1465
geschichte mit den Merkmalen der Zähigkeit und
großer geistiger und wirtschaftlicher Begabung in
die Erscheinung. Nicht nur auf dem Gebiete der
Religionsphilosophie und der Völkerpsychologie
findet das Judentum eine besondere Beachtung sein
Gang durch die Weltgeschichte ist vor allem durch
kaufmännische Fähigkeiten und eine mit diesen
Beziehungen zusammenhängende Antipathie der
Wirtsvölker gekennzeichnet.
Seit der Zerstörung Jerusalems sind die Juden
über alle Weltteile zerstreut. Ein bedeutendes
rechnerisches Talent brachte ihnen überall als Kauf-
leuten, Händlern, Bankiers Einfluß auf ihre Wirts-
völker. Im Mittelalter verschaffte ihnen die
agrarische Wirtschaftsverfassung der Völker auf
dem Gebiete des Geldwesens ein großes Über-
gewicht. Ihre soziale Lage war im frühen Mittel-
alter ausgezeichnet. Mächtige Handelsherren und
Geldfürsten befanden sich unter den Juden in
Spanien, Frankreich, Deutschland bis zur Elbe,
England, Polen, Nordafrika und am Schwarzen
Meere. In ihren Händen war der hauptsächlichste
andel zwischen dem Orient und dem Okzident.
rst die Kreuzzüge und der Schwarze Tod (1349)
brachten zahlreiche blutige Volksaufstände und
Judenmetzeleien. Irrig ist die vielverbreitete An-
schauung, daß den Juden „keine andere Wahl blieb,
als vom Schacher und Wucher zu leben; denn der
mittelalterliche Staat ließ ihnen keine andern Er-
werbsquellen“ (Stobbe). Nach einer gründlichen
Untersuchung Schaubs hinderte die Juden nichts
an der Ausübung des Handels, Gewerbes oder
Ackerbaus. Der Zwang zum Schacher sowie die
Judenverfolgungen aus Handelseifersucht sind Fa-
beln. Allerdings haben im Mittelalter Staat und
Kirche mittelbar durch das allgemeine Zinsverbot
für Christen das Geldleihegeschäft der Juden er-
heblich gefördert. Die Juden waren im Genusse
einer Art Wucherfreiheit, indem ihnen die Gesetze
einen hohen Zinsfuß, meist 20 %, einräumten.
Der Herzog Friedrich II. ging sogar auf 173 ,
ein Statut der Provence bis auf 300 % Auch
das Pfandrecht stellte die Juden sehr günstig.
Sie brauchten für Schaden oder Untergang des
Pfandes nicht haften und durften mit Ausnahme
kirchlicher Geräte und blutiger Kleider unbekümmert
um die Herkunft alles zum Pfande nehmen. Von
der Gewährung eines Hehlerrechtes machte z. B. die
Judengemeinde in Frankfurt Gebrauch. Der Reich-
tum der Juden war ganz enorm. Die Fürsten und
Städte preßten häufig den Schwamm aus, wenn
er genügend vollgesogen war. 1375 wurde den
Juden in Augsburg eine Brandschatzung von
10000 fl., 1381 von 5000, 1384 von 20000 fl.
auferlegt. Bei der Schatzung in Nürnberg 1385
zahlten einzelne Juden 13000 fl., Jekel von Ulm
und seine zwei Söhne 150000 fl. Mit dem Über-
gang von der Natural= zur Geldwirtschaft und dem
Auftauchen christlicher Großhändler wurden die
Juden von den Genossenschaften der Kaufleute aus-
gesperrt. Darlehensgeschäfte. Trödlerwesen und
Israeliten.
1466
Kleinwucher sind nunmehr ihre Tätigkeit, wobei
sie einen starken Druck der Abhängigkeit auf ihre
Gläubiger ausübten. Als nun der Schwarze Tod
durch die Lande brauste, da bezichtigte das Volk
die Juden der Vergiftung der Brunnen; aus Haß
gegen die jüdischen Gläubiger entstanden grausame
Judenverfolgungen. In England wurdendie Juden
schon unter Richard I. (1189) vertrieben. Der
Wucher war der Hauptgrund des Judenhasses,
indem die Schuldscheine in der Kathedrale zu YVork
zu Haufen aufgeschichtet und verbrannt wurden.
In Spanien spielten die Juden unter den Mauren
als Arzte, Astronomen, Finanzbeamte, ebenso an
den christlichen Höfen eine große Rolle. Das Miß-
trauen gegen sie war stets wach. Sie kamen in die
höchsten Amter, sogar auf Bischofsstühle, heirateten
in die ersten Familien. 1492 unterzeichneten die
Herrscher zu Granada den Befehl an alle un-
getauften Juden zum Verlassen des Reiches bei
Todesstrafe, wobei Gold und Silber nicht mit-
genommen werden durfte.
Die Reformation brachte in der feind-
lichen Gesinnung gegen die Juden keine Ande-
rung. Luther empfahl, ihre Synagogen in Feuer
zu stecken, und was nicht brennen will, mit Erde
zuzuschütten. In volkswirtschaftlicher Beziehung
ist die Bedeutung der Juden auf einige minder-
wertige Handwerke, den Kleinhandel und das
Wuchergewerbezuf geschrumpft. Manzwang
die Juden, sich in Ghettos zusammenzuschließen
und unterscheidende Abzeichen an der Kleidung zu
tragen. In den Dichtungsgattungen des 15. bis
17. Jahrh., im Volkslied und in den Sprich-
wörtern kehrt der Jude in der dreifachen An-
schuldigung als Wucherer, Hostienschänder und
Kindermörder stets wieder. Im 18. Jahrh. haben
einzelne Fürsten radikale und reformerische Maß-
nahmen versucht. Joseph II. wollte sie zum Acker-
bau heranziehen, bodenständig machen und sie zu
Soldaten aushebenlassen. Allein es gelang ihm nicht.
Bei der Aufhebung der Klöster unter Joseph II.
boten die Juden für die Masse der Kirchengefäße
20 Mill. fl. Auch bei der Säkularisation in Bayern
konnten sich die Juden sehr bereichern.
In staatsrechtlicher und sozialer Beziehung
waren die Juden bis zum Anfang des 19. Jahrh.
gedrückt und von den Rechten der Bürger aus-
geschlossen. Die französische Revolution mit ihrer
Betonung der allgemeinen Menschenrechte leitete
die Gleichberechtigung der Juden ein. Vor allen
gewann Moses Mendelssohn durch seine philosophi-
chen Schriften Einfluß zugunsten der Juden-
emanzipation. Seitdem sind die Juden von Er-
folg zu Erfolg emporgestiegen. Das 19. Jahrh.
brachte aber auch einen Umschwung innerhalb des
Wesens des Judentums, sowie neue Verwicklungen
mit ihren Wirtsvölkern, so daß heute unter den
sozialen und weltbewegenden Problemen die Juden-
frage einen ersten Platz einnimmt.
Die Zahl der Juden auf der Erde beträgt
etwas über 11 Mill., von denen 8,8 Mill. in Europa
—