Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1545 
christlichen Völker stand. Den Höhepunkt seiner 
weltgeschichtlichen Bedeutung erreichte das Kaiser- 
tum unter Kaiser Heinrich III. aus dem salischen 
Hauee; sein Zerfall begann unter dem staufischen 
aiserhause, gleichzeitig mit der Erwerbung des 
Königreichs Sizilien, als das Kaisertum, seine 
Aufgabe verkennend, aus einem Schutzherrn der 
Kirche deren Herr zu werden und ein Weltreich 
mit kaiserlicher Allgewalt im Sinne der römischen 
Imperatoren zu gründen suchte. Das in den un- 
seligen Kämpfen gegen das Papsttum erlegene 
Kaisertum trat gegenüber der erstarkenden Landes- 
hoheit immer mehr in den Hintergrund. Der 
vordringende Protestantismus beschleunigte den 
Auflösungsprozeß, und wenn auch der Plan des 
Schwedenkönigs Gustav Adolf, ein evangelisches 
Kaisertum zu gründen, mit dem Tode des Er- 
oberers ein jähes Ende genommen hatte, so war 
doch auch das katholische Kaisertum unhaltbar 
geworden, seitdem die Gleichberechtigung der 
protestantischen Konfessionen mit der katholischen 
Kirche und das Recht der Landesherren, über die 
Religion ihrer Untertanen zu verfügen (cuius 
regio, illius religio), im Westfälischen Frieden 
Anerkennung gefunden hatte. Zudem war das 
italienische Königreich, ehedem häufig als arrha 
imperü bezeichnet, längst verloren gegangen. 
Nachdem die Kaiserwürde von 1437 bis 1740 und 
von 1745 bis 1806 bei der deutsch-österreichischen 
Linie des habsburgischen Hauses geblieben war, 
erlag das schließlich zu einem Schattenbilde ge- 
wordene Kaisertum den Angriffen des revolu- 
tionären Frankreich. Aus Anlaß der Gründung 
des Rheinbundes legte Kaiser Franz II. am 
6. Aug. 1806 den Titel eines römischen Kaisers 
ab und entband Reichsstände und Reichsangehö- 
rige ihrer Verpflichtungen gegen ihn als Reichs- 
oberhaupt. Der Wert des Kaisertums für die 
innere Entwicklung Deutschlands hat von einzelnen 
Geschichtschreibern und Politikern abfällige Be- 
urteilung erfahren; das deutsche Volk aber hat 
der Kaiseridee und ihrer großen Geschichte eine so 
dankbare Erinnerung bewahrt, daß hierdurch eine 
Wiederherstellung der Kaiserwürde im neuen Reiche 
ermöglicht wurde. 
II. Das römische Kaisertum der deutschen 
Nation hat von dem antiken römischen Kaiser- 
tume zwar den Namen und die Würde, den 
Mittelpunkt und Umfang einer weltgeschichtlichen 
Kulturaufgabe entnommen, ist aber in seinem 
Inhalte wesentlich von demselben verschieden, ins- 
besondere besteht kein rechtlicher Zusammenhang 
mit dem antiken römischen Reiche, wiewohl man 
im Mittelalter die Kaiser als Nachfolger des 
Augustus betrachtete, bei der Kaiserkrönung 
Karls d. Gr. von einer translatio imperü a 
Graecis ad Francos und bei der Kaiserkrönung 
Ottos d. Gr. von einer translatio imperü a 
Francis ad Germanos redete, auch späterhin 
die Rezeption des römischen Rechts in Deutsch- 
land als kaiserliches Recht zu rechtfertigen suchte. 
Kaiser. 
  
1546 
Das neue Kaisertum ist vor allem ein völker- 
rechtlicher Begriff und als solcher gekennzeichnet 
durch seine religiöse Bedeutung und seine Ver- 
bindung mit der katholischen Kirche. Wie die 
katholische Kirche den Anspruch erhebt, die ganze 
getauste Menschheit unter einem gemeinsamen 
Oberhaupte, dem Nachfolger des hl. Petrus, zu 
umfassen, so umfaßt auch das Kaisertum virtuell 
alle christlichen Völker: das Kaisertum ist an 
kein Land und an kein Volk gebunden, es ist 
kein nationales, kein deutsches, wenn auch seit 
Otto d. Gr. deutsches Wesen ihm sein Gepräge 
aufgedrückt hat (der deutsche König, welcher die 
Anwartschaft auf die Kaiserkrone hat, braucht 
kein Deutscher zu sein!); das Kaisertum ist ein 
internationales, ein römisches. Das römische 
Kaisertum deutscher Nation war weder ein 
Nationalstaat noch ein Weltstaat, etwa ein mit 
der Christenheit zusammenfallendes weltlliches 
Universalreich. Es umfaßte in seiner Blütezeit 
lediglich Deutschland und Burgund (regnum 
Germaniae) sowie die Lombardei (regnum 
Italiae); einen Zuwachs an Land und Leuten er- 
hielt der deutsche König durch die Kaiserkrönung 
keineswegs, er wurde nicht einmal Herr des 
Kirchenstaates, dessen Landesherr nach wie vor 
der Papst war, und er erwarb mit der Kaiser- 
würde auch keinerlei Herrschaftsrechte über andere 
Staaten. Die von manchen, namentlich von den 
Hofjuristen der staufischen Kaiser, behauptete Ober- 
herrschaft des Kaisers über die ganze Welt (do- 
minium mundi) oder über die christlichen Völker- 
schaften oder wenigstens über die abendländische 
Christenheit ist ebenso unbegründet wie die aus 
einem angeblichen Oberpriestertume des Kaisers 
abgeleitete Regierungsgewalt des letzteren in Sachen 
der Kirche, ihrer Diener und Güter. Im Gegen- 
teile liegt das Charakteristische des neuen Kaiser- 
tums gerade in der prinzipiellen Trennung der 
höchsten geistlichen und weltlichen Gewalt und in 
der Beschränkung der kaiserlichen Gewalt auf eine 
kirchliche Aufgabe. Den kirchlichen Charakter der 
Kaiserwürde bezeichnet sehr klar schon der karo- 
lingische Kaiser Ludwig II. in seiner Apologie 
des abendländischen Kaisertums gegenüber dem 
byzantinischen Kaiser Basilius, indem er dasselbe 
als ein „himmlisches“ bezeichnet, daher auch der 
Titel „Heiliges Reich“ (Sacrum Imperium). — 
Als Beschüger der römischen (katholischen) Kirche 
hatte der Kaiser das Oberhaupt derselben und 
dessen Rechte, also insbesondere auch den Kirchen- 
staat zu verteidigen und mit seiner Macht, nötigen- 
falls unter Verhängung der Reichsacht, dem Papste 
den schuldigen Gehorsam zu verschaffen (vgl. 
Schwabenspiegel); er hatte aber auch die Kirche 
überhaupt und die ganze Christenheit in seinen 
Schutz zu nehmen, die friedlichen Eroberungen 
der Glaubensboten mit seinem Schwerte zu schirmen 
und so die Ausbreitung des Christentums zu unter- 
stützen. Lediglich eine Folgerung aus der Schutz- 
pflicht des Kaisers war es, daß er die Vasallen 
  
 
	        
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