Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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meister und eventuell von Beigeordneten als Ge- 
hilfen) versehen. 
Zur Zeit (1909) ist eine Reform der Städte-, 
Landgemeinde-, Kreis= und Provinzialordnung 
sowie der Verwaltungsrechtspflege in Aussicht ge- 
nommen. In Gemeinden mit mindestens 10 000 
Einwohnern soll die Einführung der Magistrats- 
verfassung zulässig sein, für den Erwerb des Wahl- 
rechts zur Gemeindevertretung soll dreijähriges 
Wohnen in der Gemeinde genügen, die Wählbar- 
keit auch Geistlichen und Volksschullehrern sowie 
den Beamten der Staatsanwaltschaft und der staat- 
lichen Polizei zuerkannt werden. 
Außer dem Oberlandesgericht zu Darmstadt 
bestehen Landgerichte in den drei Provinzialhaupt= 
städten, 5 Kammern für Handelssachen, 51 Amts- 
gerichte, 1 Rheinschiffahrtsgericht zu Mainz. Die 
Oberpostdirektion Darmstadt umfaßt Hessen mit 
Ausnahme des Amtsgerichtsbezirks Wimpfen, der 
zu Karlsruhe gehört. 
Zwischen Preußen und Hessen wurde am 
21. Juni 1896 ein Staatsvertrag geschlossen, 
wonach die Hessische Ludwigsbahn (die größte hes- 
sische Privatbahn, 700 km) von den beiden Län- 
dern gemeinsam angekauft und eine preußisch- 
hessische Betriebsgemeinschaftgeschlossen 
wurde, die Preußen auch die Verwaltung der 
hessischen Staatsbahnen überließ. Die Verteilung 
der Einkünfte des gemeinsamen Eisenbahnnetzes ist 
vertraglich geregelt. 
Die Interessen von Handel und Gewerbe ver- 
treten 7 Handelskammern und eine Handwerks- 
kammer (Sitz in Darmstadt). Eine Landwirt- 
schaftskammer wurde durch Gesetz vom 16. Mai 
1906 geschaffen. 
Die Staatsrechnung für 1907/08 ergab 
für die Verwaltung 60,29 Mill. M Einnahmen, 
davon 14 Mill. M aus direkten Steuern, 4,5 Mill. 
aus Stempeln und indirekten Auflagen, und 59,82 
Mill. I Ausgaben; für das Vermögen 22,74 
Mill. M Einnahmen und 17.12 Mill. A Aus- 
gaben. Der Voranschlag für 1909/10 balanziert 
für die Verwaltung in Einnahmen und Ausgaben 
mit 62,65 Mill. M und für das Vermögen mit 
20,77 Mill. M. 
Die Staatsschuld beträgt (1. April 1908) 
400.7 Mill. M. Davon entfallen auf die 3 1/ / ige 
Landeskreditkassenschuld 12,7 Mill. M, auf die 
Staatsrentenschuld 0.84 Mill. M, während sich 
die eigentliche Staatsschuld aus 817,52 Mill. M 
Eisenbahnschuld und 69,44 Mill. KM sonstigen 
Anleihen zusammensetzt. Für die Verzinsung 
waren 1908 insgesamt 13,23 Mill. M aufzu- 
wenden, davon für die eigentliche Staatsschuld 
12,05 Mill. M, außerdem 943,416 M für Til- 
gung. Hierfür bietet der werbende Besitz des 
Staates reichliche Deckung. Das staatliche Aktiv- 
vermögen besteht hauptsächlich aus dem Anteil 
an den preußisch-hessischen Staatseisenbahnen, 
ferner aus den Forst= und Kameraldomänen (ein- 
schließlich Familieneigentum des Großherzoglichen 
  
Hessen. 
  
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Hauses), Saline und Badeanstalt Bad Nauheim, 
Bad Salzhausen, Braunkohlenbergwerk Ludwigs- 
hoffnung, Aktienanteil an der Hessischen Landes- 
hvpothekenbank und den Aktiven des Domänen= 
Akquisitionssonds der Hauptstaatskasse und 
Staatsschuldenkasse. Das Gesamtanlagekopital 
der Staatseisenbahnen beläuft sich für 1. April 
1908 auf 326,20 Mill. M. Ihre Reineinnahmen 
betrugen in 1907/08: 12,55 Mill. M (1906/07;: 
14,06 Mill. Al), womit sich das Anlagekapital 
mit 3,85 % (4,45% ) und das Kapital der Eisen- 
bahnschuld mit 4,05 % (4,63 %%/) verzinst. Der 
Vermögenswert der Forst- und Kameraldomänen 
sowie das Familieneigentum des Großherzoglichen 
Hauses, dessen Reinertrag ebenfalls in die Staats- 
kasse fließt, beziffert sich schätzungsweise auf 286, 12 
Mill. M. Aus diesen Quellen ergab sich für 1906 
bis 1907 ein Reinertrag von 4,30 Mill. M, so 
daß sich aus dem gesamten erwerbenden Staats- 
vermögen ein Reinertrag von 16,68 Mill. M er- 
gibt, also 4,81 Mill. M (1905/06: 6,25 Mill.) 
mehr, als für den Zinsaufwand der Staatsschuld 
erforderlich ist. 
Die hessischen Truppen stehen nach der Militär- 
konvention mit Preußen vom 8. Juni 1871 als 
eine geschlossene Division (Nr 25) im Verbande des 
XVIII. Armeekorps. 
Hessens Wappen ist ein blauer Schild mit 
einem von Silber und Rot zehnmal quergestreiften 
Löwen. Landesfarben sind Rot und Weiß. 
Orden: der goldene Löwenorden, der Ludwigs- 
orden, Verdienstkreuz Philipps des Großmütigen. 
Religion und Unterricht. In der 
Verfassungsurkunde vom 27. Dez. 1820 und im 
Gesetz vom 23. April 1875 sind alshristliche Kon- 
fessionen mit dem Rechte der freien und öffentlichen 
Ausübung ihres Religionskultus und dem Rechte 
öffentlicher Korporationen anerkannt die katholische 
und die evangelische Kirche. Eine Verordnung vom 
23. Febr. 1850 bestimmte, daß die Gesellschafts- 
beamten neuer Religionsgemeinschaften verbunden 
sein sollen, der Staatsbehörde zu jeder Zeit auf 
Erfordern vollständige, gewissenhafte Auskunft 
über die Verhältnisse der Gemeinschaft zu erteilen. 
Unter gewissen Umständen ist auch eine besondere 
Überwachung der Versammlungen der Religions- 
gemeinschaften anzuordnen; den Staatsbeamten, 
welchen die Wahrung der öffentlichen Ordnung 
übertragen ist, darf der Zutritt zu den Versamm- 
lungen der Religionsgemeinschaften nie verweigert 
werden. Den außer der evangelischen und katho- 
lischen Kirche bereits bestehenden sowie den sich 
bildenden neuen Religionsgesellschaften steht nach 
dem Gesetz von 1875 das Recht der öffentlichen 
Gottesverehrung zu. Korporationsrechte sollen den- 
selben, insofern sie solche noch nicht besitzen, auf 
den Nachweis der entsprechenden Erfordernisse ver- 
liehen werden. Die Bildung neuer Religions-= 
gesellschaften ist gestattet. Ihre Verfassung und ihr 
Bekenntnis dürfen den Strafgesetzen und der Sitt- 
lichkeit nicht widersprechen und nicht zum Vorwande
	        
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