Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1343 
Moralsystem sein, zu welchem ihn die Jesuiten- 
gegner zu machen suchen. Zweitens, wenn der 
Orden keine Geistestyrannei üben wollte, so 
konnte er seinen Mitgliedern die Annahme und 
Vertretung dieses Systems nicht untersagen. Übri- 
gens ist es jedem Jesuiten erlaubt, den sog. Pro- 
babiliorismus zu verteidigen (Cong. 13, decr. 18). 
Allein der echte Probabilismus ist eher ein strenges 
als ein laxes Moralsystem. Seine Grundlagen 
sind nämlich kurz folgende: Selbst dort, wo nach 
gewissenhafter und allseitiger Prüfung nichts im 
strengen Sinne Gewisses für eine vorhandene 
Verpflichtung von irgend einer Seite ausgemacht 
werden kann, muß dennoch auf das Vorhanden- 
sein einer solchen erkannt werden, wenn gewichtigen 
Gründen für dieselbe nicht ebenfalls absolut und 
relativ gewichtige Gründe gegen dieselbe entgegen- 
stehen. Im entgegengesetzten Falle, wo absolut 
und relativ gewichtige Gründe gegen die Ver- 
pflichtung sprechen, ist die Verpflichtung als sehr 
zweifelhaft nicht zu urgieren. Drei Momente 
werden also zu einer wahrhaft probabeln Mei- 
nung, der man folgen darf, nach den Grund- 
sätzen des echten Probabilismus gefordert: 1) Es 
darf sich nach angestellter gewissenhafter und mög- 
lichst allseitiger Prüfung kein durchschlagender 
Grund für das Bestehen einer Verpflichtung von 
irgend einer Seite ergeben. Es müssen 2) mehr 
oder minder wahrhaft wichtige Wahrscheinlichkeits- 
gründe für das Bestehen einer derartigen Ver- 
pflichtung vorhanden sein. Wo diese fehlen, liegt 
allenfalls ein bloßer negativer, schlecht begrün- 
deter Zweifel betreffs der Verpflichtung vor, den 
man verachten muß. Es müssen endlich 3) auch 
wahrhaft solide Gründe vorgebracht werden gegen 
das Bestehen derselben Verpflichtung; d. h. es 
müssen gewichtige Gründe vorliegen, welche es 
mehr oder minder wahrscheinlich machen, daß die 
entgegengesetzten Gründe für die Verpflichtung 
trotz des gegenteiligen Scheines nur Scheingründe 
sind (vgl. Duhr, Jesuitenfabeln (11904) 481 ffl. 
Der Grundsatz, daß der Zweck die Mittel 
heilige, ist, uneingeschränkt verstanden, im höch- 
sten Grade unsittlich, in richtiger Beschränkung 
dagegen sehr wahr. Wenn die gewählten Mittel 
an sich gut oder doch an sich sittlich indifferent 
sind, so werden sie durch den guten Zweck aller- 
dings geheiligt. Und nur in diesem Sinne und 
Zusammenhange stellen die Jesuiten, auch Busen- 
baum, Filliucius u. a., diesen Satz auf. Daß aber 
ein guter Zweck ein unsittliches Mittel jemals 
seiner Unsittlichkeit entkleiden und es heiligen 
könne, hat niemals ein Jesuit gelehrt. Darüber 
kann vernünftigerweise kein Zweifel obwalten. 
Denn in all den vielen großen Kommentaren, 
welche die verschiedensten Jesuiten zum ersten Ab- 
schnitt des zweiten Teiles (ad 1 °2 2669) der theo- 
logischen Summa des hl. Thomas von Aquin, 
des theologischen Führers aller Jesuitenschulen, 
verfaßt haben, wird mit der größten Übereinstim- 
mung und Ausführlichkeit die Lehre vorgetragen, 
Jesuiten. 
  
1344 
daß zur sittlichen Gutheit einer Handlung nicht 
bloß der sittlich gute Zweck gehöre, sondern daß 
auch das Objekt und das Mittel wenigstens nicht 
sittlich schlecht sein dürfe; endlich dürfe kein Um- 
stand vorhanden sein, welcher durch seine sittliche 
Verkehrtheit die Handlung trotz guten Zweckes 
und trotz guten Gegenstandes vom Guten zum 
Bösen verkehre. Aus dem Zusammenhang ge- 
rissene, vielleicht auch weniger scharf gefaßte, weil 
selbstverständliche Texte oder Texte, die von den 
Gegnern aus Unwissenheit, Urteilslosigkeit, Bos- 
heit verstümmelt, mißkonstruiert oder mißverstan- 
den wurden, vermögen niemals das Gegenteil zu 
beweisen. Die die ganze Jesuitenmoral beherr- 
schenden Fundamentalsätze liegen allzu klar zutage 
(ogl. Duhr a. a. O. 542 ff; dort auch S. 562 über 
den Prozeß Dasbach-Hoensbroech; das Urteil des 
Kölner Oberlandesgerichts gegen Hoensbroech in 
Kölnische Volkszeitung 1905, Nr 273). 
Über Mariana, dessen noch so verklausulierte 
Lehre von der Erlaubtheit des Tyrannenmordes 
der Orden aufs entschiedenste von sich wies und 
allen Mitgliedern unter den schwersten Strafen 
verbot, vgl. Duhr a. a. O. 722 ff. 
III. Der äußere Ordensaufbau. Die eigent- 
liche innere gesetzgeberische Gewalt des Ordens liegt 
in der Hand der sog. Generalkongregation, 
da sie die einzige rechtliche Repräsentation des 
ganzen kirchlich autonomen Ordens ist. Jedoch 
ist für den Zusammentritt derselben im Institute 
keine bestimmte Zeit festgesetzt, außer beim Tode 
des Generals zur Neuwahl seines Nachfolgers. 
In andern außerordentlichen Fällen ist es Sache 
entweder des Generals selbst oder seiner Assistenten, 
sie zu berufen (Const. 8, c. 2, § 1; vgl. 9, c. 4, 
§ 7;c. 5, § 4). Die Generalversammlung des 
Ordens setzt sich zusammen aus dem General oder 
seinem Vikar, den Assistenten, den zeitigen Ordens- 
provinzialen bzw. ihren Stellvertretern und aus 
zwei Deputierten jeder Provinz (Const. 8, c. 3, 
§5 1 u. Ah). Letztere werden von den einzelnen 
Provinzialkongregationen gewählt. Diese selbst 
bestehen aus dem jedesmaligen Provinzial, den 
Rektoren und den älteren Professen jeder Ordens- 
provinz (Const. 8, c. 3, 82; Congr. 4, decr. 35, 
37, 39; 5, decr. 24, 38, 60, 81). Diesen 
Kongregationen kommt indessen keine Jurisdik- 
tionsgewalt zu. Die Generalkongregation hin- 
gegen kann 1), insofern sie nur die durch die päpst- 
lichen Konstitutionen unverrückbar festgelegten 
Grundlagen des Ordens wahrt und den Unter- 
gebenen keine die gemachte Profession wesentlich 
überschreitenden Pflichten auflegt, alle in den 
Rahmen des Ordenszweckes fallenden Gesetze und 
Konstitutionen erlassen, frühere aufheben und ab- 
ändern; sie hat 2) allein die Macht, den General 
zu wählen oder auch in gewissen Fällen ihn ab- 
zusetzen; bei ihr allein steht es 3), einmal begrün- 
dete Profeßhäuser und Kollegien wieder aufzu- 
lösen (Const. 8, c. 2, § 2). Es bedarf kaum der 
Erwähnung, daß päpstlichen Verfügungen, welche
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.