1231
meister und eventuell von Beigeordneten als Ge-
hilfen) versehen.
Zur Zeit (1909) ist eine Reform der Städte-,
Landgemeinde-, Kreis= und Provinzialordnung
sowie der Verwaltungsrechtspflege in Aussicht ge-
nommen. In Gemeinden mit mindestens 10 000
Einwohnern soll die Einführung der Magistrats-
verfassung zulässig sein, für den Erwerb des Wahl-
rechts zur Gemeindevertretung soll dreijähriges
Wohnen in der Gemeinde genügen, die Wählbar-
keit auch Geistlichen und Volksschullehrern sowie
den Beamten der Staatsanwaltschaft und der staat-
lichen Polizei zuerkannt werden.
Außer dem Oberlandesgericht zu Darmstadt
bestehen Landgerichte in den drei Provinzialhaupt=
städten, 5 Kammern für Handelssachen, 51 Amts-
gerichte, 1 Rheinschiffahrtsgericht zu Mainz. Die
Oberpostdirektion Darmstadt umfaßt Hessen mit
Ausnahme des Amtsgerichtsbezirks Wimpfen, der
zu Karlsruhe gehört.
Zwischen Preußen und Hessen wurde am
21. Juni 1896 ein Staatsvertrag geschlossen,
wonach die Hessische Ludwigsbahn (die größte hes-
sische Privatbahn, 700 km) von den beiden Län-
dern gemeinsam angekauft und eine preußisch-
hessische Betriebsgemeinschaftgeschlossen
wurde, die Preußen auch die Verwaltung der
hessischen Staatsbahnen überließ. Die Verteilung
der Einkünfte des gemeinsamen Eisenbahnnetzes ist
vertraglich geregelt.
Die Interessen von Handel und Gewerbe ver-
treten 7 Handelskammern und eine Handwerks-
kammer (Sitz in Darmstadt). Eine Landwirt-
schaftskammer wurde durch Gesetz vom 16. Mai
1906 geschaffen.
Die Staatsrechnung für 1907/08 ergab
für die Verwaltung 60,29 Mill. M Einnahmen,
davon 14 Mill. M aus direkten Steuern, 4,5 Mill.
aus Stempeln und indirekten Auflagen, und 59,82
Mill. I Ausgaben; für das Vermögen 22,74
Mill. M Einnahmen und 17.12 Mill. A Aus-
gaben. Der Voranschlag für 1909/10 balanziert
für die Verwaltung in Einnahmen und Ausgaben
mit 62,65 Mill. M und für das Vermögen mit
20,77 Mill. M.
Die Staatsschuld beträgt (1. April 1908)
400.7 Mill. M. Davon entfallen auf die 3 1/ / ige
Landeskreditkassenschuld 12,7 Mill. M, auf die
Staatsrentenschuld 0.84 Mill. M, während sich
die eigentliche Staatsschuld aus 817,52 Mill. M
Eisenbahnschuld und 69,44 Mill. KM sonstigen
Anleihen zusammensetzt. Für die Verzinsung
waren 1908 insgesamt 13,23 Mill. M aufzu-
wenden, davon für die eigentliche Staatsschuld
12,05 Mill. M, außerdem 943,416 M für Til-
gung. Hierfür bietet der werbende Besitz des
Staates reichliche Deckung. Das staatliche Aktiv-
vermögen besteht hauptsächlich aus dem Anteil
an den preußisch-hessischen Staatseisenbahnen,
ferner aus den Forst= und Kameraldomänen (ein-
schließlich Familieneigentum des Großherzoglichen
Hessen.
1232
Hauses), Saline und Badeanstalt Bad Nauheim,
Bad Salzhausen, Braunkohlenbergwerk Ludwigs-
hoffnung, Aktienanteil an der Hessischen Landes-
hvpothekenbank und den Aktiven des Domänen=
Akquisitionssonds der Hauptstaatskasse und
Staatsschuldenkasse. Das Gesamtanlagekopital
der Staatseisenbahnen beläuft sich für 1. April
1908 auf 326,20 Mill. M. Ihre Reineinnahmen
betrugen in 1907/08: 12,55 Mill. M (1906/07;:
14,06 Mill. Al), womit sich das Anlagekapital
mit 3,85 % (4,45% ) und das Kapital der Eisen-
bahnschuld mit 4,05 % (4,63 %%/) verzinst. Der
Vermögenswert der Forst- und Kameraldomänen
sowie das Familieneigentum des Großherzoglichen
Hauses, dessen Reinertrag ebenfalls in die Staats-
kasse fließt, beziffert sich schätzungsweise auf 286, 12
Mill. M. Aus diesen Quellen ergab sich für 1906
bis 1907 ein Reinertrag von 4,30 Mill. M, so
daß sich aus dem gesamten erwerbenden Staats-
vermögen ein Reinertrag von 16,68 Mill. M er-
gibt, also 4,81 Mill. M (1905/06: 6,25 Mill.)
mehr, als für den Zinsaufwand der Staatsschuld
erforderlich ist.
Die hessischen Truppen stehen nach der Militär-
konvention mit Preußen vom 8. Juni 1871 als
eine geschlossene Division (Nr 25) im Verbande des
XVIII. Armeekorps.
Hessens Wappen ist ein blauer Schild mit
einem von Silber und Rot zehnmal quergestreiften
Löwen. Landesfarben sind Rot und Weiß.
Orden: der goldene Löwenorden, der Ludwigs-
orden, Verdienstkreuz Philipps des Großmütigen.
Religion und Unterricht. In der
Verfassungsurkunde vom 27. Dez. 1820 und im
Gesetz vom 23. April 1875 sind alshristliche Kon-
fessionen mit dem Rechte der freien und öffentlichen
Ausübung ihres Religionskultus und dem Rechte
öffentlicher Korporationen anerkannt die katholische
und die evangelische Kirche. Eine Verordnung vom
23. Febr. 1850 bestimmte, daß die Gesellschafts-
beamten neuer Religionsgemeinschaften verbunden
sein sollen, der Staatsbehörde zu jeder Zeit auf
Erfordern vollständige, gewissenhafte Auskunft
über die Verhältnisse der Gemeinschaft zu erteilen.
Unter gewissen Umständen ist auch eine besondere
Überwachung der Versammlungen der Religions-
gemeinschaften anzuordnen; den Staatsbeamten,
welchen die Wahrung der öffentlichen Ordnung
übertragen ist, darf der Zutritt zu den Versamm-
lungen der Religionsgemeinschaften nie verweigert
werden. Den außer der evangelischen und katho-
lischen Kirche bereits bestehenden sowie den sich
bildenden neuen Religionsgesellschaften steht nach
dem Gesetz von 1875 das Recht der öffentlichen
Gottesverehrung zu. Korporationsrechte sollen den-
selben, insofern sie solche noch nicht besitzen, auf
den Nachweis der entsprechenden Erfordernisse ver-
liehen werden. Die Bildung neuer Religions-=
gesellschaften ist gestattet. Ihre Verfassung und ihr
Bekenntnis dürfen den Strafgesetzen und der Sitt-
lichkeit nicht widersprechen und nicht zum Vorwande