Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Das Jahr 1848 vertrieb ihn wenige Monate 
nach dem Sturze Metternichs wieder aus Oster- 
reich. Er begab sich in die Mitte seiner Münchener 
Freunde. Da rief ihn das weite Entgegenkommen 
des Ministeriums Schwarzenberg gegen die Kirche 
1850 nach Wien zurück. Er war voller Hoff- 
nungen für den Katholizismus; doch sollte ihm 
eigene Mitarbeit an der Zukunft kaum noch ver- 
gönnt sein. Ein quälendes Leiden befiel ihn, das 
den eben erst 51jährigen am 27. Dez. 1852 tötete. 
„Wenige Menschen“, sagt Klinkowström auf Grund 
genauer persönlicher Bekanntschaft, „haben in einem 
nicht langen Leben so viel und mit solcher Tatkraft 
gearbeitet wie Jarcke.“ 
Jarcke hat den Hauptertrag seiner politischen 
Schriftstellerei selbst in vier Bänden gesammelt, 
von denen drei 1839 mit Aussätzen aus den Jahren 
1881/37, der vierte mit Arbeiten und Auszügen 
aus dem Reste seines Lebens nach seinem Tode 
veröffentlicht wurden. Seine Schriftstellerei gilt 
vornehmlich drei Dingen: der Lehre vom Staate, 
dem Verhältnis von Staat und Kirche und der 
staatlichen Stellung Osterreichs. 
Jarcke schreibt immer als Politiker für die 
Gegenwart und fast immer in Anwendung auf 
den praktischen Fall. Er will seine Lehren stets 
der wirklichen Geschichte entnehmen; er glaubt zu 
seinen Schlüssen auf induktivem Wege gelangt zu 
sein; er wird nicht müde, alles Doktrinäre zu ver- 
urteilen. Aber trotzdem ist er durch und durch 
Professor und Theoretiker. So viele Geschichts- 
kenntnisse er hat, so wenig besitzt er geschichts- 
wissenschaftliche Bildung und so wenig hat er den 
Trieb zu sachlicher Forschung. Er hat die ganze 
zergliedernde Schärfe des Juristen, er ist von einer 
schneidenden, oft unwiderstehlichen Dialektik des 
logischen Denkens. Er sieht die Dinge immer 
gegeneinander, nicht in ihrer geschichtlich bedingten 
Entwicklung auseinander; und er hat gut reden, 
daß die Meinung falsch sei: der Staat lasse sich 
„nach Prinzipien“ machen, da er „doch etwas Ge- 
wordenes und Werdendes darstelle“, — er selbst 
legt sich jede Staatsform immer nach ihren „Prin- 
zipien“ zurecht. Jarcke ist ein Meister der geist- 
sprühenden Antithese. „Es gibt keine Wahl, ent- 
weder gleiche Gerechtigkeit für jeden, d. h. 
Heiligkeit jedes Besitzes und Eigentums, oder 
gleiche Rechte, d. h. Krieg der Armen gegen 
die Reichen.“ Die Fülle seiner Gedanken reißt 
noch mehr hin als die lebendige meisterliche Form, 
in der er sie uns darlegt. Was er auch sagt, aus 
allem erklingt ein frisches, starkes Temperament, 
ob er nun meint, daß die Gefahr einer herein- 
brechenden Barbarei im anhaltenden Frieden größer 
sei als im Kriege und die Menschheit beider Zu- 
stände bedürfe wie die Erde des Sonnenscheins 
und Regens, oder ob er über die moderne Forde- 
rung einer „unparteiischen“, über den Parteien 
stehenden Regierung höhnt; jeder Mensch sei uns 
Freund oder Feind, und dem Feind gegenüber sei 
bloße Verteidigung Selbstmord. „Offenem, ent- 
Jarcke. 
  
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schlossenem, kühnem Angriff ist die Revolution 
nicht gewachsen."“ 
Dennoch finden all seine geistigen Fähigkeiten 
eine Schranke an seinem eigenen Staatssystem und 
dessen subjektiver Begründung. Er war aus der 
Schule Hallers hervorgegangen und ist in dessen 
Gedankenkreise stets geblieben. Der germanisch- 
mittelalterliche Staat ist ihm der Idealstaat. Seine 
Spitze ist immer ein Fürst. Denn es ist die Natur 
aller Herrschaft, daß sie einheitlich ist, von einem 
kleinen Kreise unter Führung eines Einzigen ge- 
übt wird. „Nur der Fürst hat eine Seele und ein 
Gewissen“, und nur der Fürst kann jeden guten 
Gedanken anerkennen, woher er auch komme. Der 
Fürst regiert kraft Erbrechts, weil dieses am ehesten 
die Fähigkeit zur Regierung verbürgt und durch 
die Verknüpfung mit dem Familieninteresse am 
wirksamsten selbstsüchtiger Ausbeutung der Macht 
durch den einzelnen vorbeugt. Aber im übrigen 
bleibt der genossenschaftlichen Entwicklung, so- 
lange sie kein fremdes Recht beugt, vollkommene 
Freiheit. Es ist charakteristisch für den germanisch- 
mittelalterlichen Staat, daß sich seine monarchi- 
sche Spitze mit dem republikanischen Wesen etwa 
der Gemeindeverwaltungen verträgt. Er ist der 
Staat der Freiheit, denn er ist nur Rechtsstaat. 
Sein Fürst will nichts als Schirmherr gegen aus- 
wärtige Feinde und Wahrer der Gerechtigkeit im 
Innern sein. Die Ansprüche, die der Fürst an 
jedes Glied des Staatswesens stellen kann, sind 
vertragsmäßig festgelegt. Jeder Untertan ist auto- 
nom in den Grenzen seiner Rechtssphäre; der König 
ist dazu da, ihn darin zu schützen. Es gibt in 
diesem Staate noch keine allgemeine Staatsidee, 
man weiß von keiner allgemeinen Staatswohlfahrt 
oder Staatsnotwendigkeit, der gegenüber das Recht 
des einzelnen zurücktritt, da der Staat die Für- 
sorge für die Wohlfahrt seiner Angehörigen ihnen 
selbst überläßt; er hat „nicht die Verpflichtung, 
die Menschen glücklich zu machen“, nicht die Be- 
fugnis zum „Raube“ an den Reichen „um der Liebe 
willen, damit er dem Armen Obdach, Nahrung 
und Kleidung gewähre“. Es liegt vielmehr in 
seiner Art, sich selbst zu beschränken und möglichst 
alle Aufgaben der Gesellschaftsordnung außer der 
Rechtspflege und Kriegführung besondern Institu- 
tionen zu überlassen. Durch diese Selbstbeschrän- 
kung ermöglicht er der Gesellschaft, mit ihren Insti- 
tutionen der Veränderlichkeit und Vielgestaltigkeit 
des Lebens zu folgen, und wenn er nicht allen seinen 
Angehörigen gleiche Rechte verspricht, so sichert er 
dafür einem jeden alle Freiheit, die er ihm ermög- 
lichen kann. „Es versteht sich von selbst, daß, wo 
eine alte Verfassung mit alten Rechten in anerkann- 
ter Wirksamkeit besteht, wie in Mecklenburg, 
sie diesen Erwägungen der Nützlichkeit um so weni- 
ger zum Opfer fallen darf, als jene alte Verfas- 
sung, unbeschadet ihres Wesens, mannigfacher, 
jene Mängel ersetzender Veränderungen fähig ist.“ 
Das gerade Gegenteil des an Vorzügen so 
reichen germanisch-mittelalterlichen Staates sieht
	        
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