Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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daß ein Staat im Namen seiner Untertanen ver- 
tragsmäßige Schuldforderungen gegen einen an- 
dern Staat geltend macht. Fuür diesen Fall haben 
sich die Staaten durch die von dem amerikanischen 
Delegierten Porter beantragte Norm der zweiten, 
am 18. Okt. 1907 unterzeichneten Konvention 
verpflichtet, nicht zu den Waffen zu greifen, außer 
wenn der Schuldnerstaat das Anerbieten schieds- 
gerichtlicher Austragung abgelehnt oder unbeant- 
wortet gelassen hat, oder wenn er trotz Annahme 
dieses Anbotes den Abschluß des Kompromisses 
unmöglich macht oder nach dem Schiedsspruche 
es unterläßt, ihm zu entsprechen. In Kraft dieser 
Konvention ist also die schiedsgerichtliche Aus- 
tragung solcher Forderungen als die regelmäßige 
und pflichtmäßige Form ihrer Erledigung an- 
erkannt und die Anwendung von Waffengewalt 
zu diesem Zwecke nur mehr subsidiär zulässig. 
Gegen die letztere Bestimmung sind allerdings 
pon den Vertretern einzelner südamerikanischer und 
zentralamerikanischer Staaten, insbesondere von 
Drago, Einwendungen erhoben worden, als würde 
durch sie der Krieg legitimiert. Aber ein anderer 
Vertreter des lateinischen Amerika, der Brasilianer 
Barbosa, hat in einer Erklärung, deren Bedeutung 
weit über den Rahmen dieser einzelnen Konvention 
hinausreicht, vielmehr das Wesen des Schieds- 
gerichtes überhaupt in treffender Weise charakteri- 
siert, dagegen folgendes erwidert: „Die amerika- 
nische Formel könnte, wenn sie minder aufrichtig 
wäre, über die schließliche Anwendung von Gewalt 
im Falle des Fehlschlagens des Schiedsgerichtes 
schweigen. Der Unterschied wäre nur, daß man in 
diesem Falle das für stillschweigend ausgedrückt 
annehmen müßte, was jetzt ausdrücklich gesagt ist. 
Denn es ist evident, daß selbst, wenn sich Staaten 
ohne ausdrücklichen Vorbehalt zur schiedsgericht- 
lichen Austragung verpflichten, in dem Falle, als 
einer derselben dem Schiedsspruche aus dem Wege 
geht oder ihn mißachtet, die Anwendung von 
Waffengewalt das einzig mögliche Korrektiv bleibt 
für die Weigerung oder den Ungehorsam gegen- 
über dem schiedsgerichtlichen Verfahren. Das ist 
es, was die übliche Schiedsklausel verschweigt, der 
amerikanische Vorschlag aber konstatiert. Der 
Unterschied zwischen beiden Formeln ist nur ein 
scheinbarer. Die eine zeigt mehr Geschicklichkeit, 
die andere mehr Aufrichtigkeit.“ 
VII. Der permanente Schiedsgerichtshof. 
Wenn auch der Schiedsgerichtshof in den vier Fäl- 
len, in denen er bis 1907 entschieden hatte, nach all- 
gemeinem Urteile sich völlig bewährte, so zeigt doch 
die Seltenheit der Fälle, in denen er angerufen 
wurde, daß ihm zu voller Praktikabilität etwas 
fehle. Deshalb machten die Vereinigten Staaten 
von Amerika den Vorschlag, neben dem sog. 
ständigen Schiedsgerichtshof von 1899, d. h. neben 
der von den Signatarmächten aufgestellten Liste 
von zum Schiedsrichteramte qualifizierten Per- 
sönlichkeiten einen wirklich permanenten 
Schiedsgerichtshof einzusetzen. Während 
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit. 
  
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es für Fälle von größerer politischer Bedeutung 
erforderlich sein mag, daß die Streitteile für jeden 
konkreten Fall das Schiedsgericht aus Personen 
ihres besondern Vertrauens zusammensetzen, schien 
es einer Anzahl von Mächten wünschenswert, für 
Fragen, in denen es ganz besonders auf die juri- 
stischen Kenntnisse der Urteiler ankommt, einen 
Schiedsgerichtshof, der aus den anerkanntesten 
Sachverständigen auf dem Gebiete des internatio- 
nalen Rechtes bestände, jederzeit parat zu haben. 
So bestehen ja auch innerhalb mancher Staaten 
ständige Schiedsgerichte, z. B. für Börsenstreitig= 
keiten, während daneben den Parteien noch das 
Recht eingeräumt ist. Schiedsrichter für den be- 
sondern Fall zu bestellen. Nur dann, wenn ein 
solcher konstituierter Schiedsgerichtshof jederzeit zur 
Verfügung steht, wird die schiedsrichterliche Aus- 
tragung so einfach und erleichtert sein und ins- 
besondere so rasch erfolgen können, als dies 
wünschenswert ist. Dann werden auch die übrigens 
sehr übertriebenen Klagen über die Kostspieligkeit 
des schiedsgerichtlichen Verfahrens verstummen 
(nebenbei sei bemerkt, daß die Kosten der zwei 
ersten Schiedsgerichtsfälle vor dem Haager Tri- 
bunal nur deshalb recht bedeutende waren, weil 
die Parteien sehr hohe Advokatenhonorare zu be- 
zahlen hatten, während dieser Teil der Kosten im 
dritten und vierten Schiedsgerichtsfalle, in denen 
sich die Parteien durch Beamte vertreten ließen, 
entfiel; die Kosten des Schiedsspruches selbst waren 
in allen vier Fällen verhältnismäßig nicht be- 
deutend), dann würde auch eine ständige Judi- 
katur in internationalen Rechtsfragen sich ausbilden 
können, die zu einer wichtigen Quelle des Völker- 
rechtes würde. Aus diesen Gründen legten die 
amerikanischen Delegierten Choate und Scott nach 
einer schon früher vom Staatssekretär Elihn Root 
gegebenen Anregung in einer der ersten Konferenz- 
sitzungen ein Projekt für die Schaffung eines stän- 
digen Schiedsgerichtshofes vor, der aus 15 Richtern 
bestehen, die verschiedenen Staaten und verschie- 
denen Rechtssysteme vertreten und der jährlich im 
Haag zusammentreten sollte. Diese Cour de justice 
arbitrale, wie sie im Verlaufe der Verhandlungen 
benannt wurde, sollte nicht an Stelle des nach den 
Normen von 1899 zusammenzusetzenden Schieds- 
gerichtes treten, sondern es sollte den Staaten die 
völlig freie Wahl zwischen dem alten und 
dem neuen System bleiben. Nichtsdestoweniger 
besorgten einzelne Konferenzmitglieder, so ins- 
besondere der Belgier Beernaert, daß die natür- 
liche Attraktionskraft dieser neuen Cour die alte 
verdrängen könnte und sprachen sich deshalb gegen 
diesen Vorschlag aus, der jedoch auf anderer Seite, 
insbesondere bei Großbritannien und Frankreich 
sowie — ganz im Gegensatze zu der 1899 ein- 
genommenen Haltung — auch beim Deutschen 
Reiche Unterstützung fand. Deutschland, Amerika 
und Großbritannien einigten sich sogar über einen 
gemeinsamen Entwurf eines Vertrages über die 
Kreierung der Cour de justice arbitrale, der die 
  
  
 
	        
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