Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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und ein „System des röm. Zivilrechts“ (1827) 
schrieb. J. Saling in der Schrift: „Die Gerech- 
tigkeit in ihrer geistesgeschichtlichen Entwicklung" 
(1827), Sietze in der Schrift: „Grundbegriff 
preußischer Staats= und Rechtsgeschichte“ (1829), 
K. Fr. Göschel in den „Zerstreuten Blättern aus 
den Hand- und Hilfsakten eines Juristen“ (3 Bde, 
1832/42) und „Das Partikularrecht im Ver- 
hältnis zum gemeinen Recht und der juristische 
Pantheismus“ (1837), H. F. W. Hinrichs in 
den „Politischen Vorlesungen“ (2 Bde, 1843) 
und der „Geschichte der Rechts= und Staats- 
prinzipien seit der Reformation“ (3 Bde, 1848/52), 
E. Erdmann in den „Philosophischen Vorlesungen 
über den Staat“ (1851), im ganzen auch Adolf 
Lasson, welcher in seinem „System der Rechts- 
philosophie“ (1882) die Grundauffassungen Hegels 
teilt (ogl. ebd. §8 2, 26, 38), obwohl er ihm gegen- 
über die Staatsmacht auf ein Minimum einge- 
grenzt wissen will, namentlich auf wirtschaftlichem 
Gebiet (ebd. 88 28, 31 Nr 5 ff). 
Die Hegelsche Linke berief sich mehr auf den 
Geist als auf den Buchstaben der Hegelschen 
Rechtsphilosophie. Mit der religiösen Trans- 
szendenz eines überweltlichen Gottes und einer 
jenseitigen Unsterblichkeit der Menschenseele wollte 
die auch alle politische Transzendenz eines über 
dem Volke stehenden Staates beseitigt, letztere 
also in einen Volksstaat dieser oder jener Art 
hinübergeführt und umgewandelt wissen. Diese 
Linke wurde vorzüglich repräsentiert durch die von 
Arnold Ruge und Echtermeyer 1838 gegründeten 
Halleschen Jahrbücher, welche gegen alle und jede 
sowohl religiöse wie politische Romantik sich er- 
hoben, daher in Preußen verboten wurden, in 
Sachsen unter dem Titel „Deutsche Jahrbücher“ 
forterschienen, aber 1843 auch hier verboten wur- 
den. Im gleichen Sinne wirkten Bruno Bauer und 
dessen Bruder Edgar Bauer mittels zahlreicher 
Schriften theologischen und politischen Inhalts. 
Ein weiteres Stadium in diesem Prozesse be- 
zeichnet Max Stirner, welcher nicht wie L. Feuer- 
bach den Menschen und die Menschheit, sondern 
ihn wie die Vorgenannten überbietend den Einzel- 
menschen und jeden Einzelmenschen auf den Thron 
hob in dem Buche: „Der Einzige und sein 
Eigentum“ (1845). Endlich ist Ferdinand Las- 
salle, der Verfasser des „Systems der erworbenen 
Rechte“ (2 Bde, 1861), in zahlreichen Broschüren 
1863/64 als Vorkämpfer des demokratischen So- 
zialismus aufgetreten, indem er dem Allmachts- 
staate Hegels eine Wendung in den sozialistischen 
Volksstaathinüber gab. Auch Karl Marx und Fried- 
rich Engels haben bekanntlich zeitweilig stark unter 
dem Einfluß der Hegelschen Dialektik gestanden. 
Indessen waren die Träger der theologischen 
nicht immer auch Träger der politischen Linken. 
Zeuge dessen ist David Fr. Strauß nach dem Vor- 
gange des Meisters der Schule selber bzw. auch L. 
Feuerbach und C. L. Michelet. Dem ersteren gilt 
unter gewissen Umständen, wie sie z. B. in Europa 
  
Hegel. 
  
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gegeben sind, die konstitutionelle Monarchie als 
die beste Staatsform, obwohl an sich die demo- 
kratische Republik das Vernunftgemäße darstellt; 
jene repräsentiert dasptolemäische, diese das koperni- 
kanische System der Politik (Werke VIII 436). 
Für Michelet bildet die konstitutionelle Wahl- 
monarchie mit Einkammersystem auf Grund des 
allgemeinen Stimmrechts und mit bloßer Voll- 
zugsgewalt des Monarchen das Ideal des Ver- 
nunftstaates (Naturrecht II (1866) 166/212). 
(Von einer Darstellung des Hegelianismus in 
Italien und England sowie von den jüngsten Er- 
neuerungsversuchen in Deutschland, die sich auf 
die Rechts= und Staatsphilosophie nicht beziehen, 
kann hier abgesehen werden.) 
II. Würdigung. Wie die Darstellung der 
Hegelschen Rechtsphilosophie, so kann auch deren 
kritische Würdigung nur vom Ganzen des Sy- 
stems ausgehen. Wie das letztere die von Schel- 
ling vertretene organische Weltanschauung aufge- 
nommen und weitergeführt hat, so auch die 
erstere, indem sie den Atomismus und Mecha- 
nismus der älteren Naturrechtslehre durchbrach 
und Familie und Staat als sittliche Organismen 
im Gesamtorganismus des Universums auffaßte, 
ohne sie von unten auf, wie noch durch Kant 
und Fichte geschehen, konstruieren zu wollen. 
Wie im Ganzen des Systems vermöge der dia- 
lektischen Methode alles ineinander pulsiert und 
in stets fortschreitender Bewegung begriffen ist, 
so auch in der Rechtsphilosophie. Das äußere 
Rechtsleben pulsiert hinüber ins innere Leben der 
Moralität, das individuelle Leben der einander 
gegenüberstehenden Rechtspersonen ins allgemeine 
Leben der Familie, der bürgerlichen Gesellschaft, 
des Staates und der Kirche und geht in dasselbe 
zurück als in seine höhere Voraussetzung und bildet 
selber wieder dessen Voraussetzung, so daß im 
fortlaufenden Prozesse alles vermittelt und ver- 
mittelnd ist. Wie im Gesamtsystem dieser Prozeß 
fortläuft, bis er zu einem alle philosophischen 
Wissenschaften umspannenden enzyklopädischen 
Ganzen sich abgeschlossen, so auch die Rechts- 
philosophie, indem sie die formelle Rechtslehre 
und die Sittenlehre, die nationalökonomische Ge- 
sellschaftslehre und die Staatslehre in ihren Rah- 
men spannt, bevor sie ihn schließt. 
Im einzelnen begegnen uns gesunde, kernhafte, 
das Niveau der Zeit überragende, ja mitunter 
eine tiefe Auffassung bekundende Anschauungen: 
Hegel erkannte, um nur einiges zu erwähnen, 
ganz und gar, daß Familie und Ehe eine in 
sittlicher Notwendigkeit wurzelnde Bedeutung 
haben, also nicht der bloßen Willkür eines Ver- 
trages ihr Dasein verdanken. Er wußte auch die 
Bedeutung der Korporationen vollauf zu wür- 
digen; hatten sie nach ihm vormals auch eine zu 
große Selbständigkeit und Befestigung gewonnen, 
so wurden sie durch die französische Revolution 
doch mit Unrecht hinweggefegt, um einer unorga- 
nischen, zersplitterten Gesellschaftsmasse Platz zu
	        
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