1443
der unglaublichen Kurzsichtigkeit der damaligen
Kirchenvorsteher, die sich mit Vorliebe Kirchen-
fürsten nennen ließen, dabei aber sich zur Macht
und zum Ansehen früherer Bischöfe ebenso ver-
hielten wie etwa der Hofadel der absolutistischen
Zeit zu den einstigen tatkräftigen und selbständigen
Fürsten und Grafen der Vergangenheit. Die
Kurzsichtigkeit und Schwäche hinwieder kam davon
her, daß nur Männer des Hofadels (man denke
an Graf Thun, Bischof von Gurkt) zu Bischöfen
befördert wurden, denen die theologische Wissen-
schaft und die Einsicht in das Wesen der Kirche
fremd waren. Man hatte auf dieser Seite nicht
einmal so viele Kenntnis, um zu wissen, daß die
unabhängige kirchliche Gesetzgebungsgewalt längst
dogmatisch festgesetzt war, nicht so viele berufs-
mäßige Moral, um die selbstverständliche Wahr-
heit praktisch zu machen, daß man Gott mehr ge-
horchen müsse als den Menschen.
Unter Maria Theresia regierte man nach den
Grundsätzen des Gallikanismus und Febronianis-
mus (s. Sp. 381 und 129) leise und vorsichtig,
unter Joseph II. offen und systematisch. Auf den
Universitäten lehrte man febronianisch, die Ordi-
nariate und Konsistorien waren febronianisch durch-
tränkt. Die Bischöfe fanden es natürlich, Expedits-
organe der Hofkanzlei zu sein. Der gewesene Pro-
fessor des kanonischen Rechts Dr Beidtel schrieb in
seinem Werke „Untersuchungen“ usw.: „Das Werk
des Febronius, welches im Jahre 1768 erschien,
wurde in Osterreich für unschädlich erachtet und
fand in den österreichischen Staaten einen un-
geheuern Absatz. Wer Glück im geistlichen Stande
machen wollte, mußte Febronianer sein. Nachdem
dasselbe 1764 in Rom verworfen war, nahm es
die österreichische Regierung in Schutz (noch vor
der Mitregentschaft Josephs). Nach diesem Werke
schrieb Rautenstrauch sein Kompendium des Ius
Canonicum, gegen welches ein Teil der Geistlich-
keit ein Geschrei erhob. Allein Rautenstrauch
wurde von der Regierung unterstützt und später
der Haupt-Mann (d. h. sog. theoretischer Vater
aller Josephinismen) bei Kaiser Joseph... Von
seiten der Bischöfe hörte man durchaus keine Klagen,
da die Klugheit Schweigen gebot.“ Adam Wolf
(Die Aufhebung der Klöster in Innerösterreich
1782/90, (1871)0 schreibt: „Was wir heutzutage
Josephinismus nennen, d. h. die kirchlich-poli-
tische Reformtätigkeit des Staates, war in seinen
Hauptrichtungen bereits durch die Regierung der
Kaiserin Maria Theresia vorbereitet. Spuren
davon finden sich unter Joseph I. und Karl VI.,
aber vor Maria Theresia war der Staat noch
durchaus orthodox, die Kirche frei, in ihrer kor-
porativen Gestaltung unberührt und mit einer
Macht und Hoheit ausgestattet, welche die welt-
lichen Rechte vielfach verdunkelte. Die neue poli-
tische Form, welche Maria Theresia schuf, indem
sie den Föderativstaat überwand und eine poli-
tische Monarchie mit einheitlicher Gesetzgebung
und zentralisierter Verwaltung gründete, mußte
Josephinismus.
1444
auch die Kirche treffen, und zwar zumeist in ihrem
autonomen und wirtschaftlichen Gebiete. Kardinal
Herzan, der Vertreter Osterreichs am römischen
Hofe, berichtet, das System der österreichischen
Regierung in geistlichen Angelegenheiten hätte sich
seit 1755 geändert."
Sebastian Brunner zählt in der „Kirchenzei-
tung“ folgende hierher bezüglichen Gesetze auf.
1767: Einschränkung des übermäßigen Anwach-
sens der Klöster. Ohne Placeto regio soll keine
päpstliche Bulle publiziert werden. 1768: Erläu-
terung der Tauf-Pragmatikalverordnung der un-
mündigen Judenkinder. Bei 1000 Dukaten Strafe
soll sich keiner unterfangen, aus übertriebenem
Religionseifer Juden ihre Kinder zu entziehen
und zu taufen. Unter welcher Bedingnis das
von den Konsistorien in Exkommunikationsver-
brechen abgefaßte Urteil als gültig anzusehen
sei. Wie es mit den unbestimmten Stiftungen
und einfachen Benefizien zu halten sei. 1769:
Den studiosis theologiae wird anempfohlen,
den politischen Vorlesungen beizuwohnen. Nur
die in Wien aufgelegten theses ex iure eccle-
siastico sind in allen Erbländern einzuführen
und in den examinibus theologicis zur ein-
zigen Richtschnur zu nehmen. Ex jure reei-
proco soll einem venetianischen Untertan 1) kein
geistliches Benefizium, 2) keine Obrigkeitsstelle
in den Stiften und Klöstern erteilt, 3) bei einer
dergleichen Wahl die diesfälligen professi des
voti activi et passivi destituiert und 4) die
Vermischung der diesseitigen Klöster mit der vene-
tianischen Provinz aufgehoben werden. 1770:
Ein Eheversprechen eines maiorennis cum mi-
norenni wider Einwilligung der Eltern oder
Vormünder bindet den Minorennen selbst nach
erlangter Majorität nicht (sehr undeutlich ab-
gefaßt; man weiß nicht, soll „wider Einwilligung“
gleich sein „ohne eine solche“ oder „gegen den
Willen“, was natürlich einen Unterschied be-
gründet). Die der cassa parochorum gehörigen
Kapitalien sollen bei Privaten aufgekündigt und
in Zukunft in öffentliche Fonds gelegt werden.
Alle Studien bei den geistlichen Orden sollen nach
den Lehrbüchern und Grundsätzen der Wiener
Universität gelehrt werden. Das Schulwesen ist
ein Politikum. Die Ordensgelübde sollen vor
Erreichung des vollen 24. Jahres von niemand
beiderlei Geschlechts abgelegt werden. 1771: Er-
läuterung wegen Ablegung der Ordensgelübde.
Geistliche Jurisdiktion der Regimentskapläne wird
an die vicarios locorum über die auf Kommando
stehenden Soldaten delegiert. Wie die zu den
Kirchen und Pfarreien gehörigen Güter und
Untertanen am besten zu verwenden seien. Bruder-
schaften ohne landesfürstliche Einwilligung zu er-
richten, wird verboten; die schon errichteten sollen
untersucht werden. Bestimmung, die Aufhebung
der Klosterkerker und die damit verbundenen An-
stalten betreffend. Kein Geld soll von Geistlichen
außer Landes oder an ihre Ordensgenerale ver-