Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1379 
überhaupt eingeräumt, wodurch ihre Entwicklung 
sehr günstig beeinflußt wurde. Ebenso fanden sich im 
alten Rom angeblich schon unter Numa Pompilius 
ähnliche (acht) gewerbliche Vereinigungen. Hier 
erlangten sie jedoch im Gegensatze zu Athen zu- 
nächst überhaupt keine Vorrechte. Erst das Zwölf- 
tafelgesetz gewährte ihnen die Rechte einer juri- 
stischen Person und gab ihnen eine autonome 
Stellung. Unter den Kaisern erhielten sie infolge 
der ihnen zumeist obliegenden Aufgabe, den Plebs 
rechtzeitig und reichlich mit Nahrungsmitteln zu 
versehen, um ihn für den Kaiser günstig zu stim- 
men, manche besondere Privilegien. Diese Ver- 
einigungen der Gewerbetreibenden sowohl'in Athen 
als in Rom hatten einen mehr genossenschaft- 
lichen Charakter, jedoch nicht im heutigen 
Sinne, sondern mehr im Sinne von Verbrüde- 
rungen, wenn auch oft mit Zwangscharakter, wie 
die Fleischer im alten Rom. Neben der Verfol- 
gung gewerblicher Zwecke in beschränktem Um- 
fange dienten sie vornehmlich zum gegenseitigen 
Schutz, zur Begehung von Totenfeiern und reli- 
giösen Festen und Spielen usw. Auch teilten sie 
sich, wenigstens im alten Rom, nach der Art ihrer 
besondern Aufgabe in Genossenschaften, welche für 
die Deckung der öffentlichen Bedürfnisse zu sorgen 
hatten, daher eine gewisse beamtete Stellung ein- 
nahmen, und in solche, denen mehr die Befrie- 
digung der Privatbedürfnisse oblag. 
Inwieweit diese alten Vereinigungen für die 
mittelalterlichen Verhältnisse, speziell in Deutsch- 
land, vorbildlich geworden sind, läßt sich kaum 
noch feststellen; die Vermutung spricht aber dafür, 
daß zum Teil wenigstens bestimmte Einrichtungen 
nach hier übernommen worden sind, so z. B. von 
den Fleischern. Ihre Institutionen und Satzungen 
haben nicht zu verkennende Ahnlichkeiten mit 
manchen heutigen Verhältnissen und Vorschriften 
betreffs der Innungen, so die gesetzliche Umschrei- 
bung der Rechte und Pflichten, Koalitionsver= 
bote usw. Was sie aber wesentlich von jenen 
umterscheidet, ist der Umstand, daß die Politik der 
römischen Kaiser, auch der christlichen, fast aus- 
nahmslos dahin ging, alle Mitglieder der Ge- 
nossenschaften auf der gleichen sozialen Stufe fest- 
zuhalten, indem sie durch Verordnungen aller Art, 
wie Erblichkeit der Mitgliedschaft usw., ein Em- 
porsteigen der Mitglieder dieser Korporationen in 
andere Berufe und Stände zu hindern suchten 
und so nach und nach ein gewerbliches Kasten- 
wesen herausbildeten. — Damit schneidet die 
Fortentwicklung dieser genossenschaftlichen Ver- 
einigungen ab. 
Von weitaus größerer Wichtigkeit für die heu- 
tigen Verhältnisse ist die Entwicklung des In- 
nungswesens in Deutschland. Hier vollzog sich 
die Entstehung der Innungen und ihre Ausbil- 
dung auf ganz anderer Grundlage als in Rom. 
Während sie dort vielfach als Zwangskorporationen 
vom Staate gebildet waren, fand hier eine völlig 
freie Entwicklung der Innungen (Zünfte) statt. — 
Innung. 
  
1380 
Sie fällt hauptsächlich mit der Städtebildung zu- 
sammen indessen liegen ihre Keime weiter zurück, 
und zwar in der ländlichen Siedelung. In den 
grundherrschaftlichen Einzelbetrieben entwickelte 
sich das Handwerk, und es ist eine Tatsache, daß 
die meisten Handwerker im frühen Mittelalter 
Hörige gewesen sind. Die Grundherrschaft verlieh 
den Handwerkern das Handwerk als Amt mit be- 
stimmten Rechten und Pflichten, oft in Form von 
Handwerkerlehen und Zinslehen, und vereinigte 
demgemäß die verschiedenen Hofhandwerker zu 
bestimmten Gruppen unter der Ausfsicht der ein- 
zelnen Hofämter, z. B. die Fleischer und Bäcker 
unter der des Truchseß, die Schneider und Schu- 
ster unter der des Kämmerers usw. Indem sie jene 
sodann gleichzeitig über das Hausgesinde erhob 
und zu den niedern Ministerialen zählte, legte sie 
die Keime zu einer Sonderstellung dieser Berufe. 
— Auf den späteren Fronhöfen fand schon ein 
Zusammenschluß der Handwerker in societates 
statt. — Der grundherrliche Einfluß auf das 
Handwerk und seine spätere Organisation ist zwei- 
ellos ein ganz gewaltiger gewesen. Eine eigene 
Organisation, ein korporativer Zusammenschluß 
dieser Landhandwerker untereinander ist jedoch nach 
Sprengung der Grundherrschaft, wie Inama- 
Sternegg (Deutsche Wirtschaftsgesch. 2. TI. S. 9) 
nachweist, „im allgemeinen nicht erkennbar, so- 
fern nicht alte grundherrliche Beziehungen noch 
aufrecht geblieben sind“. „Aber zweierlei Bestre- 
bungen machen sich doch auch hier im Laufe der 
Zeit geltend: der Anschluß an die städtische In- 
nung einerseits und die obrigkeitliche Verbin- 
dung aller Handwerker eines Gerichtes zu einem 
einheitlichen Verbande.“ 
Bei der Städtegründung sind die ländlichen 
Korporationen der Handwerker, soweit solche schon 
bestanden, von nicht zu verkennendem Einflusse 
auf die Bildung von Korporationen derjenigen 
Handwerker und Gewerbetreibenden gewesen, welche 
sich in den Städten niedergelassen hatten. Wäh- 
rend aber mit der Auflösung der großen grund- 
herrschaftlichen Eigenbetriebe die weitere Entwick- 
lung des Handwerks auf dem Lande an Boden 
verlor, trat in den neugebildeten Städten die 
gegenteilige Erscheinung zutage: die Handwerker 
und Gewerbetreibenden schlossen sich zu Korpo- 
rationen, zunächst wohl nur zu kirchlichen Bruder- 
schaften zusammen. Unter ihnen bestand aber ein 
wesentlicher Gegensatz, der darin seine Ursache 
hatte, daß ein Teil der Handwerker noch hof- 
hörig und deshalb noch lange dem Fronhofe zins- 
pflichtig war. Diese wurden von den freien Hand- 
werkern außerordentlich geringschätzig behandelt, 
und ihre Aufnahme in die Korporation wurde sehr 
erschwert. Allzulange hat dieses Verhältnis jedoch 
nicht bestanden, denn die Stadt erstrebte reinliche 
Scheidung zwischen Grundherrschaft und städti- 
schem Wesen, und öfters übernahm die Innung 
die abzutragenden Lasten als die ihrigen. Die 
dieserhalb stattgehabten Auseinandersetzungen zwi- 
  
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