Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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sächlich dort zu machen, wo neben dem Mann 
auch die Frau fast ausschließlich dem Erwerb 
nachgeht und in der Familie niemand die Haus- 
haltungsarbeit übernimmt. Unter solchen Ver- 
hältnissen leidet sofort das ganze Familienleben. 
Als Konsumtionsgemeinschaft ist die Familie 
von großer Wichtigkeit für die private und natio- 
nale Vermögensbildung geblieben. Nicht das 
Sparen an der Konsumtion, aber ihre richtige 
Einteilung durch die tüchtige Haushaltungswirt- 
schaft ist eine wichtige Vorbedingung für die Bil- 
dung der kleinen Massenersparnisse. Außerdem ist 
die Zukunft der Familie und der Kinder für viele 
der direkte Beweggrund zum Erwerb über den 
Verzehr hinaus. Der selbständige Arbeiter, der 
für niemand als für sich selber zu sorgen hat, 
unterliegt viel leichter als ein Familienvater der 
Versuchung, von der Hand in den Mund zu leben 
und etwa größeren Verdienst zu verschwenden 
in Trunk und Spiel. Auch das eheliche Güter- 
recht, das hauptsächlich zum Schutz des Ver- 
mögens der Frau wirkt, hilft mit, einen Ver- 
mögensstamm zu bilden und zu erhalten. Die 
Verwaltungsgemeinschaft unterstützt einerseits die 
Frau, die weniger geschäftskundig ist in der Ver- 
waltung ihres Vermögens. Anderseits ermöglicht 
diese Gemeinschaft erst recht die wichtige sozial- 
politische Aufgabe der Familie. Aber auch rein 
volkswirtschaftlich ist die Vermögensgemeinschaft 
in der Familie noch heute oft genug der Aus- 
gangspunkt von kapitalistischen Unternehmungen, 
indem wirtschaftliche Intelligenz mit Kapital sich 
verbindet. 
Fragen wir uns nun, welche wirtschaftliche Be- 
deutung hat heute noch die Familie als Produk= 
tionsgemeinschaft, so wird ihr Anteil am Handel 
und an der Kapitalwirtschaft sich im wesentlichen 
auf die Herstellung und Erhaltung der Vermögens- 
verwaltungsgemeinschaft in der eben geschilderten 
Weise sein. Im Kleinhandel und beim Hausier- 
gewerbe ist die Mitarbeit der Frau noch Regel. 
Im Gewerbe hat sich die Großindustrie am 
weitesten vom Familienverbande losgelöst. Hier 
herrscht das Bestreben vor, jedes patriarchalische 
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer 
zu ersetzen durch den unpersönlichen Vertrag zwi- 
schen rechtlich und wirtschaftlich gleichstehenden 
Vertragschließenden (Gewerkschaftsbewegung). Die 
Hausindustrie ist dagegen ganz auf der Fa- 
miliengemeinschaft aufgebaut, indem erst die Zer- 
legung der Arbeit unter die einzelnen Familien= 
glieder mit weitestgehender Ausnutzung der Zeit die 
Arbeit rentabel macht. Sie baut sich wie bei den 
Südslawen, Russen, Italienern direkt auf der länd- 
lichen Hausgemeinschaft auf. Auch in Deutsch- 
land verbreitete sie sich hauptsächlich in jenen Ge- 
genden stark, wo bereits ein Hausfleiß vorhanden 
war. Die Hausindustrie hat sehr häufig eine 
schwere Schädigung der Familie zur Folge, weil 
die Arbeitskräfte der Familienmitglieder und in 
erster Linie der Kinder zu stark ausgenützt werden. 
Familie. 
  
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Dazu kommt die Verschlechterung der Wohnungs- 
verhältnisse und die Gelegenheit zu unkontrollier- 
barer Ausbeutung seitens des Unternehmers. Das 
Handwerk weist noch vielfach familiären Cha- 
rakter auf, indem Gesellen und Lehrlinge noch zur 
Familie des Meisters und in seine Hausgemein- 
schaft gerechnet werden. Den neuerlichen Bestre- 
bungen, diese alte Einordnung in die Familie zu 
fördern, stehen allerdings große Schwierigkeiten 
entgegen. Einmal widersetzen sich Gesellen und 
Lehrlinge hauptsächlich in den großen Städten der 
häuslichen Gebundenheit an die Meistersfamilie. 
Und dann ist es in vielen Fällen kaum mög- 
lich, das eigentliche Handwerk zu unterscheiden 
vom industriellen Kleinbetrieb. So verliert all- 
mählich die Familiengemeinschaft fürs Handwerk 
immer mehr an Ausdehnung. Für die land- 
wirischaftliche Gütererzeugung hat die Fa- 
milie bis in die Gegenwart am meisten zu be- 
deuten, so viel, daß, wie Gothein hervorhebt, 
man heute noch das Grundeigentum und die so- 
ziale Gliederung der Landbevölkerung überhaupt 
nur nach den Beziehungen der Familie zur Be- 
wirtschaftung des Gutes bestimmen kann. Da- 
nach nennen wir Zwergbesitz denjenigen, der 
nicht vollauf die Familie beschäftigt, sondern neben- 
bei besorgt werden kann. Der Besitz, der von den 
Mitgliedern der bäuerlichen Familie als einzigen 
Arbeitskräften bestellt werden kann, nennen wir 
Kleinbesitz. Denjenigen, der noch weitere Ar- 
beitskräfte, Knechte und Mägde, verlangt, mitt- 
leren Grundbesitz. Großgrundbesitz 
dagegen ist dort vorhanden, wo die Familie nicht 
mehr mitarbeiten braucht, wo aber die Leitung 
des Betriebes die ganze Arbeitskraft des Besitzers 
in Anspruch nimmt. Jedoch auch in diesen Groß- 
betrieben kommt die Mithilfe der Hausfrau sehr 
zur Geltung, sowohl wo es sich um die Beauf- 
sichtigung des Gesindes, die Leitung der Küche 
als auch die Ubernahme einer rationellen Gemüse- 
und Geflügelzucht handelt. Außerdem hat der 
landwirtschaftliche Großbetrieb die Tendenz zur 
patriarchalischen Arbeitsverfassung, so sehr auch 
in der Gegenwart dagegen die Bestrebungen sich 
richten. 
Die allerwichtigste und unverlierbare Funktion 
der Familie für die Volkswirtschaft aber ist die 
Erzeugung und Erziehung von Menschen. Der 
Mensch ist das Subjekt und das Ziel aller Wirt- 
schaft. Daher steht diese Funktion der Familie im 
Mittelpunkt der gesamten Volkswirtschaft. Dar- 
aus erklärt sich auch, warum alle wirtschaftliche 
Tätigkeit von der Familie ausging. Wenn im 
Lauf der Zeit einzelne wirtschaftliche Funktionen 
sich von der Familie loslösten, so kann das nur 
begrüßt werden als eine Entlastung der Familie, 
damit sie desto vollkommener ihrer ersten und un- 
veräußerlichen wirtschaftlichen Aufgabe obliegen 
kann. Eine Entwicklung der Wirtschaft, die der 
Familie auch die Sorge um die Erziehung der 
Kinder abnehmen möchte, wäre eine Entartung,
	        
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