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Abfall der bourbonischen Fürsten vom Papste
drohte, da war es mit dem an sich schon nicht
starken Widerstande vollends aus. Scheinvisitatio-
nen, die mit Austreibung der Patres aus den be-
treffenden Kollegien endigten, folgten rasch auf-
einander. Endlich unterzeichnete Klemens XIV.
am 17. Juni 1773 das Aushebungsbreve Do-
minus ac Redemptor noster. Am 16. Aug.,
gegen 6 Uhr abends, wurde das Breve im Gesn
und in den andern Häusern des Ordens zu Rom
verkündet. Archive und Sakristeien wurden ver-
siegelt, sämtliche Jesuiten in ihren Häusern inter-
niert und einstweilen von allen geistlichen Funk-
tionen suspendiert. Der General Laurentius Ricci
wurde zuerst im englischen Kolleg, dann in der
Engelsburg in strengem Gewahrsam gehalten, bis
er nach zwei Jahren in der Haft verschied. Seine
Assistenten und ein paar andere hervorragende
Ordensmitglieder teilten seine Gefangenschaft.
Schamlose Plünderungen von seiten der mit Aus-
führung des Breve betrauten Prälaten Alfani,
Macedonio, Buontempi folgten der Auflösung.
Strafwürdiges aber wurde trotz der Durchmuste-
rung aller Archive, trotz der strengsten Untersuchung,
die das schon vollstreckte Urteil nachträglich recht-
fertigen sollte, bei den Jesuiten nicht entdeckt.
Das Breve selbst zerfällt in drei Teile. Nach
der Einleitung wird zuerst dargetan, daß schon
mancher Orden in der Kirche von den Päpsten
aufgehoben worden ist (§§ 1/14); sodann werden
alle jene Vorwürfe, Anklagen usw. vorgetragen,
mit welchen man den Orden anzugreifen pflegte
(6§ 15/22). Daß aber alle diese Beschuldigungen
wahr seien, wird nicht gesagt. Es ist stets nur die
Rede von Anklagen, Vorwürfen usw.; erst im
§ 21 findet sich endlich Tatsächliches. Welche
Schuld aber dabei den Orden als solchen trifft,
bleibt dunkel. Zum Teile sind die behaupteten Tat-
sachen selbst unrichtig angegeben, so wenn gesagt
wird, Klemens XIII. sei die Bestätigungsbulle so-
zusagen abgezwungen worden (Duhr, Jesuiten=
fabeln I11904) 423). Endlich beginnt mit 8 25 der
wichtigste und dispositive Teil des Breve. Als maß-
gebende Gründe für die Aufhebung werden folgende
angegeben: die Herstellung des Friedens in der
Kirche; die Unmöglichkeit für den Orden, jetzt noch
ebenso reiche Früchte für die Kirche wie ehedem
hervorzubringen (ein Satz, durch welchen indirekt
manche vorher erwähnte Anklagen als unzutreffend
gekennzeichnet werden); endlich Gründe, von wel-
chen der Papst glaubt, sie in seiner Brust ver-
schlossen halten zu müssen. Unter diesen Gründen
ist keine erwiesene Schuld des Ordens zu verstehen,
denn nach § 35 des Breve ging keine Untersuchung
vorher; selbst später ergab sich nichts. Ja der in-
grimmige Jesuitenfeind Kardinal Malvezzi von
Bologna hatte dem Papste von einer solchen vor-
hergehenden Untersuchung aufs entschiedenste ab-
geraten, weil dieselbe mit der Konstatierung der
vollkommenen Unschuld des Ordens endigen und
damit ein unter den gegebenen Umständen höchst
Jesuiten.
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unerwünschtes Resultat liefern würde. Und wenn
der Papst im späteren Verlaufe des Breve die Mit-
glieder des Ordens ohne weiteres zur Bekleidung
aller kirchlichen Würden und Amter fähig erklärte,
so ergibt sich daraus unmittelbar, daß gar nichts
gegen sie vorlag. Ein wichtiger Umstand, welcher
dieses Breve betrifft, darf nicht unerwähnt bleiben.
Eine öffentliche, allgemeine Promulgation des-
selben fand niemals statt. Die Promulgation ist
nun aber ein wesentliches Requisit jedes Gesetzes
(ogl. § 35 des Breve). Mithin blieb der Erfolg
dieses Gesetzes suspendiert, bis die Promulgation
und Notifikation desselben in den einzelnen Diö-
zesen, oder vielmehr, wie es in der betreffenden
Ausführungsbestimmung vom 18. Aug. 1773 an-
geordnet war, in den einzelnen Häusern stattge-
funden hatte. Da nun Katharina II. von Ruß-
land eine solche Promulgation in ihren Ländern
aufs entschiedenste verhinderte, so blieb der Orden
dort fortbestehen, und es konnten die dortigen
Jesuiten mit gutem Gewissen fortfahren, nach ihren
Gelübden und Ordenssatzungen zu leben. Am
12. März 1783 gab Pius VI. mündlich die Geneh-
migung zum Fortbestehen des Instituts in Rußland.
VI. Wiederaufrichtung des Ordens. Die
völlige Wiederaufrichtung des Ordens erfolgte nur
allmählich: zuerst für Rußland auf das Gesuch
des Zaren Paul I. durch Breve vom 7. März
1801. Dann für das Königreich beider Sizilien
auf das Ansuchen desselben Ferdinand I. (IV.),
der, von andern bestimmt, die Jesuiten 37 Jahre
früher aus seinen Staaten vertrieben hatte, unter
dem 30. Juli 1804. Zwar wurden die Patres
von Napoleon schon 1806 aus der Stadt und dem
Königreich Neapel wieder ausgewiesen; aber in
Sizilien verblieben sie, und als die Franzosen-
herrschaft aufhörte, kehrten sie auch wieder nach
Neapel zurück. Die aus Neapel Vertriebenen hatten
das Exil benutzt, im Kirchenstaate neue Nieder-
lassungen zu gründen und die Franzosen hatten
derselben geschont. Den in England, Irland,
Amerika lebenden Ex-Jesuiten hatte Pius VII.
schon früher verstattet, sich dem in Rußland wieder-
errichteten Orden in foro conscientiae anzu-
schließen. Am 24. Dez. 1813 erfolgte von Fon-
tainebleau aus für diese Länder die kanonische
Wiederherstellung des Ordens. Endlich war die
Zeit da, den Orden wiederum auf dem ganzen
Erdenrunde ins Leben zu rufen. Dieses geschah
auf die Bitten fast des ganzen katholischen Erd-
kreises, vieler Erzbischöfe und Bischöfe, durch die
Bulle Sollicitudo omnium ecclesiarum am
7. Aug. 1814 durch Pius VII. Über die Wirk-
samkeit der Jesuiten in Deutschland 1848/72
geben Aufschluß die Aktensammlungen von Duhr,
Aktenstücke zur Geschichte der Jesuitenmissionen in
Deutschland (1903) und von Rist, Die deutschen
Jesuiten auf den Schlachtfeldern und in den
Lazaretten 1866 und 1870/71 (1904).
VII. Das Verhältnis der Staatsgewalt
zum Orden ist als ein in einzelnen Ländern dem