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sich der größte Teil (60,7 %%) im Jahre 1899 gleich
nach Erlaß des Gesetzes gebildet, zumeist durch Um-
wandlung bestehender Innungen. Von da ab nahm
die Zahl der jährlich neuerrichteten Zwangsinnungen
verhältnismäßig stark ab; von 1899 bis 1900 be-
trägt sie nur 14,6 % , 1904 nur 4,1%. Die mei-
sten Zwangsinnungen (2980) hat Norddeutschland,
die wenigsten (184) Süddeutschland. Hier herrscht
mehr Neigung zur Bildung von Gewerbevereinen.
Die Zwangsinnung befriedigt die Handwerker nur
teilweise. Auflösungsbestrebungen treten dabei stark
hervor, mehr wie bei den freien Innungen; es wur-
den bis 1904 allein bei 489 Zwangsinnungen bei
15,5% Antrag auf Auflösung gestellt.
on den Nebeneinrichtungen ist zu erwähnen,
daß die 11 311 Innungen 660 Innungskranken-
und Unterstützungskassen für 226051 Mit-
glieder gründeten (darunter 37165 weibliche).
Ferner errichteten und leiteten sie 791 Handwerker-
schulen mit 32 304 Schülern; davon wurden nach
Erlaß des Gesetzes allein 369 ins Leben gerufen;
die Innungen gaben dazu an Zuschüssen 97 272 M
oder jede Innung im Durchschnitt in Norddeutsch-
land 133 M, in Süddeutschland 90 M. An Ar-
beitsnachweisungeneerrichteten die Innungen
insgesamt 2374, davon nach Erlaß des Gesetzes
allein 1360. Ferner errichteten die freien In-
nungen gemeinschaftliche Geschäftsbetriebe,
zumeist genossenschaftlicher Form, besonders Ein-
kaufs= und Absatzgenossenschaften, und zwar 238.
Das Gesamtvermögen der Innungen betrug
1904 in Aktiva 22 528 688 M (davon freie Innun-
gen 19222691 M, Zwangsinnungen 3 302997 MK),
in Passiva 10752947 M. Bei 9876 Innungen
fand sich ein Vermögensbestand von 11 7940012 M,
bestehend in Grundbesitz usw., vor.
Die Zahl der Innungsausschüsse, der örtlichen
Verbände, betrug 208 mit 2851 Innungen, die der
Innungsverbände 24, die sich über das Deutsche
Reich erstrecken. Die Gesamtwirkung des
Gesetzes ist sonach als eine günstige zu
bezeichnen.
Das Gesetz des Jahres 1897 hat nicht alle
Wünsche der Handwerker erfüllt, namentlich nicht
die von einer Richtung derselben geforderte obli-
gatorische Innung und den Befähigungsnachweis
gebracht noch auch das von einem andern Teile
der Handwerker geforderte Reichsinnungsamt,
das die Oberaufsicht über die Innungen und
Handwerkskammern führen sollte. Wie weit diese
Wünsche durchführbar sind oder nicht, muß der
Zukunft überlassen bleiben; vorläufig handelt es
sich für das Handwerk darum, sich die Vorteile
des Gesetzes vom 26. Juli 1897 zunutze zu
machen und den Ausbau der Innungen sowie die
Neugründung von Innungen dort mit aller Kraft
zu betreiben, wo lebens- und leistungsfähige In-
stitutionen entstehen können. Seit der Einführung
der Zwangsinnung hat der Zusammenschluß des
Handwerks zwar in ganz bedeutendem Maße zu-
genommen, aber immerhin noch nicht in dem
Umfang, wie es notwendig scheint. Allerdings
funktioniert das Gesetz erst kurze Zeit und ist
namentlich in den ländlichen Distrikten nur erst
höchst unvollkommen zur Durchführung gelangt;
Ingquisition.
1390
bei positiver Mitarbeit des Handwerks wird es
aber zweifellos das Innungswesen ganz erheblich
fördern.
Den Innungen in vieler Beziehung verwandt
sind die Gewerbe= und Handwerkerver-
eine, die besonders in Südwestdeutschland ver-
breitet sind. Es sind das Vereinigungen von Ge-
werbetreibenden verschiedener Gewerbe eines Be-
zirkes oder größeren Ortes, auch Freunde des
Gewerbes, wie Lehrer, Beamte u. dgl., können
Mitglieder sein. Ihre Haupttätigkeit liegt aus dem
Gebiete des Bildungswesens, sie veranstalten Be-
sprechungen, Vorträge und lokale Gewerbeaus-
stellungen, gründen Bibliotheken, fördern die
Lehrlingsausbildung u. dgl., darüber hinaus ver-
folgen sie aber vielfach die gleichen Aufgaben wie
die Innungen, nur daß ihre Organisationsform
eine weit losere ist. Im deutschen Süden kom-
men auf 10 000 Einwohner 30 Innungs= und
65 Vereinsmitglieder, im Norden 98 bzw. 11;
in Baden gehören kaum 10% der Handwerker
Innungen an. Die Gründung dieser Vereine
reicht bis in die 1840er Jahre zurück. Der 1891
geschaffene „Verband deutscher Gewerbevereine“
(Sitz Darmstadt) umfaßte 1904: 1190 Vereine
mit 122000 Mitgliedern. Der Verband hat, da die
Handwerkerenquete von 1904 die Gewerbevereine
unberücksichtigt ließ, private Erhebungen vor-
genommen und 1908 eine wertvolle Zusammen-
stellung der Ergebnisse der Erhebungen bei den
Innungen und denen bei den Gewerbe= und Hand-
werkervereinen veröffentlicht. Die Gewerbevereine
fordern auf Grund ihrer nicht unbedeutenden Ver-
dienste um die Förderung des Handwerks gleich-
wertige Behandlung seitens der reichsgesetzlich zur
Ausgestaltung des Handwerks berufenen Stellen
und wünschen Berücksichtigung ihrer durch die ge-
schichtliche Entwicklung bedingten lokalen Eigenart.
Literatur. Schmoller, Zur Gesch. der deut-
schen Kleingewerbe usw. (1870); ders., Die Straß-
burger Tucher= u. Weberzunft (1879); Hampke,
Die J. sentwicklung in Preußen, in Schmollers
Jahrbuch für Gesetzgebung usw. 1894, Hft 1;
v. Inama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte
2. TI (1901); Waentig, Gewerbliche Mittelstands-
politik (1898); Jacobi, Die J.sbewegung in
Deutschland, im Jahrb. für Gesetzgebung u. Ver-
waltung VII (1883); Huber, Der Reichsgesetzent-
wurf betr. Neureglung des J.swesens (1881);
Brandts, Les corporations de la petite industrie
en Autriche (1893); Biermer, Art. „J.“ im Wör-
terbuch der Volkswirtschaft II (21907); Böhmert,
Das deutsche Handwerk u. die Zwangsinnungen
(1896); Stieda, Lit. über die J.sfrage in Jahr-
bücher für Nationalök. u. Statistik, Neue Folge II
273 ff u. 3. Folge XII1 f## ders., Art. „J." im Hand-
wörterbuch der Staatswissenschaften IV (1900)
1348 ff; dort auch weitere Literaturangaben, ebenso
bei Biermer; v. Lasch, Die Kölner Zunfturkunden
bis 1500 (1907). — Vgl. auch die Literatur zu
Art. Handwerk. IA. Grunenberg.)
Inquisition. Geistliche Zuchtmittel, vor
allem die Exkommunikation, wurden in der christ-