Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1441 
Invalidenversicherung s. Sozialver- 
icherung. 
Invalidenwesen (militärisches) s. Militär- 
wesen. 
Josephinismus. -[Der Absolutismus; die 
angebliche Toleranz Josephs II.; Josephinismus 
der vorhergehenden Zeit; wichtigere Gesetze; Auße- 
rungen Rom gegenüber; Nachwirkungen.] 
Das System, die katholische Kirche möglichst von 
ihrem Oberhaupte zu trennen und sie dafür dem 
Staate unterzuordnen, hat von Kaiser Joseph II. 
den Namen Josephinismus erhalten. Joseph II., 
Sohn der Kaiserin Maria Theresia von Osterreich 
und ihres Gemahls, des Herzogs Franz Stephan 
von Lothringen (seit 5. Okt. 1745 römisch-deutscher 
Kaiser als Franz I.), wurde geboren zu Wien am 
13. März 1741. Am 27. März 1764 wurde er 
in Frankfurt zum römisch-Deutschen König gewählt 
und am 3. April 1764 feierlich gekrönt. Als im 
folgenden Jahre der Vater starb, nahm er den 
Titel Kaiser an und wurde auch Mitregent seiner 
Mutter in den österreichischen Erbstaaten. Nach 
Maria Theresias Tode (29. Nov. 1780) führte er 
allein die Regierung bis zu seinem Tode am 
20. Febr. 1790. Obgleich Joseph II. in politischer 
und staatsrechtlicher Beziehung nicht minder re- 
formierend und verwirrend vorging als auf kirch- 
lichem Gebiete, so ist die Bezeichnung Josephinis- 
mus als terminus technicus doch nur für dessen 
staatskirchliches System in Gebrauch. 
Als Maria Theresia starb, soll Friedrich II. aus- 
gerufen haben: „Eine neue Ordnung der Dinge 
beginnt!““ Wenn man das Wort Ordnung in 
einem gewissen allgemeinen Sinne nimmt, der etwa 
soviel wie System besagt, hatte er vollständig recht. 
Joseph II. hatte einen außerordentlich hohen Be- 
griff von seiner Regentenpflicht und noch mehr 
vom Regentenrecht. Er kannte keine Grenzen der 
Fürstenmacht, wo es sich um den Staatszweck 
handelte. Er nannte sich den ersten Beamten des 
Staates, dachte sich die verschiedenen Nationen und 
Länder seines Reiches geistig gewissermaßen uni- 
formiert, zentralistisch regiert; aufgeklärt und aller 
jener Anschauungen bar, welche er für Vorurteile 
hielt, war er arbeitsam, unternehmungslustig. Zu- 
gleich wünschte er die Kassen gefüllt, was mit einem 
großen, tüchtigen Heere die Mittel bieten sollte, 
Ruhm und Macht des Staates nach außen zu be- 
gründen, endlich Vermehrung der Bevölkerung von 
lauter nützlichen Staatsbürgern. Was diesem 
Ideale im Wege stand, niederzuwerfen, schien ihm 
nicht nur kein Unrecht, sondern Regentenpflicht. 
Aus dieser Anschauung kamen die Verordnungen, 
welche die historischen Rechte der Länder aufheben, 
die deutsche Sprache den fremden Nationalitäten 
aufdrängen sollten usw. 
Bei der Verfolgung seines politischen Zieles 
stieß der Kaiser auf die Kirche. Daß er in seinem 
Lande nicht berechtigt sein sollte, alle äußern und 
auch innern Verhältnisse der Kirche dem Staats- 
zwecke gemäß zu ordnen und einzurichten, kam 
Staatslexikon. II. 3. Aufl. 
Invalidenversicherung — Josephinismus. 
  
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ihm gar nicht in den Sinn. Cuius regio, ülius 
et religio, mochte im einstmaligen Sinne nicht 
seine Anschauung sein; aber die angebliche Re- 
form, die er einführte, basierte doch ganz auf dem- 
selben Spruche. Es ist ein Vorurteil, das bis 
heute aus leicht erklärlichen Gründen von gewissen 
Historikern genährt wird, daß der Kaiser in reli- 
giöser Hinsicht tolerant gewesen sei. Wohl gab 
er im Toleranzedikte den Protestanten Augsburger 
und helvetischer Konfession freie Religionsübung, 
allein für nicht rezipierte Konfessionen hatte er keine 
Duldung. Nach einem. „Vortrage vom 19. Aug. 
1786“ ordnete er an, daß gewisse Familien in 
Zaisendorf (Mähren), weil sie sich zu keiner re- 
zipierten Konfession bekannten, wie die „Deisten“ 
zu behandeln seien. „Die Männer sind mit 
24 Stockstreichen und die Weiber mit 24 Ruten- 
streichen sogleich zu belegen und dann nach Hause 
zu schicken. Sollten sie dennoch in ihrem Irrtume 
hartnäckig beharren und sich zu keiner Frequen- 
tierung eines oder des andern Gottesdienstes der 
geduldeten Religionen herbeilassen, so sind sie ohne 
weiteres nach dem Beispiele der Deisten an das 
Militär nach Ungarn zur Verteilung abzugeben; 
ihre Häuser und Grundstücke aber müssen während 
der Minderjährigkeit ihrer sämtlichen zurückbleiben- 
den (d. h. den Eltern abgenommenen) Kinder durch 
eigens bestimmte Vormünder besorgt werden, so- 
wie auch die Herrschaft auf den Unterricht und die 
Verpflegung dieser Kinder zu sehen haben würde.“ 
Treffend hat Seb. Brunner die sog. Toleranz 
Josephs bezeichnet, wenn er sagte: „Nach Fried- 
richs II. Ausspruch konnte jedermann nach seiner 
Fasson selig werden. Nach Josephs Prinzipien 
mußte jeder Untertan nach des Kaisers Fasson 
aufgeklärt werden. Der Laibacher Franziskaner 
Franz NXaver Paradeiser hat es erfahren. Als die 
zur Aufhebung bestimmten Klöster geleert wurden, 
als man Mönche und Nonnen einfach anhielt, sich 
von den Gelübden durch die Bischöfe (die dazu 
gar nicht berechtigt waren) dispensieren zu lassen, 
wollte auch er seiner Kutte ledig werden und kam 
um Dispens ein. Allein er gehörte nicht zu einem 
vom Kaiser zur Auflösung bestimmten Kloster und 
wurde darum für sein Ansuchen in das Grazer 
Arbeitshaus eingesperrt auf unbestimmte Zeit, 
„allwo er allen andern Züchtlingen in der Arbeit 
und Strafe gleichzuhalten ist“, resolvierte der Kaiser 
mit der Beifügung, daß der Bischof ihn a sacris 
zu interdizieren hat“.“ 
Da die Prinzipien, aus welchen sich der Jo- 
sephinismus zusammensetzt, nicht von Joseph II. 
erfunden, sondern vorgefunden wurden, ist er 
eigentlich nicht der Vater des nach ihm benannten 
Systems. Daß man trotzdem die Bezeichnung bei- 
behält, läßt sich dadurch rechtfertigen, daß er es 
am meisten angewendet hat. Sog. josephinische 
Einrichtungen waren schon unter Maria Theresia 
nicht nur nicht unbekannt, sondern in vieler Be- 
ziehung bereits Prinzip. Daß sich Osterreich nicht 
wunderte, josephinisch geworden zu sein, kam von 
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