115
sächlich dort zu machen, wo neben dem Mann
auch die Frau fast ausschließlich dem Erwerb
nachgeht und in der Familie niemand die Haus-
haltungsarbeit übernimmt. Unter solchen Ver-
hältnissen leidet sofort das ganze Familienleben.
Als Konsumtionsgemeinschaft ist die Familie
von großer Wichtigkeit für die private und natio-
nale Vermögensbildung geblieben. Nicht das
Sparen an der Konsumtion, aber ihre richtige
Einteilung durch die tüchtige Haushaltungswirt-
schaft ist eine wichtige Vorbedingung für die Bil-
dung der kleinen Massenersparnisse. Außerdem ist
die Zukunft der Familie und der Kinder für viele
der direkte Beweggrund zum Erwerb über den
Verzehr hinaus. Der selbständige Arbeiter, der
für niemand als für sich selber zu sorgen hat,
unterliegt viel leichter als ein Familienvater der
Versuchung, von der Hand in den Mund zu leben
und etwa größeren Verdienst zu verschwenden
in Trunk und Spiel. Auch das eheliche Güter-
recht, das hauptsächlich zum Schutz des Ver-
mögens der Frau wirkt, hilft mit, einen Ver-
mögensstamm zu bilden und zu erhalten. Die
Verwaltungsgemeinschaft unterstützt einerseits die
Frau, die weniger geschäftskundig ist in der Ver-
waltung ihres Vermögens. Anderseits ermöglicht
diese Gemeinschaft erst recht die wichtige sozial-
politische Aufgabe der Familie. Aber auch rein
volkswirtschaftlich ist die Vermögensgemeinschaft
in der Familie noch heute oft genug der Aus-
gangspunkt von kapitalistischen Unternehmungen,
indem wirtschaftliche Intelligenz mit Kapital sich
verbindet.
Fragen wir uns nun, welche wirtschaftliche Be-
deutung hat heute noch die Familie als Produk=
tionsgemeinschaft, so wird ihr Anteil am Handel
und an der Kapitalwirtschaft sich im wesentlichen
auf die Herstellung und Erhaltung der Vermögens-
verwaltungsgemeinschaft in der eben geschilderten
Weise sein. Im Kleinhandel und beim Hausier-
gewerbe ist die Mitarbeit der Frau noch Regel.
Im Gewerbe hat sich die Großindustrie am
weitesten vom Familienverbande losgelöst. Hier
herrscht das Bestreben vor, jedes patriarchalische
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
zu ersetzen durch den unpersönlichen Vertrag zwi-
schen rechtlich und wirtschaftlich gleichstehenden
Vertragschließenden (Gewerkschaftsbewegung). Die
Hausindustrie ist dagegen ganz auf der Fa-
miliengemeinschaft aufgebaut, indem erst die Zer-
legung der Arbeit unter die einzelnen Familien=
glieder mit weitestgehender Ausnutzung der Zeit die
Arbeit rentabel macht. Sie baut sich wie bei den
Südslawen, Russen, Italienern direkt auf der länd-
lichen Hausgemeinschaft auf. Auch in Deutsch-
land verbreitete sie sich hauptsächlich in jenen Ge-
genden stark, wo bereits ein Hausfleiß vorhanden
war. Die Hausindustrie hat sehr häufig eine
schwere Schädigung der Familie zur Folge, weil
die Arbeitskräfte der Familienmitglieder und in
erster Linie der Kinder zu stark ausgenützt werden.
Familie.
116
Dazu kommt die Verschlechterung der Wohnungs-
verhältnisse und die Gelegenheit zu unkontrollier-
barer Ausbeutung seitens des Unternehmers. Das
Handwerk weist noch vielfach familiären Cha-
rakter auf, indem Gesellen und Lehrlinge noch zur
Familie des Meisters und in seine Hausgemein-
schaft gerechnet werden. Den neuerlichen Bestre-
bungen, diese alte Einordnung in die Familie zu
fördern, stehen allerdings große Schwierigkeiten
entgegen. Einmal widersetzen sich Gesellen und
Lehrlinge hauptsächlich in den großen Städten der
häuslichen Gebundenheit an die Meistersfamilie.
Und dann ist es in vielen Fällen kaum mög-
lich, das eigentliche Handwerk zu unterscheiden
vom industriellen Kleinbetrieb. So verliert all-
mählich die Familiengemeinschaft fürs Handwerk
immer mehr an Ausdehnung. Für die land-
wirischaftliche Gütererzeugung hat die Fa-
milie bis in die Gegenwart am meisten zu be-
deuten, so viel, daß, wie Gothein hervorhebt,
man heute noch das Grundeigentum und die so-
ziale Gliederung der Landbevölkerung überhaupt
nur nach den Beziehungen der Familie zur Be-
wirtschaftung des Gutes bestimmen kann. Da-
nach nennen wir Zwergbesitz denjenigen, der
nicht vollauf die Familie beschäftigt, sondern neben-
bei besorgt werden kann. Der Besitz, der von den
Mitgliedern der bäuerlichen Familie als einzigen
Arbeitskräften bestellt werden kann, nennen wir
Kleinbesitz. Denjenigen, der noch weitere Ar-
beitskräfte, Knechte und Mägde, verlangt, mitt-
leren Grundbesitz. Großgrundbesitz
dagegen ist dort vorhanden, wo die Familie nicht
mehr mitarbeiten braucht, wo aber die Leitung
des Betriebes die ganze Arbeitskraft des Besitzers
in Anspruch nimmt. Jedoch auch in diesen Groß-
betrieben kommt die Mithilfe der Hausfrau sehr
zur Geltung, sowohl wo es sich um die Beauf-
sichtigung des Gesindes, die Leitung der Küche
als auch die Ubernahme einer rationellen Gemüse-
und Geflügelzucht handelt. Außerdem hat der
landwirtschaftliche Großbetrieb die Tendenz zur
patriarchalischen Arbeitsverfassung, so sehr auch
in der Gegenwart dagegen die Bestrebungen sich
richten.
Die allerwichtigste und unverlierbare Funktion
der Familie für die Volkswirtschaft aber ist die
Erzeugung und Erziehung von Menschen. Der
Mensch ist das Subjekt und das Ziel aller Wirt-
schaft. Daher steht diese Funktion der Familie im
Mittelpunkt der gesamten Volkswirtschaft. Dar-
aus erklärt sich auch, warum alle wirtschaftliche
Tätigkeit von der Familie ausging. Wenn im
Lauf der Zeit einzelne wirtschaftliche Funktionen
sich von der Familie loslösten, so kann das nur
begrüßt werden als eine Entlastung der Familie,
damit sie desto vollkommener ihrer ersten und un-
veräußerlichen wirtschaftlichen Aufgabe obliegen
kann. Eine Entwicklung der Wirtschaft, die der
Familie auch die Sorge um die Erziehung der
Kinder abnehmen möchte, wäre eine Entartung,