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neapolitanischen Bourbonen und das Haus Sa-
voyen hatten sich während der napoleonischen Zeit
unter dem Schutze der englischen Flotte auf Si-
zilien und Sardinien behauptet; jetzt bekamen sie
ihren festländischen Besitz zurück, letzteres mit an-
sehnlicher Vergrößerung durch das Gebiet der Re-
publik Genua. Auch der Kirchenstaat wurde wieder-
hergestellt.
2. Die nationale Einigung. Seit dem
18. Jahrh. war das Nationalgefühl, der Wunsch
nach Einigkeit und Unabhängigkeit neu erwacht.
Damit verbündete sich das Verlangen nach freieren
und moderneren Einrichtungen, vor allein nach
einer konstitutionellen Verfassung; die Aufklärung,
die französische Revolution und selbst das straffe
napoleonische Regime hatten Italien mit neuen
Ideen durchsetzt, und im Auslande sah man die
Forderung nach Teilnahme des Volkes an der Re-
gierung vielfach verwirklicht. Der europäische Areo-
pag unter Metternichs Führung hatte nun Italien
wieder für einen rein geographischen Begriff er-
klärt und nicht einmal wie in Deutschland einen
Bundesstaat genehmigt. Den leitenden Einfluß
erhielt vielmehr Osterreich, das bis zum Tessin
ummittelbar, in Parma, Modena und Toskana
mittels der verwandten Dynastien gebot, im
Kirchenstaate Besatzungsrechte hatte und auch das
Königreich Neapel, zumal seit der von österreichi-
schen Truppen niedergeschlagenen Revolution von
1821, in seiner Gewalt hatte. Da auch Sardinien
unter Karl Felix und lange noch unter Karl Albert
dem österreichischen Drucke gehorchte, so herrschte
in ganz Italien das absolutistische System Metter-
nichs, und die freiheitliche und nationale Bewegung
richtete naturgemäß ihre Spitze gegen Osterreich.
Trotz der guten Verwaltung im lombardo-venezia-
nischen Königreiche war es nicht beliebt, auch die
einsichtige und wohlwollende Tätigkeit der toska-
nischen Dynastie wurde nicht gewürdigt; die bour-
bonische Regierung in Unteritalien war geradezu
verhaßt. Die einzige nationale Dynastie, auf
welche sich vielfach die Hoffnungen richteten, war
die savoyische. Die tiefe und allgemeine Erbitte-
rung über die Fremdherrschaft loderte hin und
wieder in revolutionären Ausbrüchen auf; meist
glühte sie im verborgenen in Verschwörungen und
geheimen Gesellschaften, besonders der Carboneria
und dem Jungen Italien. Von 1815 bis 1860
war die Revolution chronisch, ihre Opfer wurden
als Helden und Märtyrer gefeiert. Das Haupt
bieser Italia sotterranea war der Genuese Giu-
seppe Mazzini; nur durch diese rastlose, von Eng-
land und Frankreich geduldete und geförderte
Minierarbeit ist der schließliche rasche Zusammen-
bruch der legitimen Gewalten zu erklären. Repu-
blikanische und anarchistische Staatsfeindschaft,
u#topischer Radikalismus, Gewöhnung an Schleich-
wege und Koterien sind die schlimmen Erbstücke
im politischen Leben des heutigen Staates, nicht
ohne eigene Mitschuld. Patrioten, welche die For-
derungen der Neuzeit innerhalb des bestehenden
Italien.
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Staatensystems als erfüllbar dachten, hofften auf
einen Bundesstaat unter päpstlicher oder savoyischer
Führung. Einen tiefen Einfluß übten die Schrif-
ten von Gioberti (Del primato morale e eivile
degl’Italiani) und von Balbo (Delle speranze
4 Italia) in dieser Beziehung aus (1844).
Die nationale Bewegung kam in Fluß durch
die liberalen Anfänge der Regierung des Papstes
Pius IX. 1846 und die Revolution von 1848,
die Sardinien auszunützen trachtete, um die öster-
reichischen Provinzen und die Vorherrschaft in
Italien an sich zu reißen. Radetzkys Siege retteten
beide noch einmal für Osterreich, und überall
wurden die alten Verfassungen wiederhergestellt,
mit Ausnahme Sardiniens, wo Karl Albert nach
der Niederlage bei Novara 1849 zugunsten seines
Sohnes Viktor Emanuel II. abdanken mußte.
Unter der weitsichtigen und verschlagenen Leitung
des Ministerpräsidenten Cavour stärkte Sardinien
seine wirtschaftlichen und militärischen Kräfte, suchte
durch dem Zeitgeiste entgegenkommende Reformen
moralische Eroberungen zu machen und gewann
in Napoleon III., dem es sich durch Teilnahme
am Krimkriege genähert hatte, einen Verbündeten
Nachdem ihm Cavour im Vertrage von Plombikères
die Abtretung von Savoyen und Nizza zugesagt
hatte, erklärten Frankreich und Sardinien 1859
den Krieg an Osterreich. Alsbald nach den ersten
Mißerfolgen der Osterreicher verließen die Herrscher
von Toskana, Parma und Modena ihre Staaten;
auch in der päpstlichen Romagna bildete sich nach
dem Abzuge der Osterreicher eine provisorische Re-
gierung, die den Anschluß der nördlichen Provin-
zen des Kirchenstaates an den neuen Einheitsstaat
vorbereitete. Osterreich mußte im Waffenstillstande
von Villafranca und im Frieden von Zürich die
Lombardei bis auf Mantua und Peschiera ab-
treten, suchte aber die genannten Kleinstaaten zu
retten. Trotz der in beiden Verträgen versprochenen
Zurückführung der flüchtigen Herrscher und trotz
der sich regenden republikanischen und partikulari-
stischen Neigungen gelang es Ricasoli in Toskana,
Farini als Diktator in der Emilia (unter welchem
Namen sich Parma, Modena und Romagna zu-
sammenschlossen), durch Volksabstimmung den An-
schluß an Sardinien zustande zu bringen (März
1860). Wie wenig solche Plebiszite den wirk-
lichen Volkswillen zum Ausdrucke brachten, hatten
kurz vorher die Abstimmungen in Nizza und Sa-
voyen, dem Stammlande der Dynastie, gezeigt,
die sich für den Anschluß an Frankreich aus-
sprachen.
Im geheimen Einverständnisse mit Cavour be-
reiteten die Häupter der sizilischen Nationalpartei,
Crispi und La Farina, eine Erhebung vor. Im
Mai 1860 landete Garibaldi mit 1000 Frei-
willigen bei Marsala, und in wenigen Wochen
war die Bourbonenherrschaft beiderseits des Faro
beseitigt. Noch größer als dieser Erfolg war die
Kunst Cavours, der den wachsenden Groll der
Mächte von einer Intervention zurückhielt und die
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