Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Anstalten der innern Mission, indem er ihnen 
Rat und Hilfe gewährt und seine Vermittlung 
anbietet zur Herstellung einer organischen Ver- 
bindung unter ihnen; 2) Anregung zur Gründung 
neuer Anstalten der innern Mission; 3) Schaf- 
fung selbständiger Unternehmungen, und zwar 
vorzugsweise solcher, die sich auf das gesamte 
Arbeitsfeld der deutschen innern Mission be- 
ziehen. Die berufsmäßigen Mitarbeiter zerfallen 
in drei Klassen: 1) theologische Berufsarbeiter 
(„Vereinsgeistliche“ genannt. a) Geistliche an An- 
stalten (Bildungsanstalten, Rettungshäusernusw.!], 
b) Geistliche zur Förderung einzelner Arbeits- 
zweige [Gefängniswesen, Bibelgesellschaften usw.)], 
I“) Geistliche zur Leitung der Stadtmission, d) Geist- 
liche zur Verwaltung der Angelegenheiten der 
Provinzial= und Landesvereine, e) Kandidaten zur 
Assistenz der unter a—d aufgeführten Geistlichen), 
2) Diakonen oder Brüder, 3) Diakonissen. Die 
Brüder werden ausgebildetteils für das Erziehungs- 
wesen teils zur Krankenpflege, und zwar werden 
angenommen junge Leute von 19—30 Jahren, 
welche „entschieden christliche Gesinnung, technische 
Befähigung und pädagogische Tüchtigkeit“ besitzen, 
unverheiratet und unverlobt sind, militärfrei und 
gesund an Leib und Seele. Nach der Ausbildung 
steht ihnen erst die Eingehung einer Ehe frei. Die 
größten Brüderanstalten sind gegenwärtig in Ham- 
burg, Duisburgund im Johannesstiftin Berlin. Die 
Diakonissenhäuser werden in drei Gruppen geteilt: 
1) den sog. Kaiserswerther Verband, 2) diejenigen, 
welche eines Kartells mit andern Mutterhäusern 
entbehren, 3) die Mutterhäuser für Kleinkinder- 
pflegerinnen. Die Werke der innern Mission um- 
fassen nach Bestand, Ziel und Arbeitsmethode 
(vgl. dazu Wurster): 1) Kampf gegen vorwiegend 
physische Notstände (Pflege der Gebrechlichen und 
Kranken), 2) Kampf gegen vorwiegend soziale 
Notstände (Linderung durch Einzelfürsorge und 
Anbahnung neuer sozialer Verhältnisse), 3) Kampf 
gegen vorwiegend sittliche Notstände (Bewahrung 
der sittlich Gefährdeten, Rettung der Verlore- 
nen, Bewahrungsarbeit gegenüber Volkslastern), 
4) Kampf gegen vorwiegend religiös-kirchliche 
Notstände (Ausdehnung der Wortverkündigung auf 
Gebiete, welche von den geordneten kirchlichen 
Amtern nicht erreicht werden, und Pflege der christ- 
Lse Volksbildung, christliche Gemeinschafts- 
pflege). 
Wenn wir die Vorlesungsverzeichnisse der evan- 
gelisch-theologischen Fakultäten der deutschen Uni- 
versitäten durchsehen, so finden wir, daß gegen- 
wärtig zahlreiche Spezialvorlesungen über innere 
Mission jährlich gehalten werden. Seit dem Jahre 
1886 finden auch jedes Jahr besondere Kurse 
für die verschiedenen Berufskreise statt, um deren 
Angehörige in kürzerer Zeit sowohl über die Ge- 
samtziele, wie auch über einen Kreis besonders wich- 
tiger Gebiete der innern Mission aufzuklären. 
Von großer Wichtigkeit sind auch die jährlich statt- 
findenden Konferenzen der Arbeiter jedes einzelnen 
Staatslexikon. II. 3. Aufl. 
Innung. 
