Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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noch im Vollstreckungsverfahren; sie kann in einer 
ausdrücklichen Ablehnung der erforderlichen be- 
hördlichen Entscheidung und Weisung oder in 
einer stillschweigenden Unterlassung derselben be- 
stehen. Man unterscheidet: 1) je nachdem die 
Rechtspflege dauernd und endgültig oder nur zeit- 
weilig und vorläufig versagt wird, die Justiz- 
verweigerung im engeren Sinne (denegatio 
iustitiae) von der Justizverzögerung (protractio 
iustitiae); 2) je nachdem die Versagung der 
Rechtspflege auf einem Verschulden der entschei- 
denden Behörden oder auf einem gesetzwidrigen, 
die Tätigkeit der Urteilsbehörden hindernden 
Verhalten anderer Organe des Staates beruht, 
die Verweigerung der Justiz von der Hemmung 
der Justiz. Zu letzteren Fällen ist namentlich zu 
rechnen, wenn der Landesherr durch eigenmächtige 
Justizverweigerung. 
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Be.. Geschichte. I. Das spätere römische Recht 
droht wegen Justizverweigerung (litem prote- 
„lare) dem schuldigen Richter mit Geldstrafe und 
Entfernung vom Amte (I. 13, § 8, C. de iudiclüs 
3, 1). Nach Nov. 86, c. 1 (a. 539) ist gegen den 
praeses provinciae, welcher richterliches Gehör 
zu geben zögert, der Bischof anzurufen, damit 
dieser ihn zur Wahrung des Rechts antreibe; hilft 
diese Aufforderung nichts, so kann der Beschwerde- 
führer mit einer bischöflichen Bescheinigung über 
die erfolglos geschehene Mahnung sich an den 
Kaiser wenden, welcher den Präses bestrafen wird. 
Von Devolution der Streitsache an einen andern 
Richter ist nicht die Rede. 
II. Daskanonische Recht weist den geist- 
lichen Richter an, im Falle der Justizverweigerung 
durch das weltliche Gericht die Klage anzunehmen 
  
Einwirkungen die Verhandlung einer Rechtssache, (c. 20, X de iudicüs 1, 1 Honorius III.); 
die Fällung oder Vollstreckung eines Urteils ver- # „. 6, X de foro competenti 2, 2 IAlexan- 
hindert, gleichviel, ob dies durch gewaltsame Ein= der III.); c. 10. 11, X de foro competenti 
griffe in den Gang der Rechtspflege, z. B. durch IInnocentius III.0. Dieser Anspruch auf De- 
Einsperren der Richter, oder in anderer Weise, volution der Gerichtsbarkeit vom weltlichen Richter 
etwa durch ungenügende Besetzung der Gerichts= an die Kirche entsprach den Anschauungen des 
behörden, geschieht. Dagegen liegt keine Hem= germanischen Rechts und fand in der mangelhaften 
mung der Justiz vor, wenn die Anrufung des Organisation der weltlichen Gerichte seine Recht- 
ordnungsmäßig errichteten und besetzten Gerichtes 
durch Gewalt verhindert (so Zachariä, Hänel) 
oder der Kläger durch Mängel in der Rechts- 
ordnung, vielleicht gar durch absichtlichen Miß- 
brauch der gesetzgebenden Gewalt, z. B. durch ein 
fertigung. 
III. Deutsches Recht. 1) Schon die Volks- 
rechte der Salfranken (lex Salica 57, §8§ 1. 2), 
der Burgunder (lex Burg. praef. II, § 11 et 
tit. 81, § 1), der Angelsachsen (leges Anglo- 
für den Einzelfall gemachtes, mit rückwirkender Sax. Edward. II, c. 2; Aethelstan II, c. 3. 
Kraft ausgerüstetes Gesetz, von der Verfolgung 26; IV,c. 7), der Longobarden (Rothar. c. 150. 
seines Anspruches ausgeschlossen wird (so Klüber, 251; Liutprand. c. 25—27; Rachis. c. 1. 6. 
Hänel). Hier handelt es sich nicht um Abhilfe 7) und der Westgoten (lex Visigoth. II, 1, 19. 
gegen die Nichtanwendung des geltenden Gesetzes, 21. 29; II, 2, 7; V, 1, 6; VI. 4, 3; VI, 5, 
sondern um Verbesserung des geltenden Gesetzes 14) drohen dem Richter und Urteilsvollstrecker für 
und um Abhilfe gegen Verletzung der persönlichen den Fall der Justizverweigerung Strafen an, und 
Freiheit. 
III. Rechtsfolgen. Gegen die Justizverwei- 
gerung gibt es allgemein nur eine Beschwerde an 
die der schuldigen Behörde vorgesetzte Aufsichts- 
behörde (querela denegatae vel protractae 
iustitiae). Während die gegen unrichtige An- 
wendung des Gesetzes gerichteten prozessualischen 
„Rechtsmittel“ im weitesten Sinne des Wortes 
eine Anderung der in der Sache getroffenen Ent- 
scheidung anstreben und die gegen ungerechte 
Folgen einer richtigen Gesetzesanwendung an- 
gerufene Gnade nur die Wirkung der Entschei- 
dung beseitigen will, ist der wesentliche Zweck der 
zwar Geldbußen, Amtsentsetzung und Todes- 
strafe bzw. Verwirkung des Wergeldes. Neben der 
Strafe wird ausnahmsweise auch noch die Ver- 
pflichtung zum Schadenersatz ausgesprochen (bei 
Westgoten und Angelsachsen) und zur Erzwingung 
der Rechtspflege die gewaltsame Wegnahme von 
Sachen des säumigen Richters oder seiner Ge- 
richtseingesessenen als Repressalie gestattet (bei 
Longobarden und Westgoten). Die Beschwerde 
wegen Justizverweigerung geht allgemein an den 
König als den höchsten Richter und Wahrer des 
Rechts, welchem auch die vom schuldigen Richter 
zu erlegende Geldbuße ganz oder teilweise zufällt. 
Beschwerde wegen Justizverweigerung lediglich die Die Berufung an den König bleibt auch zur Zeit 
Erlangung der Gesetzesanwendung. Die Be= des fränkischen Reichs in Geltung; neben die 
schwerde ist deshalb weder an eine bestimmte Frist Strafe tritt aber nunmehr der Zwang zur Recht- 
noch an eine bestimmte Summe gebunden. Nach sprechung durch Einlegung von Wartboten und 
Verschiedenheit der Gesetze in den einzelnen Staaten die Erleichterung der vorläufigen Amtsentsetzung 
kann die Justizverweigerung strafrechtliche, dis= pflichtvergessener Justizbeamten durch die missi 
ziplinare und privatrechtliche Folgen für die dominici (capit. Heristall. a. 779, c. 11; capit. 
schuldigen Personen nach sich ziehen. Der Aus= miss. a. 817, c. 23; capit. Wormat. a. 829 
länder kann gegen die Justizverweigerung nach alia, c. 2). — 2) Die Zustände der Rechtspflege 
Erschöpfung der Beschwerde-Instanzen auch noch in der späteren Zeit kennzeichnet die Bestimmung 
den Schutz der heimatlichen Staatsgewalt anrufen. des Sachsenspiegels (vor 1235; Landrecht III, 87,
	        
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