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tragen werden als einem Kollegium der Inter-
essenten, wie es die durch jenen Vertrag eingesetzte
Kommission ihrer Natur nach ist.
Einen eigentümlichen Widerspruch gegen die
Opposition, die von seiten der deutschen Delegier-
ten mit so viel Geist und Energie der obligatori-
schen Schiedsgerichtsbarkeit entgegengestellt wurde,
schien es zu begründen, daß von derselben Seite
wiederholt die Einsetzung eines internationalen
Kassationshofes zwar nicht für jetzt, aber doch für
eine nicht ferne Zukunft angeregt wurde, der be-
rufen wäre, in höchster Instanz über Konflikte auf
dem Gebiete des internationalen Privatrechtes zu
entscheiden, sowie daß Deutschland neben Groß-
britannien sogar die Initiative zur Einsetzung
eines internationalen Oberprisengerichtes ergriff.
Denn gewiß enthält die Einsetzung eines solchen
Oberprisengerichtes, das über die Rechtmäßigkeit
oder Unrechtmäßigkeit des Vorgehens von Ma-
rineoffizieren in Kriegszeiten zu ent-
scheiden hat, eine tiefer eingreifende Beeinträch-
tigung der Souveränität der Vertragsstaaten als
die Berufung eines internationalen Schiedsgerich-
tes über die Auslegung eines urheberrechtlichen
Vertrages oder eines andern Vertrages über Ma-
terien des internationalen Privatrechtes.
In Beratungen, die in größeren oder kleineren
Komitees durch nahezu vier Monate unter der schon
auf der Ersten Konferenz bewährten Leitung von
Léon Bourgeois stattfanden, hat eine Reihe der
bedeutendsten Juristen Europas und Amerikas die
vorgebrachten Einwendungen geprüft. Dans un
6sprit de conciliation hat man nicht so sehr,
wie dies oben versucht wurde, es unternommen,
sie grundsätzlich zu widerlegen, sondern vielmehr
danach gestrebt, ihnen durch Konzessionen die Spitze
abzubrechen. Aus der Zahl jener Juristen seien
hervorgehoben der NRestor der Konferenzen des
internationalen Rechtes Friedrich v. Martens, der
genaueste Kenner des internationalen Privatrechtes
Asser, der Meister des englischen COommon Law
Sir Edward Fry, die beiden theoretisch und prak-
tisch gleichmäßig hervorragenden Rechtsgelehrten
Italiens und Schwedens Fusinato und Hamar-
stjöld, der in der Diplomatie wie im Gerichtssaale
hervorragende amerikanische Jurist Choate, der
als Professor und Anwalt gleichmäßig bewährte
J. B. Scott, der scharfsinnige Denker und glän-
zende Redner Ruy Barbosa aus Brasilien und
der durch seine Amtsführung als argentinischer
Minister des Außern berühmt gewordene Drago,
vor allem aber Louis Renault, zu dessen über-
legener Einsicht, Erfahrung und Darstellungskraft
alle, auch die Gegner, mit Verehrung emporblick-
ten, unterstützt von seinem gewandten Adlatus Fro-
mageot. Solange es mit den für ihn maßgeben-
den Instruktionen vereinbar war, hat auch der Ver-
fasser dieses Aufsatzes versucht, jene Bestrebungen
zu unterstützen, die auf Erzielung einer Einigung
gerichtet waren. In der Schlußabstimmung wur-
den für den englisch-amerikanisch-portugiesischen
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit.
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Antrag, der insbesondere auch an den beiden Por-
tugiesen Marquis Soveral und Oliveira wie an
dem Serben Milovanovich beredte und sachkun-
dige Vertreter fand, 32 Stimmen gegen 8 (Deutsch-
land, Osterreich-Ungarn, Belgien, Bulgarien, Grie-
chenland, Rumänien, Schweiz, Türkei) abgegeben
(bei 3 Stimmenthaltungen: Japan, Luxemburg,
Montenegro). Nachdem auch die vermittelnden An-
träge Osterreich-Ungarns (Mérey) und der Schweiz
(Carlin und Max Huber) abgelehnt worden waren,
einigte sich die Konferenz auf eine im wesentlichen
von Tornielli formulierte Deklaration: „Die Kon-
ferenz hat im Geiste der Verständigung und der
gegenseitigen Zugeständnisse, der eben der Geist
ihrer Beratungen ist, die folgende Deklaration be-
schlossen, die, indem sie jeder der vertretenen Mächte
den Vorteil ihrer Abstimmung wahrt, allen ge-
stattet, die Grundsätze zu bestätigen, die sie als
allgemein anerkannte betrachten. Sie ist einstim-
mig darüber, 1) das Prinzip der obligatorischen
Schiedssprechung anzuerkennen und 2) zu erklären,
daß gewisse Differenzen und insbesondere die-
jenigen, welche sich auf die Auslegung und An-
wendung der internationalen vertragsmäßigen
Vereinbarungen beziehen, geeignet sind, der obli-
gatorischen Schiedssprechung ohne jede Einschrän-
kung unterworsen zu werden.“ Im deutschen
Weißbuche S. 39 ist diese Deklaration in einer
ziemlich freien Übersetzung wiedergegeben. Ins-
besondere ist die Abweichung der Übersetzung vom
Originaltexte hinsichtlich des Eingangs wohl nicht
gleichgültig. Es heißt dort, daß „sich jede der
Mächte die Wahrung ihres eigenen Standpunktes
vorbehält“, statt wie im Originale, daß „jede der
Mächte sich den Vorteil ihrer Abstimmung wahrt"“,
welche Fassung zu dem Zwecke gewählt worden
sein dürfte, um den 32 Staaten der Majorität
auf Grund ihrer im Haag erfolgten Abstimmung
die Möglichkeit vorzubehalten, später außerhalb
der Konferenz einen auf obligatorische Schieds-
sprechung sich beziehenden Sondervertrag unter-
einander zu schließen (vgl. die Rede Bourgeois'
im Rapport von Charles Dupuy an den fran-
zösischen Senat 1907, Nr 337, S.77 und fran-
zösisches Gelbbuch S. 116).
Ist es auch richtig, daß durch die Annahme der
„Liste“ wohl niemals ein Krieg wäre vermieden
worden, so ist es doch ebenfalls zweifellos, daß
ihre Annahme in prinzipieller Beziehung von
größerem Wert gewesen wäre als die volltönenden
Worte der oben angeführten Deklaration. Des-
halb wurde ihre Ablehnung nicht bloß von den-
jenigen beklagt, die man mit einem gewissen
Achselzucken als „Pazifisten“ bezeichnet.
VI. Nichtanwendung von Gewalt zur
Eintreihung vertragsmäßiger Schuldforde-
rungen an fremde Staaten. Nur in einer ein-
zigen bestimmt umschriebenen Richtung und nur
in indirekter Weise wurde durch die Zweite Haager
Konferenz auch die Verpflichtung aufgestellt,
ein Schiedsgericht anzurufen, nämlich für den Fall,