Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Aufsichtsbehörde, 5) Heranziehung der Mitglieder 
der Zwangsinnung nach der Leistungsfähigkeit (im 
Gegensatz zur freien Innung). Im übrigen weist 
das Gesetz der Zwangsinnung die gleichen obliga- 
torischen Aufgaben zu wie schon das Gesetz vom 
Jahre 1881 der fakultativen Innung (s. oben). 
Daneben können die Innungen ebenso wie früher 
fakultative Veranstaltungen zur Förderung der 
technischen und sittlichen Ausbildung der Lehr- 
linge und Gesellen treffen, Gesellen= und Meister- 
prüfungen mit Zustimmung der Handwerks- 
kammer und der höheren Verwaltungsbehörde 
abhalten und die freien Innungen auch durch 
Nebenstatut Hilfs= usw. Kassen errichten und ge- 
meinschaftliche Geschäftsbetriebe eröffnen. Die 
Innungen werden durch gewählte Vorstände aus 
der Zahl der Innungsmitglieder verwaltet. — 
Neben den Zwangsinnungen sind die früheren 
freien Inmungern bestehen geblieben. Ihre 
Rechte sind nur insofern unterschiedlich von denen 
der Zwangsinnungen, als sie die Mitglieder durch 
Statut zur Teilnahme an Nebeneinrichtungen, 
wie gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieben usw., ver- 
pflichten können; das Gesetz hat hier keine Kautelen 
für die etwaigen Beschlüssen widersprechende Min- 
derheit geschaffen, weil die Mitglieder der freien 
Innungen jederzeit bzw. am Ende des Jahres aus 
der Innung ausscheiden können. — Die Aufgaben 
der freien Innung sind denen der Zwangsinnung 
gleich. Die freien Innungen brauchen im übrigen 
nicht nur Fachinnungen zu sein; auch die sämt- 
lichen oder mehrere nicht verwandte Gewerbe eines 
Verwaltungsbezirks können sich zu einer freien 
sog. gemischten Innung zusammenschließen. 
Eine völlige Neuschöpfung sind die Ges ellen- 
ausschüsse, durch welche die bei Innungs- 
meistern beschäftigten volljährigen Gesellen an dem 
Innungsleben teilnehmen sollen. Die Mitglieder 
der Gesellenausschüsse werden gewählt. Durch die 
Bestimmung über die Gesellenausschüsse ist die 
Forderung der christlichen Sozialpolitik zur Gel- 
tung gekommen, welche stets eine Organisation 
des gesamten Standes mit allen in ihm tätigen 
Kräften verlangt hatte. Solche Gesellenausschüsse 
konnten bei den Innungen zwar schon nach dem 
Gesetze von 1881 gebildet werden, jedoch war 
deren Bildung lediglich fakultativ; heute ist sie 
dagegen obligatorisch. Die Zuziehung des Ge- 
sellenausschusses ist erforderlich bei der Reglung 
des Lehrlingswesens, bei der Errichtung von 
Herbergen, Arbeitsnachweisen, Innungsschieds- 
gerichten, Kranken= und Unterstützungskassen für 
Innungsgesellen sowie bei der Verwaltung dieser, 
sofern die Gesellen dazu Beiträge leisten, ferner 
bei Beratung und Beschlußfassung des Innungs- 
vorstandes über Verhältnisse der Gesellen. — Neu 
ist in dem Gesetze vom 26. Juli 1897 ferner 
das Recht der Innung zur Wahl von Beauf- 
tragten zwecks Vornahme der Kontrolle über 
die Ausführung des Gesetzes namentlich hinsicht- 
lich der Lehrlinge und ihrer Unterbringung. 
Innung. 
