Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Völkerrecht und Landesrecht ebenso ausgeschlossen, 
als er bei der nur für den konkreten Fall erfolgen- 
den Überweisung der Entscheidung an ein Schieds- 
gericht unvermeidlich ist. 
Eine weitere Einwendung betraf die Frage, 
welche Bedeutung dem Schiedsspruche für künf- 
tige Verwaltungsakte und für die künftige 
Judikatur der beiden an ihm beteiligten Staaten 
zukomme. Hinsichtlich der Verwaltungsakte ist die 
Antwort klar. Nach Art. 37 der Konvention für 
die friedliche Austragung von Konflikten sind die 
Staaten verpflichtet, bona fide den Schiedsspruch 
auszuführen. Stellt der Schiedsspruch also fest, 
daß die von den Verwaltungsbehörden eines 
Staates bisher festgehaltene Interpretation einer 
Vertragsnorm unrichtig sei, so ist die Staats- 
regierung verpflichtet, die ihr unterstehenden, an 
ihre Weisungen gebundenen Behörden dahin zu 
instruieren, daß sie von nun an nur mehr jene 
Auslegung anwenden dürfen, die vom Schieds- 
gerichte aufgestellt wurde. Schwieriger stellt sich 
die Sache gegenüber den Gerichten, soweit deren 
Unabhängigkeit anerkannt ist. In diesem Falle 
wird die Regierung, wenn die Gerichte nicht frei- 
willig sich der Auffassung des Schiedsgerichtes 
anschließen, entweder die von diesem aufgestellte 
Interpretation im Wege der Gesetzgebung als eine 
authentische, auch mit bindender Wirkung für die 
Gerichte ausgestattete aufstellen müssen, oder sie 
wird im Falle neuerlich abweichender Entschei- 
dungen ihrer Gerichte dafür sorgen müssen, daß 
diese Entscheidungen durch ein neues Schieds- 
gericht korrigiert werden. Die letztere Möglichkeit 
bietet für alle Fälle einen Ausweg aus dem Kon- 
flikte zwischen Vertragspflicht und Rechtspflege. 
Ein kürzerer Weg zum Ziele wäre freilich der auf 
der Zweiten Konferenz gemachte Vorschlag, in den 
Schiedsgerichtsvertrag eine Bestimmung aufzu- 
nehmen, die dem Schiedsspruche die Kraft einer 
authentischen Interpretation des Vertrages ver- 
leiht. Erhält ein solcher Vertrag die verfassungs- 
mäßige Genehmigung, so wird er wiederum zu 
einem Bestandteile des Landesrechtes und bindet 
auch die Gerichte. 
Noch eine Einwendung, die in diesem Zusam- 
menhange die Konferenz beschäftigte, war die, daß 
in bezug auf Kollektivverträge, insbesondere in 
bezug auf sog. Weltverträge die Feststellung des 
Sinnes einer in ihnen enthaltenen Norm durch 
ein Schiedsgericht aus Anlaß eines zwischen zwei 
Staaten entstandenen Streitfalles zur Auflösung 
der durch solche Verträge geschaffenen „Union“ 
führen könnte, indem die übrigen Teilnehmer an 
einem solchen Weltvertrage im Verhältnis unter- 
einander jene Norm vielleicht anders auffassen 
könnten, als das Schiedsgericht es im Verhältnis 
der beiden Streitteile getan hatte, ja daß sogar 
ein späteres Schiedsgericht dieselbe Frage zwischen 
den Staaten C und D anders beurteilen könnte, 
als dies früher zwischen den Staaten A und B 
geschehen war. Kommt es nun aber nicht auch in 
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit. 
  
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der innerstaatlichen Rechtspflege vor, daß über 
materiell dieselbe Sache zwei Gerichte, sogar ein 
und dasselbe Gericht in verschiedenen Urteilen 
zwischen verschiedenen Parteien verschieden ent- 
scheiden? Es hat das seinen Grund meistens darin, 
daß die species facti nur sehr selten in zwei 
scheinbar gleichen Fällen wirklich völlig identisch 
ist; allerdings kann es seinen Grund auch einzig 
und allein in verschiedener Rechtsauffassung haben. 
Gewiß wird im Falle, wenn ein Streit, der zwischen 
den Staaten A und B bereits durch Schieds- 
spruch entschieden worden, nun auch zwischen den 
Mächten C und D ausbricht, das erste schieds- 
gerichtliche Urteil für das zweite Schiedsgericht 
von größter moralischer Bedeutung sein, so daß 
es sich nur dann von dessen Tenor entfernen wird, 
wenn es dieses Urteil für völlig unbegründet hält. 
In diesem Falle aber wird vielleicht der zweite 
Schiedsspruch durch die Macht seiner Gründe 
selbst für einen neuerlichen Streit zwischen den 
Staaten A und B von Rückwirkung sein und 
zur Korrektur des ursprünglichen Fehlurteils — 
auch internationale Schiedsgerichte sind nicht un- 
fehlbar — führen und somit der Verwirklichung 
des-materiellen Rechtes dienen. Ubrigens hat 
das Komitee der Zweiten Konferenz gerade hinsicht- 
lich dieser Kollision eine Reihe sehr beachtenswerter 
Vorschläge gemacht, deren Erörterung im Detail 
an diesem Orte jedoch nicht möglich ist. 
Schließlich wurde noch die Frage aufgeworfen, 
was geschehen solle, wenn der Schiedsspruch den 
einen Teil etwa zu einer Anderung seiner Gesetz- 
gebung verpflichtete, und wenn das Parlament der 
Durchführung dieser Anderung widerstrebte. Dem- 
gegenüber wurde darauf hingewiesen, daß solche 
Verpflichtungen, die allerdings für das Parlament 
eine Zwangslage schaffen, auch in andern Fällen 
entstehen können, so durch den Abschluß eines 
Friedensvertrages oder infolge anderer internatio- 
naler Vereinbarungen, die ohne Mitwirkung des 
Parlamentes zustande gekommen sind. So hat 
Osterreich ein Beispiel loyaler Erfüllung einer 
solchen Pflicht gegeben, als es 1902 das Zucker- 
kontingentierungsgesetz außer Wirksamkeit Fue, 
weil die Brüsseler Zuckerkommission in ihrer ersten 
Tagung mit Stimmenmehrheit die Anschauung 
ausgesprochen hatte, daß dieses Gesetz mit dem 
Geiste der Brüsseler Zuckerkonvention in Wider- 
spruch stehe. Gerade die Zuckerkonvention von 
1902 bietet ein Beispiel dafür, daß unter Um- 
ständen einem Schiedsgerichte die Befugnis zu- 
stehen müsse, darüber zu entscheiden, ob die interne 
Gesetzgebung eines Staates mit den vertragsmäßig 
von ihm übernommenen Pflichten in Einklang stehe 
oder nicht. Zweifellos bedarf ein Versuch der 
Organisation des Weltmarktes, wie ihn jener Ver- 
trag in bezug auf eine bestimmte Ware zuerst unter- 
nommen hat, einer internationalen Überwachung 
und Kontrolle, und ebenso zweifellos kann eine 
solche Uberwachung mit viel größerem Vertrauen 
einem wirklich unbefangenen Schiedsgerichte über-
	        
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