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verlangen, daß die Parteien beim Vertrags-
abschlusse im Auslande die dort gesetzlich vor-
geschriebenen Formen ignorieren und dafür die
Gesetze desjenigen Staates beobachten sollten, in
welchem später aus vielleicht ganz zufälligen, un-
vorhergesehenen Gründen der Rechtsstreit um die
Erfüllung des Vertrages anhängig gemacht wird?
Eine wichtige Schranke für die Beachtung aus-
ländischen Rechts bildet bei der prinzipiellen Zu-
lassung desselben der Grundsatz, daß der Richter
in keinem Falle Rechtsansprüche durch seine Ent-
scheidung unmittelbar verwirklichen darf, welche
nach seinem eigenen Rechte verwerflich sind (z. B.
Leibeigenschaft, Vielweiberei); Rechtsgeschäfte,
welche den im Völkerverkehre anerkannten Sitten
widersprechen, sollen nicht geschützt werden. Es
ist daher ein ausländischer Rechtssatz von jeder
Berücksichtigung auszunehmen, wenn seine An-
wendung ein mit den zwingenden Normen un-
seres Rechts unvereinbares Ergebnis herbeiführen
würde. Solche zwingende Normen können auch
aus politischen oder wirtschaftlichen Interessen ent-
springen.
Die geschichtliche Entwicklung des internatio-
nalen Privatrechts hält zumeist gleichen Schritt
mit der Weiterbildung der Rechtsstellung der Aus-
länder überhaupt und des Verhältnisses der ein-
zelnen Staaten zueinander. Bei dem ausschließ-
lich nationalen Charakter des Rechts im Altertume
und der grundsätzlichen Rechtlosigkeit der Fremden
war kein Raum für Prinzipien, wie sie im vor-
stehenden geschildert wurden. Das römische ius
gentium mit seinen eigentümlichen Rechtsinstituten
war hierin völlig verschieden; die Erteilung des
Bürgerrechts an alle Einwohner des Weltreiches
durch Caracalla schuf ein einheitliches Rechtsgebiet
des ius civile. Im fränkischen Reiche galt das
System der persönlichen Rechte (lex gentis); jeder
lebte nach dem Rechte des Stammes, welchem er
durch Geburt angehörte. Zur Zeit der Rechts-
bücher herrschte unter dem Einflusse des Lehns-
rechts das Territorialsystem (lex terrae), d. h.
der Grundsatz, daß in einem Rechtsgebiete auch
nur das Recht dieses Gebietes selbst zur Anwen-
dung gelangen dürfe. Im Anschluß an diese beiden
Systeme und zu ihrer Vereinigung wurde gegen
Ausgang des Mittelalters von den italienischen
Postglossatoren und Juristen die Statuten-
theorie ausgebildet. Danach gab es statuta
personalia, Rechtsnormen, betreffend die Ver-
hältnisse der Person und ihres beweglichen Be-
sitzes (mobilia personam sequuntur, mobilia
ossibus inhaerent), statuta realia, die auf un-
bewegliche Sachen zielenden Rechtsregeln, und sta-
tuta mixta, Rechtsvorschriften, welche sich auf die
Rechtsgeschäfte bezogen. Später nahm man als
Personalstatut das Recht am Wohnsitze der Person
(lex domicilül), als Realstatut das Recht am Orte
der belegenen Sache (lex loci rei sitae), als
statutum mixtum das Recht am Orte des Ab-
schlusses des Rechtsgeschäftes, wobei aber auch der
Internationales Privatrecht.
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Erfüllungsort als maßgebend vertreten wurde. Die
Statutentheorie ist in die Gesetzgebungen über-
gegangen, welche am Ende des 18. und am An-
fange des 19. Jahrh. erfolgten; sie ist aufgenommen
ins preußische Landrecht, in den Code Napoléon
und ins österreichische Allg. B.G. B. Eine Neue-
rung brachte die Ansicht von Savigny, es müsse
bei jedem Rechtsverhältnisse untersucht werden, in
welchem Rechtsgebiete dasselbe seinen Sitz habe;
das Recht dieses Gebietes solle Anwendung finden.
Der Sit des Rechtsverhältnisses liege in Status-
fragen und im Erbrecht-im Domizil, bei unbeweg-
lichen Sachen in deren räumlicher Lage, bei For-
derungen im Erfüllungsorte. Dieser Theorie,
welche in Deutschland die meisten Anhänger zählte,
hat die neuere französisch-italienische Schule (schon
Mancini) das Prinzip der Nationalität lex pa-
triae) gegenübergestellt, wonach die Staats-
angehörigkeit (Indigenat) entscheiden soll;
aus der Gleichberechtigung aller Staaten folge,
daß jeder die Untertanen eines andern mit ihrem
einheimischen Rechte aufnehme. Das Moment der
Nationalität ist teilweise im sächsischen Gesetzbuche
anerkannt; auch die deutsche Reichsgesetzgebung
hat dasselbe in mehrfachen Materien berücksichtigt;
die Theorie macht zu seinen Gunsten namentlich
geltend, daß der Wohnsitz mehr einem Wechsel
unterworfen sei als die Staatsangehörigkeit, folg-
lich die persönlichen Rechte am sichersten eine
dauernde Normierung in der Anwendung des
Staatsangehörigkeitsprinzipes finden.
Liegt nun ein Rechtsverhältnis vor, welches
an sich beim Widerstreite der verschiedenen Gesetz-
gebungen mit Bezug auf die beteiligten Personen
oder auf die im Streite befangene Sache Zweifel
darüber zuläßt, welches der widersprechenden Rechte
anzuwenden fei, so hat der Richter vor allem zu
untersuchen, ob überhaupt die einheimische Gesetz-
gebung die Anwendung ausländischen Rechts ge-
stattet; ist dies der Fall, so ist der Konflikt zunächst
nach den Vorschriften des einheimischen Rechts zu
lösen, sei es, daß ein Gesetz oder ein Staatsvertrag
oder ein Gewohnheitsrecht die maßgebende Norm
dafür bietet. Besteht eine derartige Bestimmung
nicht, so entscheiden endlich die allgemeinen Grund-
sätze des internationalen Privatrechts, wie sie in
der Theorie sich entwickelten und in der Praxis
anerkannt sind. Von einem Parteiantrage ist übri-
gens die Anwendung des ausländischen Rechts in
einem dazu geeigneten Falle nicht abhängig zu
machen; auch gibt es keine Beweislast für die
Partei, welche sich auf das auswärtige Recht be-
ruft; sie hat jedoch den Richter im eigenen Inter-
esse auf eine bestehende Singularität desselben auf-
merksam zu machen und ihn bei der Ermittlung
derselben zu unterstützen; denn der Satz iura no-
vit curia hat nur in bezug auf die einheimischen
Rechtssätze volle Geltung.
Rechtsquelle des internationalen Privatrechts,
soweit die freie Theorie in Frage steht, ist prin-
zipiell die Natur der Sache; es darf bei Be-