  
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Arbeitsgebietes. Außer einer umfangreichen Spe- 
zialliteratur findet sich auch in jedem neueren System 
der evangelischen Pastoraltheologie ein Abschnitt 
über innere Mission. Als eine Zentralstelle für 
einen Volksverein für das evangelische Deutschland 
kann man die 1908 gegründete „Wichernvereini- 
gung zur Förderung christlichen Volkslebens“ be- 
trachten. 
Literatur. Oldenberg, J. H. Wichern, Leben 
u. Wirken (1882/87); Krummacher, J. H. Wichern, 
ein Lebensbild aus der Gegenwart (1882); Ges. 
Schriften J. H. Wicherns (1901 ff); Diakonik v. 
Schäfer in Zöcklers Handbuch der theol. Wissen- 
schaften; Schäfer, Leitfaden der i. M., zunächst für 
den Berufsunterricht in Diakonen= u. Diakonissen- 
anstalten (mit ausgedehnten Literaturangaben über 
die einzelnen Zweige der Tätigkeit der i. M.) 
(1907); die Art. „Wichern" in Herzogs Realenzy- 
klopädie, im evang. Volkslexikon, im Handwörter- 
buch der Staatswissenschaften, im Kirchenlexikon 
von Wetzer u. Welte; Wurster u. Hennig, Was 
jedermann heute von der i. M. wissen muß (1902); 
Jesu Taten in unsern Tagen (1905); Uhlhorn, 
Christliche Liebestätigkeit (1905); Bericht des Zen- 
tralausschusses „Fünfzig Jahre i. M.“ (1898); die 
Art. in der „Charitas“, Jahrg. 1901, S. 196, 217, 
250, 264; Jahrg. 1902, S. 84, 115, 131, 170; 
Jahrg. 1903, S. 81; Jahrg. 1908, S. 203, 226; 
Hennig, J. H. Wicherns Lebenswerk in seiner Be- 
deutung für das deutsche Volk (1908); Wurster, 
Die Lehre von der i. M. (1895); Bausteine zum 
Aufbau des evang. Gemeindelebens (1908 ff); 
Jentsch, Wege u. Ziele der i. M. (1902). 
[Faßbender.) 
Innung (Zunft). lBegriff; historische 
Entwicklung; heutiger Rechtsstand und Aufgaben 
der Innung.] 
1. Begriff. Hierbei ist zu unterscheiden zwi- 
schen Innungen der älteren Zeit — das waren 
privilegierte Vereine („Einnungen") der Gewerbe- 
treibenden zur Förderung ihrer Standesinteressen 
sowohl in öffentlich-rechtlicher als auch privat- 
wirtschaftlicher Hinsicht (Zünfte, Gilden) —, In- 
nungen nach Einführung der Gewerbefreiheit, als 
dieselben nur Korporationen gleicher oder ver- 
wandter Gewerbe ohne jedweden Zwangscharakter 
und ohne Privilegien bildeten, und endlich In- 
nungen der neueren Zeit seit dem Gesetze vom 
Jahre 1881 bzw. 1897. Diese letzteren sind 
öffentlich-rechtliche Korporationen von Kleinge- 
werbetreibenden zum Zwecke der Förderung der 
Standesinteressen, mit gewissen beschränkten Vor- 
rechten ausgerüstet und mit der besondern Auf- 
gabe betraut, diejenigen gewerblichen Verhältnisse 
zu regeln, welche nicht direkt der staatlichen Reg- 
lung oder Überwachung zufallen. 
2. Die geschichtliche Entwicklung der 
Innungen greift auf die vorchristliche Zeitrech- 
nung zurück. Bereits im alten Athen sind um 
1200 v. Chr. in der Solonischen Gesetzgebung 
Verbindungen der Gewerbetreibenden vorgesehen. 
Es werden ihnen dort bestimmte Rechte und 
Privilegien sowie auch eine gewisse Autonomie 
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