Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Das Eigentum entsteht durch Zueignung (Ok- 
kupation) und in gesteigertem Maße durch Be- 
arbeitung (Formierung) und durch Bezeichnung. 
Hegel stellt den betreffenden Prozeß so dar, als 
ob zunächst nur eine Person auf Erden existierte, 
und läßt sie durch Zueignung zur Eigentümerin 
werden und will das Verhältnis dieser Person zu 
andern Rechtspersonen in der Eigentumslehre nur 
„antizipieren“ (Philos. des Rechts 8 51). Er sieht 
sich jedoch durch die Natur der Sache oftmals zu 
solchen Antizipationen getrieben, z. B. wo er über 
Priorität des Rechtsbesitzes, über Gleichheit der 
Menschen, Sklaverei, Verjährung des Besitzes usw. 
handelt (da. a. O. S 49, 50, 57, 64), ohne je ex pro- 
kesso dieses Verhältnis zu andern Rechtspersonen 
dialektisch abzuleiten und in gehörige Beachtung 
zu ziehen. So kommt es denn, daß er das Eigen- 
tum immer nur entstehen läßt durch Zueignung 
und weiterhin durch Bearbeitung und Bezeichnung 
von seiten eines einzelnen. Ist es auch (vgl. d. 
Art. Eigentum) zuzugeben, daß es ein Mein geben 
könne ohne ein Dein, daß eine Einzelperson, z. B. 
ursprünglich Adam, nicht bloß ein Erhaltungsrecht 
(ius personale conservationis), wie manche 
wollten, sondern auch ein Eigentumsrecht (ius 
dominü3) besitzen könnte und könne, so ist ander- 
seits doch, was von Hegel nicht gehörig geschehen, 
in Berücksichtigung zu ziehen, daß ein Eigentums- 
recht ursprünglich nicht bloß durch Okkupation, 
Formierung und Bezeichnung eines einzelnen oder 
mehrerer einzelner, sondern bei eventuell eintreten- 
dem Eigentumsstreite oder zu dessen Vorbeugung 
auch durch freien Privatvertrag einzelner oder 
durch Feststellung der öffentlichen Gewalt zustande 
kommen könne. Allerdings besitzt der Staat kein 
positives ius in omnia, so daß alles Sonder- 
eigentum aus dessen Gemeineigentum heraus- 
wachsen würde. Unter Umständen kommt ihm je- 
doch eine regulierende, mitbestimmende Wirksam- 
keit hierbei zu; dies muß anerkannt werden und 
wird in einer gelegentlichen Bemerkung (a. a. O. 
§ 55) von Hegel selber auch anerkannt. 
Die Hegelsche Begründung der Vertragsstipu- 
lation, dahingehend, dieselbe sei ein gemeinsamer 
Wille, dürfe daher nur gemeinsam widerrufen 
werden, ist so gut wie irgend eine hierüber auf- 
gestellte. Seine Einteilung der Verträge dagegen 
ist unbefriedigend. Daß die Lehre Hegels vom 
Unrecht an großen Mängeln leide, seine Straf- 
rechtslehre dagegen bedeutende Vorzüge an sich 
trage, ist schon erwähnt worden. 
b) Die Moralität ist nach Hegel nur sub- 
jektive Rechtsmoralität, im Gegensatze zum ob- 
jektiven Rechte; beide verhalten sich wie ergän- 
zende Pole. Sie ist nur subjektives Wissen und 
Wollen (Vorsatz, Absicht, Gewissen), welche 
dabei sein müssen, wenn eine äußere Tat eine 
zurechenbare Handlung sein soll. Dem antiken 
Bewußtsein war sie noch fremd, indem der un- 
absichtlich fehlende Odipus gestraft wird, als ob 
er absichtlich gefehlt hätte. Ihrer Subjektivität 
Hegel. 
  
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halber ist sie stets der Gefahr ausgesetzt, in Wider- 
spruch zu kommen mit dem objektiven Rechts- 
ethos und dessen Ordnungen. Dieser Gefahr soll 
namentlich der sog. „Probabilismus“ Vorschub 
leisten, welcher nach Hegel nichts anderes ist als 
die in ein System gebrachte Kunst, sich stets ein 
gutes Gewissen zu machen (a. a. O. § 140). Be- 
züglich desselben ist ihm jedoch ein doppeltes Miß- 
verständnis unterlaufen. Der Probabilismus soll 
sich nach ihm bloß auf Autoritätsgründe stützen, 
so daß selbst „die Autorität eines einzigen Theo- 
logen“ genügend sein soll, das Gewissen in eine 
falsche Sicherheit einzuwiegen, und zudem soll er 
auch eine Geltung haben für das Gebiet der con- 
scientia certa, was beides unrichtig ist. Dies die 
Moralität im Sinne Hegels. Eine die höheren Ge- 
wissens= und Liebespflichten umfassende Moralität 
im gemeinüblichen Sinne dieses Wortes, welche die 
äußere Verwirklichung einer über der Rechts= und 
Staatsordnung gelegenen höheren Sittlichkeits- 
ordnung zum Inhalt und Ziele hätte, ist seinem 
Systeme fremd, wie schon bemerkt worden ist. 
c) Familie und Staat sind nach Hegel 
geistig-organische Gemeinschaften, die nicht bloß 
von unten auf entstehen im Kampf ums Dasein, 
sondern einer höheren sittlichen Notwendigkeit ent- 
stammen. Anders die inmitten derselben stehende 
bürgerliche Gesellschaft. Sie erwächst nach 
Hegel lediglich aus dem Kampf um die Interessen 
der Einzelpersonen und Einzelfamilien und zur 
Sicherung dieser Interessen. Unbefriedigend ist 
die Auffassung, das Testierungsrecht wurzle nie- 
mals im Privatrechte des einzelnen als solchen, 
sondern nur im Familienrechte, und dem einzelnen 
könne jenes Recht nur insoweit eingeräumt werden, 
als das Familienverhältnis „entfernter und unwirk- 
samer“" geworden (a. a. O. 8 180). Unbefriedigend 
ist weiterhin die Auffassung, daß innerhalb der 
Familie eine völlige Gleichheit des Erbrechts ohne 
alles Erstgeburtsrecht, ohne Substitutionen und 
Familienfideikommisse und Majorate statthabe und 
nur aus politischen Gründen Majorate der in die 
erste Kammer einzuberufenden gebildeten Guts- 
besitzer sowie das Erstgeburtsrecht und eiserne 
Stammvermögen der fürstlichen Familie zulässig, 
ja gefordert seien (a. a. O. §§ 180, 280, 306). 
In der inneren Staatsrechtslehre wird die 
konstitutionelle Erbmonarchie als Vernunftideal 
abgeleitet. Es wird ein Konstitutionalismus nach 
englischem Musterstile geltend gemacht mit Zwei- 
kammersystem. Die Kammern haben jedoch nicht 
die Bedeutung, daß durch sie „die Angelegen- 
heiten des Staates an sich aufs beste beraten und 
beschlossen werden“ (weiß ja das Volk nicht, was 
es will); sie haben nur die Bedeutung, „die 
Talente, Tugenden und Geschicklichkeiten der 
Staatsbehörden und Beamten“ an den Tag zu 
bringen und das „Moment der formellen Frei- 
heit“ in sein Recht einzusetzen. Als ob sie nur Auf- 
klärung empfangen, nicht zugleich bieten könnten! 
Als ob sie nicht die Steuerkraft des Volkes schützen
	        
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