann ist der Kaiser berechtigt, behufs
Versetzung mit oder ohne Beförderung für die von
ihm im preußischen Heer oder in andern Kontin-
genten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren
aller deutschen Kontingente zu wählen (Reichsverf.
Art. 64, Abs. 3). Dieses Wahlrecht des Kaisers,
welches auch gegen den Willen des Kontingents-
herrn ausgeübt werden kann, findet auf Bayern
keine Anwendung, ausgenommen die Offiziere in
der Festung Neu--Ulm, welche vom Kaiser auf
Vorschlag der bayrischen Regierung ernannt wer-
den (Ulmer Separatprotokoll vom 16. Juni 1874
Art. 2). Sachsen hat in seiner Militärkonvention
die Zusage erhalten, daß der Kaiser von seinem
Wahlrecht nur Gebrauch machen werde, wenn mit
der Verwendung des sächsischen Offiziers an der
vom Kaiser gewünschten Stelle eine Beförderung
verbunden ist (Nachtragsprotokoll zur Militär-
konvention vom 8. Febr. 1867). Mit Württem-
berg ist in der Militärkonvention vereinbart, daß
der Kaiser, wenn er einen von ihm zu ernennen-
den Offizier aus dem württembergischen Armee-
korps wählen will, sich mit dem Kontingentsherrn
vorher „in Vernehmen“ setzen wird (Militärkon-
vention Art. 7). In den Militärkonventionen mit
Hessen (Art. 4, Abs. 1 u. Art. 14, Abs. 2) und bei-
den Mecklenburg (Art. 5 u. Art. 6, Abs. 1 u. 4) ist
ausbedungen, daß die Offiziere außer den könig-
lich preußischen Patenten auch noch großherzog-=
liche Patente erhalten und ausschließlich das Prä-
dikat „Großherzoglich“ führen, auch daß zur Ein-
leitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens beie
großherzoglichen Untertanen die erforderliche Er-
mächtigung des Kontingentsherrn nur im Ein-
verständnis mit dem Landesherrn erteilt wird. Im
übrigen ist in den Militärkonventionen mit den-
jenigen Bundesstaaten, deren Truppen dem preu-
ßischen Kontingent einverleibt wurden, vielfach
vereinbart, daß bei allen bezüglich dieser Truppen
vom Kontingentsherrn verfügten Personalverände-
rungen die Wünsche der Landesherren tunlichste
Berücksichtigung finden sollen, daß den Landes-
herren die Ernennung ihrer Flügeladjutanten zu-
stehe, diese Ernennung aber der Genehmigung des
Kontingentsherrn unterliege, daß ferner die Kom-
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