Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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dem in den neueren Zivilprozeßgesetzen verwirklich- 
tensozialpolitischen Gedanken, daß die Zwangsvoll= 
streckung für Geldforderungen nicht auf solche 
Gegenstände ausgedehnt werden dürfe, deren Be- 
sitz für den Schuldner zur Fortsetzung seiner Er- 
werbstätigkeit unbedingt nötig ist (vgl. österreich. 
Allg. Gerichtsordn. von 1781 § 340; preuß. Allg. 
Gerichtsordn. von 1794 Tit. 24, 8 71; Code de 
procédure civile von 1806 8592 deutsche 3. PO. 
von 1879 §§ 715, 749; österreich. Gesetz von 
1873 und 1887 usw.). Diesen sog. Kompetenz- 
vorschriften liegt die Erwägung zugrunde, daß 
die Weiterbetätigung einer werterzeugenden Ar- 
beitskraft und die Erhaltung eines geordneten 
Familienlebens auf seiten des Schuldners für das 
Gemeinwohl weit wichtiger ist als die zu deren 
Vernichtung führende begriffsmäßig strenge Be- 
friedigung des Gläubigerrechts. Die in diesen 
Bestimmungen enthaltene Gewährleistung eines 
Existenzminimums soll nun ausgedehnt werden 
zur Gewährung eines Besitzminimums an 
Grund und Boden nebst landwirtschaftlichem Zu- 
behör für Kleinbauern und ländliche Arbeiter. 
Entsprechend wird endlich für den landbesitzlosen 
Industriearbeiter ein Bermögensminimum 
Heimstättenrecht. 
  
für seine Ersparnisse als zwangsvollstreckungsfrei 
ruhender Gesetzentwurf, welcher unterm 21. Juni 
sparnisse zum Erwerb einer Heimstätte benutzt hat. 1890 von dem Abgeordneten Grafen Dönhoff- 
gesordert, namentlich insoweit, als er seine Er- 
Der Schwerpunkt liegt in der Forderung eines 
ländlichen Besitzminimums. Sie wird erhoben 
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nicht höher sein als die Hälfte (nach Riepenhausen 
das Dritteil) des Pachtwertes, bzw. die Summe 
der jährlichen Amortisationen (Schuldzinsen und 
Abzahlungen) nicht höher als die Hälfte des 
Pachtzinsertrags. Zur Beitreibung dieser jähr- 
lichen Amortisationen und nur für diese ist die 
Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz statthaft, 
welche zunächst (nach andern ausschließlich) durch 
Zwangsverwaltung (Sequestration) und nur, falls 
diese nicht binnen zwei Jahren (Peyrer) zur Be- 
friedigung führt, durch Zwangsverkauf erfolgt. 
Für etwaige weitergehende Kapitalbedürfnisse muß 
der Personalkredit genügen, welcher durch eine 
beim nächsten Erbgange wirksam werdende hypo- 
thekarische Vormerkung unterstützt wird; bis dahin 
darf aber nur in das Fahrnisvermögen (aus- 
genommen den Gutszubehör) vollstreckt werden, 
und zwar gilt dies selbst im Konkursfalle. 
3. Gesetzesvorschläge. In der näheren 
Ausgestaltung zerfallen die vorliegenden ausge- 
arbeiteten Entwürfe in zwei mesentlich verschieden- 
artige Gruppen. Der Begründer der einen ist 
Peyrer in seiner Dentschrift (vgl. Literatur). Auf 
ähnlicher Grundlage folgten K. v. Riepenhausen- 
Crangen (Gesicherte Familienheimstätten im Deut- 
schen Reich, ?1891) und ein auflletzterer Schrift be- 
Friedrichstein und andern konservativen Abgeord- 
neten im deutschen Reichstag als Initiativantrag 
ebensosehr im Interesse des ländlichen Arbeiters eingebracht worden ist. Er gelangte am 3. Febr. 
wie des größeren Grundbesitzes, 
Ansässigmachung von Arbeitern die nötigen Ar- 
beitskräfte bereitzustellen. Soll beiden Zwecken 
genügt werden, so ist ein Anerbenrecht für 
die Heimstätten durch Bevorzugung eines Erben, 
der die Heimstätte übernimmt, besonders wün- 
schenswert. Allerdings stellt das Grundeigentum 
nebst Zugehör für den ländlichen Unternehmer 
nicht nur das Erwerbsmittel, sondern meistens 
auch ein Kapitalvermögen und eine Basis des 
Realkredits dar. Darum muß das Heimstätten- 
recht dem Kleingrundbesitze (welcher hier zunächst 
in Betracht kommt) gleichzeitig mit der Voll- 
streckungsbeschränkung neue Kreditformen 
  
beschaffen. Daß dies nur im Wege hypothekarisch 
gesicherter, geringzinsiger, gläubigerseits unkünd- 
barer Darlehen mit mehrjähriger Abzahlung 
(sog. Renten oder Annnitäten) geschehen könne, 
und zwar durch Vermittlung besonderer land- 
wirtschaftlicher Rentenbanken, wird allgemein an- 
erkannt, wenn auch im einzelnen die Vorschläge 
auseinandergehen. Aber auch diese Art des Real- 
kredits könnte zur kapitalistischen Ausbeutung und 
zum Zwangsverkaufe führen, wenn nicht eine 
Belastungsgrenze festgesetzt würde, über 
welche hinaus Renteneinträge unstatthaft oder doch 
nicht voll wirksam sind. Den Maßstab hierfür 
bildet die Höhe der hypothekarischen Sicherheit, 
welche zurzeit ordnungsmäßig gefordert zu wer- 
den pflegt: es soll demgemäß das Schuldkapital 
  
um diesem durch 1892 zur ersten Beratung, bei welcher er vielfache 
Zustimmung fand, und wurde an eine Kommis- 
sion zur Durcharbeitung überwiesen. Diese er- 
stattete unter dem 27. Febr. 1892 ihren Bericht 
an das Plenum, in welchem sie einige Abände- 
rungen vorschlug, mit diesen aber den ganzen 
Entwurf zur Annahme empfahl. Doch kam dieser 
Bericht nicht mehr zur Beratung im Plenum des 
Reichstags. 
Auf der andern Seite steht Schneider (in 
Schmollers Jahrbuch XIV 461, 487; XVI 43, 
93), mit dem der deutsche Landwirtschaftsrat 
(Archiv 1891) sowie in Einzelpunkten Buchen-- 
berger, Helferich, Ratzinger, Vidal, Santangelo- 
Spoto u. a. übereinstimmen, während Gierke 
den Riepenhausenschen Entwurf (der Grundlage 
nach) befürwortet. — Zur Charakteristik der 
beiden Gruppen möge einerseits (A) der Kom- 
missionsantrag des deutschen Reichstags vom 
27. Febr. 1892 und anderseits (B) Schneiders 
Entwurf (1892) dienen. 
A. Das System der fakultativen Erb- 
gutserklärung (wie man es kurz bezeichnen 
kann) gestattet es jedem 24 Jahre alten deutschen 
Staatsangehörigen, ein Wohngebäude nebst Acker- 
oder Gartenland und Zubehör, höchstens im Um- 
fang eines Bauernhofes, durch Eintragung in das 
Heimstättenbuch zur unteilbaren, unvollstreckbaren 
Familienheimstätte zu erheben mit der Wirkung, 
daß — abgesehen von den Rentenhypotheken, deren
	        
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