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dies nicht stattfindet, da können ihre Gebote nur
als Rat gelten. Der Souverän kann nie Häre-
tiker sein. Häresie ist nichts anderes als eine
Privatmeinung, welche hartnäckig behauptet wird
im Gegensatze gegen jene Meinung, welche der
Souverän zu lehren befiehlt.
Die „Reformation“ hatte nach Abwerfung der
kirchlichen Autoritat in religiösen Dingen die
oberste kirchliche Gewalt in die Hand der welt-
lichen Landesherren gegeben und dadurch die voll-
ständige Verschmelzung von Kirche und Staat
nahegelegt. Hobbes war der erste, welcher dieses 1883)
Prinzip nach seinem vollen Inhalt und nach
seiner ganzen Tragweite sich angeeignet und rück-
sichtslos durchgeführt hat. Staat und Kirche sind
eins; der weltliche Machthaber ist zugleich der
Träger der kirchlichen Autorität: es ist der Cä-
sarop apismus in seiner vollendeten Ausge-
staltung. Wie die bürgerliche Freiheit durch den
Alp der Staatsgewalt erdrückt wird, so wird
auch das religiöse und sittliche Gewissen des
ganzen Volkes sowohl als auch aller Individnen
vollständig der Machtbefugnis der Staatsgewalt
überantwortet. Dies war die Frucht jenes Geistes,
der gegen die kirchliche Autorität sich auflehnte:
er wurde gestraft in dem, worin er gesündigt.
Die Freiheit wollte er; den Despotismus hat er
eingetauscht. Und dann sind alle Nachbeter des
Philosophen des Absolutismus von J. J. Rousseau
an, dem Philosophen der Revolution, sich gleich
geblieben: sie machen unter Verwerfung der ver-
nunftgemäßen christlichen Lehre an Menschen und
an der Gesellschaft die von ihnen konstruierte Idee
der Menschenvereinigung zur alleinigen Quelle der
öffentlichen Macht und zum ausschließlichen Ur-
sprung des Rechts.
Außer den genannten Schriften sei noch hin-
gewiesen auf das in dialogischer Form verfaßte
Geschichtswerk Behemoth, or a History of the
Causes of the Civil Wars of England from 1640
to 1660 (1679 n. A. von Tönnies, 1889) von
ausgeprägt rationalistischer u. kirchenfeindlicher
Grundauffassung; auf die Historia ecclesiastica
carmine elegiaco concinnata (1688), ein poetisch
u. inhaltlich wertloses, an Ausfällen gegen das
Papsttum u. das Christentum reiches Gedicht; fer-
ner auf die gegen die Anklage des Atheismus ge-
richtete Historical narration concerning heresy
and the punishment thereof; endlich auf die von
dem 84jähr. Greise verfaßte Selbstbiographie in
Versen. Starken Einfluß übte H. auf die polit.
Schriften von Spinoza, Locke u. der französischen
Enzyklopädisten. Zu seinen Gegnern gehörten
Ralph Cadworth, Rich. Cumberland, Rob. Shar-
rock u. a.; milder beurteilte ihn Leibniz (Essais
de Théodicée II 278 ff, Amsterd. 1734), strenger
die Deutschen Mendelssohn (in seinem „Jeru-
salem") u. Ans. Feuerbach („Anti-H.“, Gießen
1798), Comte (in seinem Cours de philos. posi-
tive) nennt ihn den „wahren Vater der revolutio-
nären Philosophie“. H selbst besorgte eine größere
Ausgabe seiner Werke: Opera omnia philosophica,
duae latine scripsit (2 Bde, Amsterd. 1668); voll-
ständiger find die Moral and political works (Lond.
Hochschulen — Hochverrat.
1246
1750). Die vollständigste Ausgabe seiner latein.
Werke (5 Bde) u. der englischen (11 Bde, Lond.
1839/45) veranstaltete W. Molesworth. Nach H.'
Tode erschien (in Charlestown) seine Lebensbe-
chreibung von John Aubrey, lateinisch in Rich.
Blackburnes Th. Hobbes Angli-Malmesburensis
vita (Lond. 1681). Vgl. Tönnies, H.' Leben u.
Lehre (1896), u. die engl. Biographien von Robert-
son (Edinburgh 1886, n. A. 1901) u. Leslie Ste-
phen (Lond. 1904). Ferner Nüscheler, Die Staats-
theorie des Th. H. (Zürich 1865); Sigwart, Ver-
gleich der Rechts= u. Staatstheorien des Spinoza
u. des H. (1842); Kollberg, H. Staatslehre (Diss.,
LStöckl, rev. Weinand.)
Hochschulen s. Universitäten.
Hochverrat. IGrenzziehung zwischen Em-
pörung und erlaubtem Widerstand. Geschicht-
liches. Geltendes Recht.]
Bei keiner Frage der Rechtswissenschaft fällt es
mehr in das Auge, daß das Recht sich nicht auf
eine rein zufällige Form, die des Gesetzes, sondern
nur auf die ewigen Grundsätze der Moral, d. h.
auf Gott, zurückführen läßt. Will man die Form
des Gesetzes und die Mehrheit als die einzigen
Quellen des Rechts erklären, dann ist die natür-
liche Folge davon, daß jede zufällig zur Herrschaft
gelangte politische Partei dieses Verhältnis aus-
nutzen wird zur Erhaltung ihrer Herrschaft und
zur Unterdrückung jeder dieselbe bedrohenden Re-
gung, so gerechtfertigt letztere auch sein mag. Jede
Partei wird sich verpflichtet erachten oder diese
Verpflichtung wenigstens vorschützen, ihre Grund-
sätze als maßgebend für die Zukunft zu erhalten.
Je geringer aber ihre Mehrheit, je gefährdeter im
übrigen ihre Stellung ist, desto mehr wird sie
Veranlassung nehmen, ihr feindselige Bestrebungen
durch drakonische Strafgesetze zu unterdrücken. Nun
sind und waren aber die Regierungen, wie sie in
dem wechselnden Bilde der Geschichte bis jetzt auf-
getaucht sind, von so unendlich verschiedenem Wert,
daß die Versuche zu ihrer Beseitigung auf formell
nicht gerechtfertigtem Wege einer sehr verschiedenen
Beurteilung unterliegen.
Die bekannte Stelle im Römerbrief (13, 1):
„Jeglicher Mensch sei der obrigkeitlichen Gewalt
untertan“", und: „Denn es ist keine Obrigkeit als
nur von Gott; welche da sind, die sind von Gott
geordnet“, hat nicht die Bedeutung, daß man nun-
mehr einer jeden beliebigen Regierung, die sich
einmal zufällig der Gewalt bemächtigt hat, unbe-
dingt und ausnahmslos Gehorsam schulde, noch
viel weniger aber die, daß das in der Heiligen
Schrift gebrauchte Wort Obrigkeit eine bestimmte
Staatsform in sich schließe oder gar sich auf eine
bestimmte Dynastie beziehe, wie dies die Stuart-
schen Hofpublizisten seinerzeit auszuführen ver-
suchten. Diejenigen, welche diesem Bibelspruch die
falsche Auslegung zu geben versuchen, tun dies ge-
wöhnlich aus dem Grunde, weil ihnen die gerade
bestehenden Verhältnisse gefallen; sie übersehen in-
dessen in ihrer Kurzsichtigkeit dabei, daß sie damit
auch den den ihrigen entgegengesetzten Grund-
—„