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solche innere Angelegenheiten eines Staates oder
in solche Beziehungen eines Staates zu andern
Staaten, die infolge seiner Unabhängigkeit seinem
eigenen Ermessen unterliegen. Aus der Souve-
ränität des Staates folgt die Pflicht aller andern
Staaten, sich jeden Eingriffs in den Machtbereich
jeden einzelnen Staates zu enthalten. Diese all-
gemeine, die Person der Völkerrechtssubjekte vor
Verletzungen schützende Norm enthält ein Verbot
der Gewaltandrohung und Gewaltausübung so-
wie ein Verbot ehrverletzender Angriffe gegenüber
Völkerrechtssubjekten. Die Verletzung dieser Ver-
bote ist völkerrechtswidrig, wenn nicht für sie ein
rechtfertigender Grund gegeben ist. Die Dar-
stellung der Gründe, welche der Einmischung in
die Angelegenheiten eines Staates den völkerrechts-
widrigen Charakter nehmen, bildet den Inhalt der
Interventionslehre.
Die Rechtsanschauung von dem völkerrechts-
widrigen Charakter der Intervention hat sich erst
im Laufe des 19. Jahrh. herausgebildet. Die
Heilige Allianz hat noch die Aufrechterhaltung des
legitimen Zustandes in den kleineren europäischen
Staaten auf Anrufen der bedrohten Monarchen
mit Waffengewalt durchzusetzen versucht. Als
europäischer Areopag hat die Pentarchie der Groß-
mächte die in Europa auftauchenden Streitigkeiten
schlichten oder entscheiden und die gefährdete Ord-
nung schützen wollen. Österreichische Truppen
rückten 1821 in Neapel und Sardinien, fran-
zösische 1823 in Spanien ein, um das legitime
Königtum zu verteidigen. Mit Cannings Wieder-
eintritt in Englands Regierung im Jahre 1822
wurde dem Prinzip der Invention das Nicht-
interventionsprinzip entgegengesetzt, indem Eng-
land von da ab für die Unabhängigkeit der ein-
zelnen Staaten eintrat.
Seinen besondern Ausdruck fand der Grund-
satz der Nichtintervention in der Botschaft des
1831 verstorbenen Präsidenten der Vereinigten
Staaten von Amerika, James Monroe, vom
2. Dez. 1823, welche zwei Erklärungen enthielt:
à) hinsichtlich neuer Erwerbungen auf amerika-
nischem Festlande seitens europäischer Staaten,
b) hinsichtlich der Intervention der letzteren in
inneren Angelegenheiten amerikanischer Staaten.
Durch den ersten Teil sollte gegen England und
Rußland als die nordwestlichsten Angrenzer er-
klärt werden, daß fernere Kolonisation durch Be-
sitzergreifung herrenlosen Landes seitens europä-
ischer Mächte ausgeschlossen sei. England dehnte
trotzdem die Herrschaft der Dominion of Canada
bis zum Stillen Meere aus, und die Grenzen der-
selben gegen die Vereinigten Staaten sind durch
den Vertrag von Washington von 1871 und
durch den darin vorgesehenen Schiedsspruch des
Deutschen Kaisers geregelt. Ferner spricht der
Bulwer-Clayton-Vertrag von 1850 zwischen Eng-
land und den Vereinigten Staaten in Bezug auf
Zentralamerika den gegenseitigen Verzicht auf Ok-
kupation, Befestigung oder Kolonisation aus. Der
Intervention.
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Satz greift hinaus über die Rechtssätze des Völker-
rechts, das Erwerb durch Eroberung oder Okku-
pation oder durch Vertrag auf allen Teilen der
Erde zuläßt. Durch den zweiten Teil sollte der
Anspruch der absolutistischen Mächte, die Herr-
schaft Spaniens über seine abgefallenen ameri-
kanischen Kolonien als zu Recht bestehend zu be-
trachten, bekämpft werden. Präsident Monroe
erklärte nicht, daß die Vereinigten Staaten jede
Intervention europäischer Staaten in Angelegen-
heiten amerikanischer auszuschließen beanspruchen;
er protestierte nur dagegen, daß europäische Mächte
sich in amerikanische Angelegenheiten einmischten,
um ihre Grundsätze dort zwangsweise zur An-
wendung zu bringen. Diese Erklärung war für
England wesentlich mitbestimmend, auch seiner-
seits die Unabhängigkeit der spanischen Kolonien
anzuerkennen. Diese Erklärung Monroes hat nie
legislative Sanktion bekommen, ist auch nicht
Verordnung, sondern Erklärung der Verwaltung;
man nennt sie deshalb Monroe-Doktrin. Dem-
entsprechend erkannten die Vereinigten Staaten
den Kaiser Maximilian niemals an, obwohl er im
Besitz war, und nötigten Frankreich, die Truppen
zurückzuziehen. Aus der Botschaft ist die Forde-
rung entwickelt worden, daß den Vereinigten
Staaten eine Vorherrschaft über die süd- und
mittelamerikanischen Staaten zukomme (Amerika
den Vereinigten Staaten). Diese Forderung, die
in Widerspruch mit dem Nichtinterventionsprinzip
steht, hat bei den amerikanischen Staaten und in
Europa Widerspruch gefunden. Im Venezuela=
streite 1902/03 haben denn auch die Vereinigten
Staaten anerkannt, daß die europäischen Mächte
das Recht hätten, die zentral= und südamerikani-
schen Staaten durch Gewalt zur Erfüllung ihrer
Verpflichtungen anzuhalten. Es geht über die
Monroe-Doktrin hinaus, daß trotz des Bulwer-
Clayton-Vertrags Staatssekretär Blaine 1881
England gegenüber erklärte, daß die Landenge von
Panama und der Kanal, der sie durchschneiden
soll, unter der ausschließlichen Kontrolle der Ver-
einigten Staaten stehen müßten; denn kein Staat
kann seinen Willen in einem Weltteil als allein
maßgebend hinstellen, noch weniger können die
Vereinigten Staaten die europäischen Staaten,
die in Amerika Kolonien besitzen, von der Teil-
nahme an amerikanischen Angelegenheiten aus-
schließen. Seit dem siegreichen Kriege mit Spa-
nien legen die Vereinigten Staaten Wert auf
die Wahrung ihrer Weltmachtstellung in den
Welthändeln, wie der Vertrag mit Panama vom
18. Nov. 1903 über den Panamakanal und die
Erwerbung der Philippinen beweisen. Damit ist
der Grundgedanke der Botschaft verlassen. Wie
man jetzt, im Gegensatz zu früher, Intervention
zugunsten eines depossedierten Fürsten kaum mehr
kennt, so wird jetzt eine solche zugunsten werdender
internationaler Persönlichkeiten, sofern diese nur
Volk, Land und eine organisierte, zum Verkehr mit
andern Staaten geeignete Gesamtgewalt besitzen,