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Zeit nach dem (protestantischen) Wittenberger Pro-
fessor Schröckh gelesen. Als das Werk des Wiener
Professors Dannenmaier an dessen Stelle trat,
merkte man keinen Unterschied der Auffassung.
Dogmatik, Moral und Pastoral waren voll Läste-
rungen gegen Rom, die Mönche usw. Rieggers
Lehrbuch des kanonischen Rechtes wich zwar 1784
Pehems Praelectiones in ius ecclesiasticum
universum. Allein Pehem ging in vielen Punkten
sogar noch weiter als Febronius. Dem Papste er-
kannte er einen Jurisdiktionsprimat zu, aber nur
dem Namen nach. Das Vetorecht (placetum re-
gium) in allen nicht dogmatischen Fragen schrieb
er dem Staate unbedenklich zu, so daß kein Erlaß
der Kirchenoberen ohne landesherrliche Genehmi-
gung Geltung habe. Den Zusammenhang der in-
ländischen Kirche mit der ausländischen möglichst
zu beschränken, ist gleichfalls dem Fürsten über-
lassen usp. Dieses Werk Pehems, obwohl gleich-
falls von Rom zensuriert, blieb bis 1810 das
ausschließliche Lehrbuch des kanonischen Rechtes.
Wie aus dem Vorstehenden hervorgeht, dauerte
der Josephinismus auch nach Kaiser Josephs Tode
(1790) noch fort und besteht, vom Konkordate
(1855/70) kaum unterbrochen, in einem gewissen
Sinne noch heute. Allerdings hieß es im Mo-
tivenberichte zu dem Gesetze vom 7. Mai
1874: „Der Josephinismus taugt heutzutage
ebensowenig als Prinzip des Staatskirchenrechts,
wie seine Grundlage, der sog. aufgeklärte Ab-
solutismus, als allgemeines Regierungsprinzip
taugen würde. Es würde allen herrschenden poli-
tischen Grundsätzen widersprechen, die Kirche als
Mittel zur Erreichung des Staatszweckes zu be-
handeln. In dem modernen Rechtsstaate ist jede
individuelle Entwicklung grundsätzlich frei und
nur ausnahmsweise beschränkt; in dem josephi-
nischen Staate verhielt es sich gerade umgekehrt.
Der Josephinismus hindert, weil er die Kirche
als Staatsanstalt behandelt, nicht die beständige
Vermischung der politischen und kirchlichen Auf-
gaben.. Die heutige politische Auffassung er-
kennt im Staate keine andere Souveränität an als
die des Staates, sie zählt auch die Kirche nur zu
den Lebenskreisen der Individuen, sie erkennt ihr
Freiheit auf dem besondern, eigenen Gebiete, aber
keine vom Staate unabhängige Macht zu (1!). Der
Anschauung, daß die Kirche auf ihrem Gebiete
ebenso souverän sei wie der Staat auf dem seinen,
kann übrigens heute weniger als je beigepflichtet
werden, da sich die übergreifenden Tendenzen
und bedenklichen Konsequenzen dieser Anschauung
eben in den Beschlüssen des letzten Vatikanischen
Konzils deutlich enthüllt haben.“ Im weiteren zeigt
der Verfasser des Motivenberichts, daß zu allen
Zeiten zwischen Kirche und Staat Streit über die
Grenzlinien ihres beiderseitigen Gebietes geherrscht
und daß jede Seite die andere auf Verletzung an-
geklagt habe. Dem ließe sich nur dadurch abhelfen,
daß endlich der Staat diese Grenze bestimme und
unverrückt festhalte: kirchliches Gebiet ist, was der
Josephinismus.
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Staat als solches anerkennt. Das ist nicht viel.
Es ist das sog. innere Gebiet. „Es versteht sich
von selbst, daß das Glaubens= und Gewissensgebiet
und die Art der Gottesverehrung keinen Gegen-
stand staatlicher Normierung abgeben kann.“ Aus
diesen anscheinend der Religion günstigen Worten
darf man keine zu weiten Konsequenzen ziehen.
Denn immer bleibt dem Staate das Recht, die
Anerkennung einer Konfession zu geben oder zu
verweigern bzw. zurückzunehmen. „Die Regierung
ist von der Ansicht ausgegangen, daß die Ab-
scheidung der innern und äußern Angelegenheiten
nur dem Staate zustehe. Formell ist die innere
und äußere Angelegenheit das, was der Staat hier-
für erklärt.“
Während der Motivenbericht nach einer oben
berührten Stelle es als charakteristisch josephinisch
bezeichnet, „die Kirche als Mittel zur Erreichung
des Staatszweckes zu gebrauchen", nimmt er doch
an anderer Stelle nicht im mindesten Anstand, die
katholische Kirche in den Dienst des Staates zu
stellen. Er sagt: „Der Staat erkennt an, daß ihr
(d. i. der katholischen Kirche) Bestand und Zweck
von öffentlichem Nutzen ist, und daß sie deshalb
auf besondere Vorzüge (besondere Verbindung mit
dem öffentlichen Wesen) Anspruch hat.“ Und
wiederum: „Endlich muß hervorgehoben werden,
daß bei den dermaligen Verhältnissen die Mit-
wirkung der Kirchenvorsteher für Zwecke der öffent-
lichen Verwaltung schlechterdings nicht entbehrt
werden kann.“ Auf den angeführten Anschauungen
basieren die Gesetze vom 7. Mai 1874 über die
äußern Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche,
durch deren Art. 1 das Konkordat formell auf-
gehoben wurde.
Josephinismus, Staatskirchentum, oder wie
immer man dieselbe Sache benennen mag, hat der
christlichen Religion mehr geschadet als das
Schwert der heidnischen Imperatoren. Die im
Schatten des Staates wandelnde Kirche ist, wenn
sie dort noch so viele Gefälligkeiten findet, ins-
besondere heute ungeeignet, im sozialen Klassen-
kampfe zu intervenieren. Die Vertreter einer
Staatskirche werden den Vertretern des Staates
keine Hilfe bringen können. Ist ja doch heute be-
reits das Schlagwort: Bourgeoisstaat, Bourgeois-
regierung, Bourgeoisreligion, ausgegeben. Die
Sozialdemokratie haßt unsere Kirche vorzüglich
darum, weil sie dieselbe als eine staatliche Ein-
richtung zur Niederhaltung der Massen betrachtet.
Daß die liberale Bureaukratie einer josephinischen
Kirche hold ist, macht die Sache noch schlechter.
Literatur. Entwurf zur Einrichtung der
Generalseminarien in den k. k. Erblanden (1784);
Beidtel, Untersuchungen über die kirchl. Zustände
in den kais. österr. Staaten (1849); Josephinische
Curiosa (1848/50); Ottokar Lorenz, Joseph II. u.
die belg. Revolution (1862); Karajan, Maria
Theresia u. Joseph II. (1865); Adam Wolf, Öster-
reich unter Maria Theresia (1855); derf., Die
Aufhebung der Klöster in Innerösterreich (1871);
K. Ritter, Kaiser Joseph II. u. seine kirchl. Re-