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noch lebenden Vater zum Erben einsetzen mußten,
aber ihn bis zu einem Restteil ihres Vermögens
mit Legaten belasten konnten.
Das deutsche Familienrecht ging von ganz
andern Voraussetzungen aus. Die Familie trat
stark hinter die Bedeutung der Sippe zurück. Der
eigentliche Zweck der germanischen Ehe lag nicht
in der Lebensgemeinschaft der Ehegatten, sondern
in der Förderung der Sippe durch Erzeugung von
Kindern. Die Sippe umfaßte die ganze Verwandt-
schaft. Die männlichen Deszendenten derselben
Eltern hießen Ger= oder Schwertmagen, die weib-
lichen Spindel-, Spill= oder Kunkelmagen. Nur
die agnatischen Verwandten umfaßte im Unter-
schied von der Sippe die Sippschaft. Die Sippe
zerfiel in den engeren Kreis der Hausgenossen
(Eltern, Kinder, Geschwister) und in den weiteren
Kreis der Magschaft.
Wie Schröder mit Hinweis auf zahlreiche For-
scher betont, ergibt sich aus den quellenmäßig be-
zeugten Tatsachen die völlige Unbekanntschaft der
Indogermanen mit dem Mutterrecht. Im Gegen-
teil war von den frühesten Zeiten an die Gewalt
des Gatten und Vaters eine sehr starke. Sie kam
zum Ausdruck durch die Vormundschaft, die Munt
über die Familienmitglieder. Im Unterschied aber
von der patria potestas wurde die Munt nicht
so sehr als Eigentumsrecht im Interesse ihres
Trägers, sondern mehr als ein Schutz= und Ver-
tretungsrecht für die Familienmitglieder aufgefaßt.
Durch die Ehe trat die Frau in die eheherrliche
Munt, die dann die väterliche Munt über die
Kinder der Frau begründete, selbst über die Kin-
der, die sie von einem Dritten etwa im Ehebruch
empfing. Noch in der fränkischen Zeit hatte die
väterliche Gewalt manches von der alten Strenge
bewahrt, so in bestimmten Fällen das Recht der
Tötung und des Verkaufs in die Knechtschaft, das
Recht des Heiratszwangs gegen die Töchter. Auf-
gehoben wurde die väterliche Gewalt durch Hin-
gabe des Kindes in Adoption oder Emanzipation
durch Scheinadoption. Für Töchter endete sonst
regelmäßig die väterliche Munt durch rechtmäßige
Ehe, für die Söhne durch ihre Abschichtung vom
Luse des Vaters, d. h. Entlassung aus der Were.
ie Herausgabe des Kindesguts bildete ein wesent-
licher Bestandteil des Emanzipationsaktes. Nach
Schröder hob der Eintritt der Volljährigkeit die
väterliche Gewalt nicht auf. Jedoch konnten voll-
jährige Söhne, wenn sie eigentümliches Vermögen
besaßen, ihre Entlassung verlangen. Beim TodeG
des Vaters übernahm in der Regel sein nächster
mündiger Schwertmagen, also in erster Linie sein
Sohn, die Vormundschaft über Witwe und un-
mündige Kinder. Unter gewissen Voraussetzungen
konnte die Witwe auch in die Munt ihrer Bluts-
verwandten zurückkehren.
Unter der väterlichen Gewalt blieb den Kindern
ihr Vermögen gewahrt, der Vater hatte nur die
Verwaltung und Nutznießung. Als Muntherr
nahm der Mann das Vermögen der Frau in Be-
Familie.
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sitz, um es gemeinschaftlich mit dem seinen für die
Zwecke der Ehe zu verwalten. Es war also ledig-
lich Verwaltungsgemeinschaft, keine Gütergemein-
schaft; das beiderseitige Eigentum blieb als solches
bestehen und wurde nach Auflösung der Ehe wieder
getrennt.
III. Jamilienrecht. Das geltende Familien=
recht setzt sich zusammen aus den Rechtssätzen über
die Ehe als solche (s. d. Art. Ehe und Eherecht),
über das Verhältnis der Ehegatten unter sich, über
das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern (s. d.
Art. Eltern), über das eheliche Güterrecht und
über das Erbrecht (s. d. Art.). Nicht überall und
in allen Stücken deckt sich das staatliche Familien-
recht mit den natürlichen Existenzbedingungen und
den christlichen Grundsätzen, den Voraussetzungen
eines gesunden Familienlebens. Das gilt nament-
lich von den Gesetzen betreffs der Eheschließung
und Ehescheidung.
In Deutschland haben sich unter dem Einfluß
des alten deutschen Rechts, des römischen Rechts
und des Kirchenrechts im wesentlichen folgende
Rechtsgrundsätze über die Familie herausgebildet.
Der Mann ist das Haupt der Familie. Er hat
deshalb alle gemeinsamen Angelegenheiten zu
leiten, so z. B. die Wahl des Wohnorts und der
Wohnung zu bestimmen. Nur wenn der Ehe-
mann sein Bestimmungsrecht aus bloßer Laune
mißbrauchen würde, bräuchte die Frau ihm nicht
zu folgen. Die Frau erwirbt mit der Eheschließung
Name, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit ihres
Mannes. Zugleich erhält sie das Recht, das ge-
meinsame Hauswesen zu leiten. Es ist die sog.
„Schlüsselgewalt“, wodurch die Frau bevollmäch-
tigt ist, alle zur Leitung des Hauswesens notwen-
digen Rechtsgeschäfte für Rechnung des Mannes
zu besorgen, z. B. die Haushaltungseinkäufe. Nur
bei Mißbrauch dieses Rechts durch Verschwendung
kann der Mann es allerdings der Frau beschrän-
ken und entziehen in den dafür geltenden Formen.
Über das eigne Vermögen kann die Frau ohne
Mitwirkung oder Zustimmung des Mannes ver-
sügen. Nur dürfen die Maßnahmen der Frau
nicht die etwa dem Mann kraft des bestehenden
Güterrechts zustehenden Verwaltungs= und Nutz-
nießungsrechte ohne seine Zustimmung verkürzen.
Das Vermögensrecht der beiden Ehegatten wäh-
rend der Ehe unterliegt entweder besondern Ver-
tragsbestimmungen oder aber, falls kein ehelicher
*m* abgeschlossen wurde, dem allgemeinen
ese
Die Eheleute sind befugt, vor oder während der
Ehe einen Ehevertrag abzuschließen, in dem sie
festlegen können: 1) die völlige Gütertren-
nung, wodurch jedem Teil die Verwaltung seines
Vermögens bleibt; 2) die allgemeine Güter-
gemeinschaft; dadurch wird das Vermögen
von Mann und Frau zu einem Gesamtgut ver-
schmolzen, dessen Verwaltung dem Mann zusteht;
3) die Errungenschaftsgemeinschaft,
wodurch das während der Ehe Erworbene, die