Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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in Franlfurt a. M. vertauschte. Was Hegel in 
dieser Zeit vor allem beschäftigte, waren theologisch- 
philosophische und historisch-politische Probleme. 
Im Gegensatz zur lutherischen Orthodoxie seines 
Tübinger Lehrers Storr hatte er sich zunächst schon 
in Tübingen den Kantschen Religionsbegriff zu 
eigen gemacht, welcher die Lehre Jesu mit der auf 
das moralische Bewußtsein gegründeten autonomen 
Vernunftreligion gleichsetzte. Das in Bern ent- 
standene „Leben Jesu“ (1795), eine Art von 
Evangelienharmonie, in der alles Supranatura- 
listische übergangen ist und alle Reden und Er- 
eignisse ins Moralische umgesetzt werden, und eine 
kritische Schrift über die „Positivität der christ- 
lichen Religion“ (1796) gehören hierher (beide jetzt 
veröffentlicht; s. unten Literatur). Durch den Ein- 
fluß Schellings und durch eigene, der Schellings 
parallel gehende Entwicklung verändert sich seit 
der Übersiedlung nach Frankfurt dieser Stand- 
punkt. Der ethische Kritizismus macht einem schon 
länger vorbereiteten spekulativen Mystizismus 
Platz, der aus der Idee des unendlichen Lebens 
heraus eine pantheistische Welt= und Religions- 
anschauung aufbaut, nach der über die trennen- 
den Entgegensetzungen des Verstandes hinaus die 
Vernunft das Leben des Ganzen im Leben jedes 
Teiles erschaut. Diese seitdem bei Hegel fest- 
stehende pantheistische Religionsansicht beherrscht 
eine größere religionsphilosophische Schrift von 
1799, der ihr Herausgeber Nohl den Titel „Der 
Geist des Christentums und sein Schicksal“ ge- 
geben hat, sowie das fragmentarisch erhaltene 
„System“ von 1800.— Zu politischen und histo- 
rischen Erwägungen aber treibt das Zeitalter der 
Revolution. In Bern gibt ihm das Studium der 
absterbenden Oligarchie Veranlassung zu mehreren 
Aufsätzen, in Frankfurt schreibt er die von feinem 
politischem Sinn zeugenden Betrachtungen „Über 
die neuesten inneren Verhältnisse Württembergs, 
besonders über die Gebrechen der Magistratsver- 
fassung“ (1798), arbeitet an einem Kommentar 
zu Steuarts Staatswissenschaftslehre und beschäf- 
tigt sich mit einer „Kritik der Verfassung Deutsch- 
lands“, deren durchgearbeitete Entwürfe freilich 
erst dem Anfang des Jenaer Aufenthalts ange- 
hören und die infolge der politischen Ereignisse 
niemals zu Ende geführt wurde. 
Im Jan. 1801 begab sich Hegel nach Jena, 
wo damals Schelling wirkte, und wo er sich im 
Aug. 1801 mit einer Abhandlung über die Pla- 
netenumläufe als Privatdozent der Philosophie 
habilitierte. An die Offentlichkeit trat er zum 
erstenmal zugunsten seines Studiengenossen und 
damaligen Freundes Schelling mit der Schrift: 
„Differenz des Fichteschen und Schellingschen 
Systems“, und gab gemeinschaftlich mit Schelling 
1802/03 bis zum Abgange des letzteren nach 
Würzburg das „Kritische Journal der Philosophie“ 
heraus, worin er nebst verschiedenen andern Ab- 
handlungen auch eine rechtsphilosophische über 
die „wissenschaftlichen Behandlungsarten des 
Hegel. 
  
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Naturrechts“ niederlegte. Im Jahre 1805 wurde 
er außerordentlicher Professor; 1807 ließ er seine 
„Phänomenologie“ erscheinen, in deren Vorrede 
er zum erstenmal mit einem Angriff auf die 
Schellingsche Identitätslehre hervortrat, nach der 
Schlacht von Jena gab er seine Professur daselbst 
auf, versah 1807 die Redaktion der Bamberger 
Zeitung und erhielt 1808 durch Niethammers 
Einfluß die Stelle eines Gymnasialrektors in 
Nürnberg. Für die Schüler der höheren Klassen 
hielt er hier philosophisch-propädeutische Vorlesun- 
gen, ließ 1812/16 seine „Wissenschaft der Logik“ 
erscheinen, erhielt 1816 eine Professur zu Heidel- 
berg, veröffentlichte 1817 seine „Enzyklopädie der 
philosophischen Wissenschaften“ und schrieb in die 
Heidelberger Jahrbücher 1817 eine „Kritik über 
die gedruckten Verhandlungen der württember- 
gischen Landstände von 1815/16". Durch Minister 
Altenstein erhielt er 1818 einen Ruf an die Stelle 
Fichtes nach Berlin. Er folgte dem Rufe, weil 
er dafür hielt, der „Berliner Sand sei für die 
Philosophie eine empfänglichere Sphäre als Hei- 
delbergs romantische Umgebungen“. Er dehnte 
seine Vorlesungen nunmehr auch über Philosophie 
der Religion, des Rechts, der Geschichte, sowie 
über Geschichte der Philosophie und Asthetik aus, 
begründete eine zahlreiche Schule, gewann durch 
sein Ansehen in ministeriellen Kreisen einen be- 
deutenden Einfluß bei Anstellungen im Lehrfache 
und entfaltete durch die „Berliner Jahrbücher für 
wissenschaftliche Kritik“ von 1827 an auch im 
großen Publikum eine weitergehende Propaganda 
für seine Philosophie. 1821 hatte er seine „Grund- 
linien der Philosophie des Rechts, oder Naturrecht 
und Staatswissenschaft im Grundrisse“ erscheinen 
lassen, 1827 die 2. Aufl. der „Enzyklopädie“; zuletzt 
schrieb er noch eine „Kritik der engl. Reformbill“ in 
die Preuß. Staatsztg. Er starb am 14. Nov. 1831. 
. Darstellung der Rechtsphilosophie. 
Der geschichtliche Entwicklungsgang der 
Hegelschen Rechts= und Staatsphilosophie ist ein 
stetiger Reflex des geschichtlichen Entwicklungs- 
ganges, welchen das System Hegels im ganzen 
genommen. Die ursprünglichen Anschauungen des- 
selben bildeten sich aus unter dem Eindrucke der 
damaligen sowohl in religiöser wie politischer 
Beziehung so traurigen und unbefriedigenden Ver- 
hältnisse, unter dem bewegenden Einflusse der 
französischen Freiheitsideen und dem erregen- 
den Einflusse eines Montesquien, Rousseau, Les- 
sing, Kant, J. G. Fichte. In der Abhandlung 
„UÜber die neuesten inneren Verhältnisse Württem- 
bergs“ (1798) strebte er eine neue, den Zeit- 
anforderungen entsprechende Organisation der 
württembergischen Landstände an, damit das Volk 
endlich einmal „aus seinem Schwanken zwischen 
Furcht und Hoffnung, aus seiner Abwechslung 
von Erwartung und von Täuschung in seiner Er- 
wartung“ herausgerissen werde, und fährt weiter 
sort: „Wieblind sind diejenigen, die glauben mögen, 
daß Einrichtungen, Verfassungen, Gesetze, die mit 
 
	        
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