Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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wohnen. Rußland zählt über 5, Osterreich-Un- 
garn 2,1 Mill., Deutschland 607 862, Rumänien 
269 015, Großbritannien 238 275 Juden; die 
übrigen Staaten haben kleinere Anteile. Die Art 
der Siedlung der Juden unter ihren Wirtsvölkern 
zeigt, daß die heutigen Juden vornehmlich Stadt- 
bewohner sind. Etwa die Hälfte aller Juden in 
Deutschland wohnt in Städten mit über 50 000 
Einwohnern, während dies erst bei kaum einem 
Fünftel der Christen der Fall ist. Abgesehen von 
den jüdischen Ackerbaukolonien in Rußland, Palä- 
stina und Argentinien ist das Judentum der Land- 
wirtschaft völlig entfremdet. Der Charakter der 
Großstädte als Handels= und Verkehrsplätze, als 
geistige Zentren, Börsen, Bankinstitute, Eisenbahn- 
knotenpunkte bildet eine große Anziehungskraft für 
die Juden. In erster Linie bevorzugen die Juden 
den Handel, für welchen sie eine weltgeschicht- 
lich bekannte gute Veranlagung mitbringen. Som- 
bart nennt „die jüdische Rasse nach einer Seite 
ihrer Veranlagung gleichsam die Inkarnation kapi- 
talistisch-kaufmännischen Geistes“. Die Tendenz. 
unserer Zeit zur kapitalistischen Wirtschaftsent- 
wicklung hat durch die Juden die größte Förderung 
erfahren. Der Siegeszug des Kapitalismus läuft 
mit der Entwicklung zahlreicher Juden von kleinen 
Händlern und Hausierern bis zu den heutigen 
Finanzgrößen parallel. Der Werdegang des rest- 
losen Aufgehens des Judentums im Handel und 
in geistigen Berufen in den Städten nimmt einen 
immer schnelleren Lauf an, indem z. B. selbst 
der jüdische Viehhandel auf dem Lande infolge ge- 
setzlicher Einschränkungen und der Bildung bäuer- 
lichen Genossenschaften ständig zurückgeht. Es ist 
sicher, sagt Schmoller, „daß die Juden heute 
allerwärts als Händler, Unternehmer, Bankiers 
und Journalisten eine führende Rolle spielen und 
daß dies ebenso mit ihrem Rassentypus wie mit 
ihrer Internationalität zusammenhängt“. In 
Deutschland sind die Juden in der Landwirtschaft 
mit 1.3 %% in Handel und Industrie dagegen mit 
etwa 75 % aller Erwerbstätigen beschäftigt. Von 
allen selbständigen Kaufleuten im Geld= und Kredit- 
handel sind etwa 40 % Juden. Mehr als zwei 
Drittel der in der Industrie erwerbstätigen Juden 
gehören der Nahrungs- und Genußmittelindustrie 
und dem Bekleidungs-, Reinigungs= und Kon- 
fektionsgewerbe an. Im Bank- und Börsenwesen 
ist das Judentum mächtig und tonangebend. Den 
Stock der Berliner Effektenbörse bilden etwa 280 
jüdische Bank= und Wechselhäuser; die Börse in 
Frankfurt a. M. zählt gegen 100, in Hamburg 
gegen 40, in Leipzig 12, in München 20, in 
Nürnberg 25 jüdische Bankhäuser. Die gol- 
dene Internationale ist vorwiegend jüdisch. Sie 
übt auf die Politik einzelner Staaten einen nam- 
haften Einfluß aus. Die Höhe des Gesamt- 
vermögens einzelner Welthäuser, z. B. der Roth- 
schilds, ist kaum zu ermitteln. Sehr wichtige und 
einträgliche Einnahmequellen befinden sich in jü- 
dischen Händen. Der Getreide-, Hopfen= und 
Israeliten. 
  
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Lederhandel liegt überwiegend in den Händen der 
Juden. Bauern, Gewerbetreibende, weite Kreise 
der arbeitenden Bevölkerung stehen in Abhängigkeit 
von dem kapitalkräftigen Judentum. Der Reich- 
tum der Juden übersteigt weit jenen der Christen. 
In Berlin tragen die Juden fast ein Drittel der 
Steuern, obwohl sie nur 4,8 % der Bevölkerung 
ausmachen. In Baden entfielen (1905) von den 
zur Kapitalrentensteuer veranlagten Kapitalien auf 
den Kopf des Katholiken 477, des Protestanten 
1198, des Juden 6611 M; bei der Grund-, 
Häuser-, Gewerbesteuer lauten diese Zahlen 1084, 
1420, 6443, bei den Anschlägen der Einkommen- 
steuer 105, 198, 1099. Aus diesen Zahlen erhellt 
ein ganz außerordentlicher Vorsprung der Juden 
in bezug auf Wohlhabenheit und Reichtum, sowie 
eine Abhängigkeit der christlichen Bevölkerung, 
welche vom Standpunkte der christlichen Gesell- 
schafts= und Wirtschaftsordnung nicht wünschens- 
wert erscheint. 
Hand in Hand mit dem materiellen Überge- 
wichte der Juden geht ihre Anteilnahme am 
Geistesleben und Bildungswesen. Im 
Verhältnis zu den Juden nehmen die Christen 
an den zahlreichen Bildungsgelegenheiten in viel 
geringerem Maße teil. Von je 100 christlichen 
bzw. jüdischen Schülern entfallen in Preußen auf 
die höheren Lehranstalten etwa 3 % bzw. 26%, 
in Bayern 7% bzw. 38 % . Ein Zehntel aller 
Studierenden an den preußischen Universitäten 
sind Juden. Bevorzugte Fakultäten sind Zahn- 
heilkunde, Medizin, Pharmazie, Rechts= und 
Staatswissenschaften. Der Andrang der Juden 
zu den preußischen Universitäten übertrifft den 
der Protestanten um das 6½-, der Katholiken 
um das 8½ fache. In Österreich nehmen die 
Juden etwa 4½mal so stark am Hochschulstudium 
teil als die übrige Bevölkerung. Im Durchschnitt 
sind ungefähr ein Viertel aller Mediziner Juden. An 
den Hochschulen Ungarns ist der vierte Teil aller 
Hörer jüdisch. Durch diesen außergewöhnlichen 
Anteil des Judentums an den mittleren und 
höheren Bildungsstätten besitzt es eine ganz ge- 
waltige Macht in geistiger Beziehung. Unter 
dieser starken jüdischen Interpretation der Er- 
rungenschaften der Wissenschaft hat aber diechrist- 
liche Weltanschauung in bedauerlicher Weise zu 
leiden. In den medizinischen, naturrechts- und 
sozialwissenschaftlichen Disziplinen ist das jüdische 
Professorentum relativ stark vertreten. Damit 
hat auch die hohe Ethik des Christentums einer 
mehr materialistisch und skeptisch gerichteten Welt- 
anschauungsweise Platz gemacht. Ein sehr starkes 
Kontingent stellen die Juden zu den liberalen 
Berufsarten. Die Zahl der jüdischen Arzte und 
Tierärzte beläuft sich in Deutschland auf über 
10 % . Mehr als ein Fünftel aller Rechtsanwälte 
sind Juden. Neuerdings strömen die Juden stark 
den Berufen eines Chemikers, Technikers, Inge- 
nieurs zu. Auch die kaufmännischen Berufe wer- 
den mehr verlassen und die akademischen Stellen
	        
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