Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1383 
Zulassung zur Zunft, technische Produktionsweise, 
Rechtsprechung und Schlichtung von Streitig- 
keiten usw. Auch werden mit auswärtigen Zünften 
Verträge zur gegenseitigen Interessenvertretung 
abgeschlossen; es wird über die Abgrenzung der 
Zünfte gegeneinander Bestimmung getroffen und 
ihre Autonomie in vieler Hinsicht von ihnen selbst 
bestimmt. 
Vielfach ist das Zunftregiment aber auf Hinder- 
nisse gestoßen und hat sich nicht gehalten; so 
namentlich dort, wo die Territorialgewalt der 
Landesherren erstarkte, was vielfach schon sehr 
früh der Fall war, z. B. in Osterreich, Schlesien, 
Sachsen, Preußen usw. schon im 14. Jahrh. 
Dort nahm die Entwicklung eine völlig veränderte 
Gestalt an. Die Landesherrschaft nimmt dort 
die Ordnung der gewerblichen Angelegenheiten 
selbst in die Hand und beginnt eine territoriale 
Gewerbepolitik zu inaugurieren. Hier ergeben sich 
bald bestimmte Grundsätze für die Gestaltung all- 
gemeiner Gewerbeverbände und einer gewissen 
allgemeinen in ihren Grundzügen ähnelnden Ge- 
werbepolitik. Städtische und ländliche Handwerker 
werden in Bezug auf Gewerbebefugnis und Preis- 
bildung prinzipiell nicht mehr unterschieden (An- 
sätze zu dieser Politik finden sich bereits in den 
älteren bayrischen Landfrieden von 1244; vgl. 
Inama-Sternegg a. a. O. 2. Tl, S. 12 A.). — Je- 
denfalls bietet die Entwicklung des Innungswesens 
in Deutschland ein von Stadt zu Stadt und von 
Ort zu Ort fast ganz verschiedenes buntes Bild, 
dessen Erforschung heute noch nicht beendet ist. 
(Die Weiterentwicklung der Zünfte und ihrer 
Politik vom 14. Jahrh. bis zur Gewerbefreiheit 
von 1869 und dem Gesetz von 1881 und 1897 
s. im Art. Handwerk; über das innere Leben der 
Zünfte Inama-Sternegg a. a. O. 2. TI, S. 36 ff, 
67 ff). — Der Ursprung der Zünfte fällt in 
Deutschland an die Wende des 11. und 
12. Jahrh., in Frankreich dagegen erst in das 
12. Jahrh.; hier blieben aber Zunft und Bruder- 
schaft gesondert; zuweilen bildeten mehrere Ge- 
nossenschaften nur eine Konfraternität; umgekehrt 
waren oft auch Mitglieder derselben Innung auf 
verschiedene Bruderschaften verteilt. Die Bruder- 
schaften sind hier also nicht in gleichem Maße die 
Träger der Zunftidee gewesen wie in Deutschland. 
Ein Zunftzwang hat dort anscheinend nur zum 
Teil bestanden, in Italien überhaupt nicht. 
Hier sei noch kurz auf die verschiedenen Entwick- 
lungsperioden der alten Zünfte bzw. Innungen 
hingewiesen. Die Frage, ob man die Ansätze der 
Zünfte in Deutschland in den Handwerksämtern 
der Grundherrschaft suchen soll, möchte ich dahin- 
gestellt sein lassen. Die eigentliche (erste) Periode 
setzt mit der Gründung der Städte ein und fällt 
mit ihrer weiteren Entwicklung zusammen, sie 
reicht bis etwa zum Jahre 1300. In der folgenden 
Periode, der Blütezeit, von 1300 bis etwa 1550, 
kommen die Zünfte zur vollen Entwicklung ihrer 
Innung. 
  
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flusses. Um die Mitte des 16. Jahrh. aber hebt 
eine neue Periode, die des Verfalls, bereits an. 
Dieser beginnt mit der Abgeschlossenheit der 
Zünfte und dem Eindringen des kapitalistischen 
Verlagssystems, er wird gefördert durch die wirt- 
schaftliche Ungunst des 16. Jahrh., den 30jährigen 
Krieg und die Zulassung neuer Betriebssysteme 
(Aufhebung des Edikts von Nantes, Zulassung 
französischer Emigranten), er verschärft sich durch 
die Generalprivilegien Friedrich Wilhelms I. von 
1734 bis 1737. Unter Einwirkung der franzö- 
sischen Revolution endlich werden die Zünfte als 
öffentliche, rechtliche Korporationen durch das Edikt 
vom 2. Nov. 1810 ganz aufgehoben. Die Zeit 
von 1810 bis 1869 (Einführung der vollen Ge- 
werbefreiheit) ist dann nur noch ein Vegetieren rudi- 
mentärer Reste der einst so mächtigen und für 
ihre Zeit segensreichen Organisation. Aber nie- 
mals sind die Innungen vollständig verschwunden; 
der Zunftgedanke, die Notwendigkeit einer Organi- 
sation des Handwerks, hat sich stets erhalten und 
weitergeerbt und immer wieder an der alten Form 
angeknüpft. Die neuere Gesetzgebung Ende des 
19. Jahrh. fand daher noch viele Handwerker- 
korporationen, allerdings ohne rechtliche Grund- 
lage, vor, auf denen sie ansetzen konnte; diese bil- 
den zum Teil die Grundlage, auf der nach 1881 
neue Innungen entstanden sind. 
Mit der Einführung der Gewerbefreiheit und 
der darauf beruhenden Gewerbeordnung des Jahres 
1869, womit der Sieg des Individualismus ent- 
schieden war, wurden die Innungen jeglicher be- 
sondern Rechte entkleidet und nur noch als ge- 
werbliche Vereine mit bestimmten fakultativen Auf- 
gaben angesehen. Infolge dieser Beschränkung 
ihrer Rechte war eine gedeihliche Entwicklung des 
Innungswesens überhaupt ausgeschlossen und die 
Organisation des Kleingewerbes mehr denn je in 
Frage gestellt. — Eine heftige Agitation des Hand- 
werks und die bei der Reichsregierung allmählich 
zum Durchbruch gekommene Anschauung, daß die 
vorliegenden Gesetzesbestimmungen unzureichend 
seien, veranlaßten den Bundesrat jedoch auf die 
im Jahre 1874 von Hamburg ausgegangene An- 
regung, sog. gemeinschaftliche Verbände 
einzurichten, d. h. Verbände der Meister und 
Gesellen, in denen letztere als gleichberechtigte 
Faktoren am Innungsleben teilnehmen sollten, 
sowie später gegen Mitte der 1870er Jahre eine 
Enquete anzustellen. Diese Erhebungen fielen 
jedoch sehr ungünstig aus, da die Mehrzahl weder 
der Meister noch der Gesellen von derartigen ge- 
meinschaftlichen Verbänden etwas wissen wollten. 
Beide glaubten sich in ihrer Interessensphäre ge- 
schädigt bzw. beengt. Der Bundesrat ließ daher 
den Gedanken fallen; er wurde jedoch später an- 
scheinend von der christlichen Sozialpolitik wie- 
der aufgenommen und in wesentlich verbesserter 
Form in dem Gesetze von 1897 festgelegt (s. u.). 
— Inden 1880er Jahren fanden wiederholt Ande- 
wirtschaftlichen Stärke und ihres politischen Ein= rungen der Gewerbeordnung statt, deren Zweck
	        
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