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Ferner haben die früher bedeutungslosen In- 
nungsschiedsgerichte größere Ausdehnung 
und Bedeutung erlangt; sie sollen dazu dienen, 
Streitigkeiten der Innungsmitglieder in kurzer 
Zeit zu erledigen (die erste Ladung muß schon 
binnen acht Tagen erfolgen). — Die derselben Auf- 
sichtsbehörde unterstellten Innungen haben sodann 
noch das Recht, Innungsausschüsse zu bilden 
zur Vertretung der lokalen Interessen. Auch können 
diesen Innungsausschüssen gewisse Rechte und 
Pflichten der Innungen übertragen werden, wie 
Errichtung von Fachschulen, Schiedsgerichten usw., 
für welche die Kräfte der einzelnen Innungen un- 
zureichend sind. Ferner ist den Innungen, welche 
nicht derselben Aufsichtsbehörde unterstehen, das 
Recht beigelegt, sich zu Innungsverbänden 
zusammenzuschließen, um so die Bildung von 
Fachverbänden zu fördern. Diese Innungsver- 
bände sollen die Handwerkskammern und auch die 
Behörden in der Erfüllung ihrer Aufgaben zur 
Hebung des Handwerks unterstützen. 
Die Wirkungen des Gesetzes von 1897, soweit es 
die Innungen als solche betrifft, sind durch die Er- 
hebungen der Reichsregierung im Jahre 1904 er- 
mittelt worden (siehe „Erhebung über die Wirkung 
des Handwerkergesetzes“, Veröffentlichung des Kai- 
serlichen Statistischen Amtes von 1908 und fer- 
ner Art. „Oandwerk“ und „Handwerkskammer“). 
1 Aus diesen, die sich nur über die Innungen, nicht 
auch über die besonders in Süddeutschland stark 
vertretenen Gewerbevereine erstrecken, geht hervor, 
daß im Okt. 1904 in Deutschland bereits 11 311 
Innungen mit 488 700 Mitgliedern bestanden, von 
denen 8147 oder 72% freie Innungen mit 
5,3% der in Innungen überhaupt korporierten 
Handwerker, die übrigen 3164 oder 28% Zwangs- 
innungen mit 218 468 (44,7 %) waren. Nach In- 
nungsearten getrennt, verteilen sich diese auf 6356 
oder 56,2⅝% Fach innungen, 3607 oder 31,9% 
Innungen verwandter Gewerbe und 1348 oder 
II1, 7% gemischte Innungen. — Nach nachträg- 
lichen Erhebungen waren in Deutschland am 31.Okt. 
1907 in Innungen und Gewerbevereinen 512 713 
Handwerker organisiert oder auf 10 000 Einwohner 
82,6, davon in Norddeutschland 1904: 97,8 und 
1907: 95,8, in Süddeutschland 29,9 bzw. 38.7. 
Nach den Ergebnissen der nachträglichen Er- 
hebung bestanden am 31. Okt. 1907: 11995 In- 
nungen, also 656 (5,8%) mehr als Ende 1904. 
Die Mitgliederzahl ist um 24 013 (4,9%) auf 
512 713 gestiegen, dabei haben die freien Innungen 
um 389 (4,8%), die Zwangsinnungen um 267 
(8,4% ) zugenommen, die Mitglieder der ersteren 
um 19 308 (7, 1%), der letzteren um 4705 (2,2%). 
Es hatte sich bis Ende 1904 in Preußen noch 
nicht ganz die Hälfte der Meister organisiert, 
während die Mehrzahl der Gesellen und Lehrlinge 
dagegen bei organisierten Meistern beschäftigt war. 
— In den Großstädten überwiegen die Fachinnun- 
gen mit 74 %, wie auch ebenso die freien Innungen, 
dagegen in den kleineren Städten und auf dem 
Lande die Zwangs= bzw. die gemischten Innungen. 
Die einschneidendste Neuerung des Gesetzes war 
die Einführung der Zwangsinnung. Von den am 
125. Okt. 1904 bestehenden Zwangsinnungen hatte 
  
  
 
	        
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