Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1541 
menfassung aller deutschen Stämme zur Erfüllung 
der dem deutschen Volke gesetzten weltgeschichtlichen. 
Aufgaben anerkennt. 
B. Das römische Kaisertum (27 v. Chr. bis 
zum Ende des weströmischen Reiches 476). I. Das 
Kaisertum bei den Römern (principatus) ist ein 
staatsrechtlicher Begriff, und zwar nicht eine 
Monarchie, sondern eine Vereinigung der höchsten 
republikanischen Magistratsgewalten, in welcher 
das entartete Volk sich den schwach verschleierten 
Despotismus gefallen ließ. Die Souveränität 
des Volkes blieb grundsätzlich unberührt und fand 
ihren Ausdruck in der schlechthin freien Wahl und 
Absetzung des Kaisers, die sich, mochte sie im ein- 
zelnen Falle durch das gesetzliche Organ, den 
Senat, oder durch beliebige Teile des Volkes oder 
Heeres sich vollziehen, im Grunde genommen 
lediglich nach der Gewalt des Stärkeren, nicht 
nach dem Legitimitätsprinzipe regelte. Der Kaiser 
ist der erste Bürger und Beamte der Republik, 
der als solcher nicht über dem Gesetze steht, wohl 
aber mannigfach gesetzlich privilegiert ist und im 
Laufe der Entwicklung das Recht der Dispen- 
sation von den Gesetzen erhalten hat (princeps 
legibus solutus). Seine Unverantwortlichkeit 
ergibt sich aus dem republikanischen Grundsatze, 
daß jeder Magistrat nur bei einem übergeord- 
neten Beamten zur Verantwortung gezogen wer- 
den kann; ein Einschreiten gegen den Kaiser ist 
daher auch nur während seiner Amtsdauer aus- 
geschlossen, dagegen nach Amtsniederlegung oder 
Absetzung zugelassen, wie auch nach dem Tode 
des Kaisers eine Revision seiner Amtshandlungen 
stattfand und Ehrenstrafen verhängt werden konn- 
ten. Auch die Unverletzlichkeit des princeps ist 
im Grundsatze lediglich die magistratische; aber 
freilich wurde der Begriff des Majestätsver- 
brechens, dessen Verfolgung und Bestrafung ins 
Ungeheuerliche ausgedehnt. Die Vergötterung der 
Kaiser, vielfach geübt und von den schlechtesten 
Kaisern sogar verlangt, ist nicht zu einem dauern- 
den Rechtsinstitute geworden. Eine Besoldung 
bezog der Kaiser ebensowenig wie die übrigen 
Magistrate, und die ihm zur Bestreitung seiner 
Aufgaben zugewiesenen Staatseinkünfte erforder- 
ten nicht selten Zuschüsse aus seinen Privatmitteln 
(Augustus erklärt in seinem Testamente, er habe 
aus ererbtem Gute 4 Milliarden Sesterzen zu 
öffentlichen Zwecken verwendet). Die gewöhn- 
lichen Abzeichen des Kaisers waren die der repu- 
blikanischen Magistrate: Purpurgewand und 
Lorbeerkranz (letzterer Zeichen des Triumphators). 
Von andern Magistraturen unterschied sich das 
Kaisertum durch die Lebenslänglichkeit und Unbe- 
schränktheit seiner Gewalt, durch die Vereinigung 
der verschiedenen Amter und den Mangel eines 
Amtseides. Der Kaiser leistete keinen Eid auf die 
Gesetze, während die übrigen Beamten bei ihrem 
Amtsantritte dies zu tun hatten. Ein besonderer 
Eid wurde dem Kaiser als dem Feldherrn der Ge- 
meinde nur von den Soldaten geschworen (sacra- 
Kaiser. 
  
1542 
mentum)e: ein Eid, der sich aber späterhin zu 
einem Treueide der Beamten, Bürger und Unter- 
tanen erweiterte. Als Titel seiner Stellung legte 
sich der Kaiser die Beinamen Imperator, Cäsar, 
Augustus bei, wovon die beiden ersten auf den 
Diktator Cajus Julius Cäsar als den Begründer 
des Kaisertums, der letzte (= heilig, c#eg#a##öh auf 
den ersten princeps, dem er durch Senatsbeschluß 
verliehen wurde, zurückzuführen ist. Aus dem 
magistratischen Charakter des Kaiseramtes ergab 
sich auch die Möglichkeit, in dem den orbis ter- 
rarum umfassenden, einheitlichen Reiche die 
Staatsgewalt unter mehrere Imperatoren zu 
teilen, und diese Teilung bot wieder das Mittel, 
durch Einführung einer Mitregentschaft oder Ge- 
samtregentschaft die Nachfolge in den an sich 
nicht erblichen Prinzipat zu sichern. 
II. Eine gesetzliche Reglung der im Kaisertume 
inbegriffenen oder mit demselben verbundenen, je 
durchbesondere Übertragungsakteerworbenen Amter 
hat nicht stattgefunden. Ebensowenig kam es in der 
Kaiserzeit zu einer Normierung des Rechts der Ge- 
setzgebung oder zu einer gesetzlichen Reglung der 
bürgerlichen Behörden: neben dem Gesetzgebungs- 
recht der Komitien entwickelte sich ohne prinzipielle 
Abgrenzung ein Gesetzgebungsrecht des Kaisers; 
neben die von den Komitien ernannten Beamten 
traten mehr und mehr kaiserliche Beamte; zu den 
alten volkstümlichen Geschworenengerichten kamen 
als gleichberechtigte Behörden das vom Kaiser 
als princeps senatus beeinflußte Senatsgericht 
und das vom Kaiser selbst geleitete Kaisergericht. 
Diese Unbestimmtheit der die ganze Machtfülle 
des römischen Reichs in sich tatsächlich vereinigen- 
den kaiserlichen Amtsgewalt erleichterte ebenso die 
Beibehaltung der leeren republikanischen Formen 
wie den materiellen Mißbrauch der Gewalt. — 
1) Den allein wesentlichen Inhalt der kaiserlichen 
Gewalt bildet das militärische imperium oder 
die prokonsularische Gewalt, d. h. der ausschließ- 
liche Oberbefehl über das ganze Heer, der auf 
Aufforderung des Senats oder der Truppen 
übernommen wird und den Titel Augustus be- 
gründet. Dieser Oberbefehl schließt in sich das 
ausschließliche Recht der Aushebung, Bildung, 
Organisation und Dislokation der Truppen, die 
Verleihung aller militärischen Auszeichnungen 
(ausgenommen den vom Senate anzuordnenden 
Triumph), die Ernennung aller Offiziere, die 
Verabschiedung von Offizieren und Soldaten 
(veterani Augusti). Von dem prokonsularischen 
Militärkommando war zwar Rom und Jtalien, 
wo keine Legionen stehen sollten, verfassungs- 
mäßig ausgenommen; allein dieses Verbot erlitt 
wesentliche Einschränkungen durch das Flotten= und 
Gardekommando des Kaisers, welcher in den 
Kriegshäfen von Misenum und Ravenna feste 
Standlager und in Rom die prätorischen Ko- 
horten als Leibwache halten durfte, und wurde 
schließlich ganz umgangen. Mit dem imperium 
hängt zusammen die ausschließliche Befugnis des 
49
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.