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von Bayern in Anregung, derselbe möge die Er-
neuerung des deutschen Kaisertitels bei den deutschen
Fürsten beantragen. König Ludwig vollzog den
von Bismarck entworfenen Brief an den König
von Preußen, nachdem ihm bedeutet worden war,
sämtliche übrigen deutschen Fürsten seien einver-
standen und der König von Sachsen oder der
König von Württemberg würden sich eventuell
bereit finden lassen, an Stelle des Königs von
Bayern den Brief zu schreiben. Ubrigens war da-
für gesorgt, daß nötigenfalls auch aus der Mitte
des zur Verfassungsberatung versammelten Reichs-
tages ein Antrag auf Wiederherstellung der Kaiser-
würde gestellt worden wäre. Der von König Lud-
wig II. unterzeichnete Brief, datiert vom 30. Nov.,
wurde am 3. Dez. in Versailles durch Prinz Luit-
pold von Bayern übergeben und lautete: „Nach
dem Beitritt Süddeutschlands zu dem deutschen
Verfassungsbündnis werden die Eurer Majestät
übertragenen Präsidialrechte über alle deutschen
Staaten sich erstrecken. Ich habe Mich zu deren
Vereinigung in einer Hand in der Üüberzeugung
bereit erklärt, daß dadurch den Gesamtinteressen
des deutschen Vaterlandes und seiner verbündeten
Fürsten entsprochen werde, zugleich aber in dem
Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium nach
der Verfassung zustehenden Rechte durch Wieder-
herstellung eines Deutschen Reichs und der deut-
schen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden,
welche Eure Majestät im Namen des gesamten
deutschen Vaterlandes auf Grund der Einigung
seiner Fürsten ausüben. Ich habe Mich daher an
die deutschen Fürsten mit dem Vorschlage gewendet,
gemeinschaftlich mit Mir bei Eurer Majestät in
Anregung zu bringen, daß die Ausübung der
Präsidialrechte des Bundes mit Führung des
Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde.“
Nach erfolgter Zustimmung aller deutschen Fürsten
und Freien Städte erklärte auch König Wilhelm
von Preußen sein Einverständnis. Am 9. Dez.
ließ der Großherzog von Weimar auf Wunsch
Bismarcks im Bundesrat den Antrag stellen, den
Art. 11 der Bundesverfassung dahin abzuändern:
„Das Präsidium des Bundes steht dem Könige
von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher
Kaiser führt.“ Der Antrag wurde sofort ange-
nommen. Als derselbe Antrag am folgenden Tag
im Reichstag eingebracht wurde, erklärte der Präsi-
dent des Bundeskanzleramtes unter Bezugnahme
auf den Brief des Königs von Bayern, es solle damit
an der entscheidenden Stelle der Bundesverfassung,
„welche die Präsidialstellung der Krone Preußens
bezeichnet“, der Begriff „Deutscher Kaiser“ zum
Ausdruck gebracht werden. Mit dem Inkrafttreten
der Reichsverfassung am 1. Jan. 1871 trat das
neue Kaisertum in Geltung, wenn auch die feier-
liche Ubernahme der Kaiserwürde erst mit der
Kaiserproklamation in Versailles am 18. Jan.
1871 erfolgte. Erst in der neuen Fassung der
Reichsverfassung vom 16. April 1871 ist die Be-
zeichnung „Kaiser“ überall, wo nicht gerade vom
Kaiser.
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Präsidium des Bundesrates die Rede ist, durch-
geführt worden, womit übrigens nach den Mo-
tiven des Verfassungsgesetzes „materielle Ande-
rungen des bestehenden Verfassungsrechts nicht
beabsichtigt“, und da entsprechende Erklärungen
im Reichstage von seiten der Volksvertretung
(Lasker, Windthorst) ohne Widerspruch abgegeben
wurden, auch nicht bewirkt worden sind. König
Wilhelm hat wiederholt in seiner schlichten Weise
erklärt, daß er nichts anderes sein wolle als Bundes-
feldherr und der erste unter seinesgleichen (v. Sybel
V 463. 464). — Papst Pius IX. hat unterm
6. März 1871 die Mitteilung des Kaisers von
der Wiederaufrichtung des Kaisertums mit fol-
gendem Glückwunschschreiben beantwortet: „Durch
das geneigte Schreiben Eurer Majestät ist Uns
eine Mitteilung geworden derart, daß sie von
selbst Unsere Glückwünsche hervorruft sowohl wegen
der Eurer Majestät dargebrachten höchsten Würde
als wegen der allgemeinen Einstimmigkeit, mit
welcher die Fürsten und Freien Städte Deutsch-
lands sie Eurer Majestät übertragen haben. Mit
großer Freude haben Wir daher die Mitteilung
dieses Ereignisses entgegengenommen, welches, wie
Wir vertrauen, unter dem Beistande Gottes für
das auf das allgemeine Beste gerichtete Bestreben
Eurer Mojestät, nicht allein für Deutschland,
sondern für ganz Europa zum Heil gereichen wird.
Ganz besondern Dank aber sagen Wir Eurer
Majestät für den Ausdruck Ihrer Freundschaft für
Uns, da Wir hoffen dürfen, daß derselbe nicht
wenig beitragen wird zum Schutze der Freiheit
und der Rechte der katholischen Religion. Dagegen
bitten Wir auch Eure Majestät, überzeugt zu sein,
daß Wir nichts unterlassen werden, wodurch Wir
bei gegebener Gelegenheit Eurer Majestät nützlich
sein können."“
II. Das Kaisertum nach der Reichs-
verfassung. Das deutsche Kaisertum ist von
dem römischen Kaisertum deutscher Nation nicht
bloß dem Namen, sondern auch dem Wesen nach
grundverschieden; es ist keine rechtliche Fortsetzung
des römischen Kaisertums und die Zeit von 1806
bis 1871 kein bloßes Interregnum; nicht einmal
die territoriale Basis ist identisch, da Osterreich ab-
getrennt ist. Gegenüber dem Bundespräsidium der
Verfassung des Norddeutschen Bundes erscheint die
inderReichsverfassung geschaffene Kaiserwürdenicht
als eine neue staatsrechtliche Einrichtung, sondern
lediglich als ein neuer „Name“ für das schon in
der Verfassung des Norddeutschen Bundes geregelte
Bundespräsidium, dessen Befugnisse durch die
Reichsverfassung eine wesentliche Anderung nicht
erfahren haben. In der staatsrechtlichen Literatur
sehr umstritten ist die rechtliche Bedeutung der
kaiserlichen Präsidialstellung. — 1) Die Präsi-
dialrechte des Kaisers sind zu unterscheiden von
den Mitgliedschaftsrechten des Bundesstaates
Preußen, deren Träger der König von Preußen
ist. Letztere Befugnisse stehen dem Könige kraft
eigenen Rechts zu; es sind Herrschaftsrechte des