Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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keit herabgedrückt wurden. Namentlich schroff ge- 
staltete sich in Polen die Leibeigenschaft im 16. Jahrh. 
Während im Westen nur Leibzins und Sterbfall 
entrichtet wurden, hatten im Osten die Bauern 
ungemessene Frondienste zu leisten. Abzug war 
dem Bauern hier nur gestattet, wenn er einen Er- 
satzmann stellte. Die Kinder dieser Hofhörigen 
mußten auf dem Hofe Gesindedienste tun. Hei- 
raten oder ein Handwerk lernen durften sie nur 
mit Genehmigung ihres Herrn. Da im Osten die 
Freizügigkeit unbekannt war, so gehörten alle Dorf- 
bewohner demselben Gutsherrn, der zugleich ihr 
Gerichtsherr war. Sie blieben Hofhörige und Zu- 
behör des Herrenhofes. Ja vielfach nahmen dort 
die Herren das Eigentum an der Person ihrer 
Hofhörigen und das Recht, diese zu verkaufen, in 
Anspruch. 
Noch zu Ende des 17. Jahrh., in den Jahren 
1679 und 1680, schickten die böhmischen Bauern 
Gesandte nach Prag, um dem Kaiser vorzustellen, 
daß der Grundherr dem Bauern nur das nackte 
Leben in Hunger und Elend lasse; da dies nichts 
half, erfolgte ein Aufstand des Landvolkes, der mit 
militärischer Gewalt unterdrückt wurde. Aus dem 
16. Jahrh. wissen wir, wie der Zugang zum Ge- 
richte des Landesherrn den Bauern in der Mark 
Brandenburg erschwert wurde. 
VI. Aufhebung der Teibeigenschaft und 
Hörigskteit. 1. In Osterreich und Preußen. 
Der Ursprung des staatlichen Bauernschutzes ist 
vielfach in den fiskalischen Interessen zu suchen. 
Seit dem Dreißigjährigen Kriege hatte sich z. B. in 
Osterreich die Grundsteuer ausgebildet, die wesent- 
lich auf den bäuerlichen Gütern ruht. Der Staat 
hatte also ein Interesse daran, daß diese Bauern- 
güter nicht verschwanden. Wenn nun der Bauer 
durch seinen Gutsherrn überlastet war, so war die 
Folge für den Staat ein Steuerausfall. So sorgte 
der Staat dafür, daß dem Bauern nicht zu hohe 
Fronen zugemutet wurden; so befolgten Osterreich 
und Preußen gleichmäßig den Grundsatz: Bauern- 
güter dürfen von der Gutsherrschaft nicht ein- 
gezogen werden. Unter Maria Theresia fing der 
Bauer an, als Mensch zu gelten. Doch erst 
Joseph II. vernichtete die Erbuntertänigkeit, nun- 
mehr wurden auch die Bauern der Gutsherren frei, 
nachdem bereits vorher die Domanialbauern frei 
geworden waren unter Maria Theresia. 
Diese Erbuntertänigkeit war aber doch nicht das, 
was die Bezeichnung, die man ihr bisweilen gab, 
andeuten könnte, Leibeigenschaft; die Erbunter- 
tänigkeit ist zwar ein Stand der Unfreiheit, aber 
nicht Sklaverei; sie fesselte den Bauer an das Gut 
des Herrn, nicht aber an die Person des Herrn; 
auch gestattete sie ihm Vermögenserwerb. Das 
berühmte Patent Josephs II. vom 1. Nov. 1781 
hob jede Unfreiheit völlig auf. Erst 26 Jahre 
später, 1807, folgte Preußen unter Friedrich 
Wilhelm III. Seit 1799 bis 1805 fand dort die 
langsame, aber sichere Umwandlung der Domänen= 
bauern in freie Leute und mäßig belastete Eigen- 
Hörigkeit usw. 
  
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tümer statt; die völlige Aufhebung der Erbunter- 
tänigkeit, auch für die Gutsherrnbauern, folgte 
dann 1807. 
2. In den deutschen Mittel- und 
Kleinstaaten. Schon vorher hatten nach dem 
Vorbilde der französischen Revolutionsgesetzgebung 
Baden, Hohenzollern-Hechingen, Isenburg und 
Schleswig-Holstein die Bauernbefreiung durch- 
geführt. Es folgten Bayern (1808), Oldenburg 
(1811), Württemberg (1817), Großherzogtum 
Hessen und Mecklenburg (1820); in Mecklenburg 
erhielten die Bauern zwar das Recht des Abzuges, 
aber nicht das Recht, sich beliebig im Lande anzu- 
siedeln. In Hannover, Kurhessen (1831) und 
Sachsen (1832) befreite man erst unter dem 
Druck der Julirevolution (1830) die Bauern von 
jeder rechtlichen Abhängigkeit. 
VII. Die Hörigkeit und Teibeigenschaft in 
andern Ländern. 1. In Frankreich dürfte 
es kaum zu einer förmlichen rechtlichen Erhe- 
bung der eigentumslosen Leibeigenen zu Hörigen 
mit beschränktem Eigentumsrecht gekommen sein, 
wenigstens nicht in der Regel und nicht auf dem 
Wege der Gesetzgebung. In der Bretagne hörte 
die Unfreiheit infolge der durch die Normannen- 
kriege herbeigeführten Verwirrung und Unmög- 
lichkeit, die Herrschaftsrechte auszuüben, schon im 
9. Jahrh. auf. In der Normandie verschwand sie 
im 12., in Isle de France im 13. Jahrh., an 
dessen Ende sie dort nicht mehr vorkam, und so 
hörte sie allmählich noch im Mittelalter überall 
in Frankreich auf, so daß es dort vor der Revo- 
lution nur noch in der erst 100 Jahre früher 
von Spanien abgetretenen Franche-Comté etwa 
12.000 Unfreie gab, zu denen dann noch die von 
Nevers, welches als Kronlehen im Besitze des 
Hauses Gonzaga war, zu rechnen sind. 
2. Ahnlich wie in Frankreich vollzog sich der 
allmähliche Befreiungsprozeß der Unfreien verschie- 
dener Art auch in Italien. Kaiser Heinrich V. 
machte dort die Handwerker der Städte frei. Die 
Stadt Bologna schenkte auch allen ackerbautrei- 
benden Hörigen usw. die Freiheit. Es waren 
dort überhaupt die städtischen Kommunen mäch- 
tige Hebel zur allmählichen Vernichtung der per- 
sönlichen Unfreiheitsverhältnisse. Sie gewährten 
nämlich den flüchtigen Leibeigenen und Hörigen 
Zuflucht, kauften unter Umständen auch solche los 
und bewogen sogar in Fehden mit großen Grund- 
herren, welche sie auszufechten hatten, die Unfreien 
zum Aufruhr gegen jene und zur Unabhängig- 
keitserklärung. So nahm denn die Zahl der 
Unfreien immer mehr ab. Auch verminderte sich 
im 12. und 13. Jahrh. die Zahl der dem häus- 
lichen Dienste gewidmeten Unfreien durch das 
Aufkommen der Verwendung von Dienstboten, 
wie sie noch jetzt diese Arbeiten versehen. Doch 
fanden sich in Italien noch im 14. Jahrh. Hörige 
vor, und in Venedig und seinem Gebiete wer- 
den in dieser Zeit sogar noch christliche Sklaven 
erwähnt, worunter sicher zu häuslichen Diensten
	        
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