Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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soll die Finanzkraft des Auslandes, in erster Linie 
Deutschlands, und damit die Grundlage seiner 
Seemacht durch Sperrung der britischen Märkte 
gehemmt werden. In erster Linie soll Deutsch- 
lands Wirtschaftsentwicklung auf diese Weise lahm- 
gelegt werden. Die wirtschaftliche Entwicklung 
der Kolonien soll durch Gewährung von Vor- 
zugszöllen beschleunigt werden, womit auch der 
politische Zusammenhang des Reiches befestigt 
würde. Zur Durchführung der imperialistischen 
Wirtschaftspolitik wurden Handelsverträge abge- 
schlossen zwischen England und den zu wenigen, 
großen Wirtschaftsgebieten zusammengeschlossenen 
Kolonien: Britisch-Nordamerika, Australien, Süd- 
afrika. Und bereits drohen dem englischen Frei- 
handel recht große Gefahren, bereits sehen die 
imperialistischen Finanzreformer nur in einem 
dreifachen Zolltarif die handelspolitische Rettung: 
ein autonomer oder Maximaltarif, ein Vertrags- 
tarif für das zollbefreundete Ausland und ein 
Vorzugstarif für die britischen Kolonien. 
6. Der Imperialismus hat in der Vielgestal- 
tigkeit seiner Lebensäußerungen auch eine Reihe 
von Nebenströmungen im Gefolge, so den 
sog. „Iingoismus“, d. h. die säbelrasselnde 
Überhebung und schmähende Gehässigkeit gegen 
andere Nationen. Zu nennen ist ferner der Pro- 
tektionismus, der ebenfalls durch die staat- 
liche Gewalt die Stellung des einzelnen Landes 
in der Welt wirtschaftlich zu beeinflussen sucht. 
Die Mittel des Imperialismus sind Territorial- 
hoheit über auswärtige Gebiete, die des Protek- 
tionismus sind die der Zollgesetzgebung. Weitere 
Nebenströmungen sind der Militarismus 
und der Cäsarismus. Jener ist die Konse- 
quenz aus dem Bestreben, ein weltumfassendes 
Herrschaftsgebiet zu schaffen und auf die Dauer 
aufrecht zu erhalten, was nur mit großer Land- 
und Seemacht möglich ist. Der Cäsarismus will 
alle militärischen Machtmittel in eine Hand legen 
und durch straffste Disziplin auch in nichtmili- 
tärischen Dingen das Imperium dem Imperator 
unterordnen. 
Literatur. Dove, Der Wiedereintritt des na- 
tionalen Prinzips in die Weltgeschichte (1890); 
Jellinek, Allgemeine Staatslehre (1900); Richard 
Schmidt, Allgemeine Staatslehre (1901/03); Ca- 
threin, Moralphilosophie 1I (71904); Berard, 
L’Angleterre et lmpérialisme (Par. 1901); E. 
Marcks, Die imperialistische Idee in der Gegen- 
wart (1903); Peters, England u. die Engländer 
(1904); Hobson, Imperialism, a study (nu. Ausg., 
Lond. 1905); v. Oppenheim, Engl. J. (1905); Hein- 
rich XXXlIII. Prinz Reuß j. L., Der brit. J. (Diss., 
Berl. 1905); Borgius, J. (1905); Reimer, Ein 
pangerman. Deutschland (1905); Dove, Die angel- 
sächs. Riesenreiche. Eine wirtschafts-geographische 
Untersuchung. I. Das brit. Weltreich (1906); Seil- 
liere, La philosophie de limpérialisme, 4 Bde: 
1. Bd (Par. 1907), 2. u. 3. Bd übers. von Th. 
Schmidt (Berlin), 4. Bd übers. von Fr. v. Oppeln- 
Bronikowski (Berlin 1907); Saenger, Die wirt- 
schaftl. Aussichten des brit. J. (1906); v. Schulze- 
Impfzwang — Innere Mission. 
  
1372 
Gävernitz, Brit. J. u. engl. Freihandel zu Beginn 
des 20. Jahrh. (1906); H. St. Chamberlain, Die 
Grundlagen des 19. Jahrh. (1909); T. Adam, 
Les lmpérialismes et la morale des peuples 
(Par. 1908); Kretzer, J. u. Romantik (1908); 
Brodnitz, Für u. wider den brit. J., in den Jahr- 
büchern für Nationalökonom. u. Statistik, 3. Folge, 
36. Bd (1908), S. 388 ff. E. Baumgartner.] 
6e Impfzwang s. Gesundheitspflege (Sp. 661, 
4). 
Indemnitätserteilung (nachträgliche 
Ausgabenbewilligung) s. Staatshaushalt und 
Steuerbewilligung. 
Index (der verbotenen Bücher) s. Bekenntnis- 
freiheit (Bd I, Sp. 704). 
Indien s. Großbritannien (Sp. 892 ff). 
Indifferentismus s. Bekenntnisfreiheit 
(Bo I,. Sp. 700). 
Indigenat s. Staatsangehörigkeit. 
Individualismus s Liberalismus, Volks- 
wirtschaftslehre. · 
Industrie s. Gewerbe, Gewerbefreiheit 
(Sp. 684 ff). 
JInnere Kolonisation s. Kolonisation, 
innere. 
Innere Mission. Die Bezeichnung „in- 
nere Mission“ bezieht sich auf das Wirken für 
Belebung des christlichen Gedankens innerhalb der 
christlichen Völker im Gegensatze zu der äußeren 
Mission als der Arbeit für Verbreitung des Christen- 
tums unter den Heiden. Der Ausdruck hat sich 
durch die geschichtliche Entwicklung vorwiegend im 
evangelischen Deutschland eingebürgert, hat aber 
an sich keine Beziehung zum Protestantismus als 
solchem, weil er nichts spezifisch Protestantisches 
darstellt. Der Name „innere Mission“ scheint 
1842 von Professor Lücke in Göttingen zuerst in 
dem heute gebräuchlichen Sinne angewendet worden 
zu sein. Zur allgemeinen Geltung wurde er aber 
durch Wichern gebracht. Jene Richtung des Prote- 
stantismus, welche man unter dem Sammelbegriff 
des „Pietismus“ zusammenfaßt und als deren 
Hauptvertreter Francke (1663/1727) und Spener 
(1635/1705) wohl gelten dürften, hatte nicht allein 
die Notwendigkeit werktätiger Nächstenliebe in ganz 
anderer Weise wie Luther mit seiner Solafides- 
theorie betont, sondern auch durch zahlreiche Schöp- 
fungen dem Geiste praktischen Christentums Aus- 
druck verliehen. Weiter hatte Urlsperger durch die 
1780 nach dem Muster der englischen „Gesellschaft 
zur Förderung christlicher Erkenntnis“ gegründete 
„Deutsche Christentums-Gesellschaft“ die Anregung 
zuverschiedenen Einrichtungen wirksamer Fürsorge- 
tätigkeit gegeben. Auch mit den Namen evange- 
lischer Männer wie Spittler, Kießling, Pesta- 
lozzi, Zeller, Oberlin, Hauge, Hahn, Falk. Frhrvon 
Kottwitz. Graf von der Recke-Vollmarstein, Ho- 
ward, Chalmers u. a. in dem letzten Viertel des 
18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrh. verknüpft 
sich die Erinnerung an mancherlei Charitasarbeiten. 
Aber erst Wicherns organisatorischem Talent war
	        
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