Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1553 
von Bayern in Anregung, derselbe möge die Er- 
neuerung des deutschen Kaisertitels bei den deutschen 
Fürsten beantragen. König Ludwig vollzog den 
von Bismarck entworfenen Brief an den König 
von Preußen, nachdem ihm bedeutet worden war, 
sämtliche übrigen deutschen Fürsten seien einver- 
standen und der König von Sachsen oder der 
König von Württemberg würden sich eventuell 
bereit finden lassen, an Stelle des Königs von 
Bayern den Brief zu schreiben. Ubrigens war da- 
für gesorgt, daß nötigenfalls auch aus der Mitte 
des zur Verfassungsberatung versammelten Reichs- 
tages ein Antrag auf Wiederherstellung der Kaiser- 
würde gestellt worden wäre. Der von König Lud- 
wig II. unterzeichnete Brief, datiert vom 30. Nov., 
wurde am 3. Dez. in Versailles durch Prinz Luit- 
pold von Bayern übergeben und lautete: „Nach 
dem Beitritt Süddeutschlands zu dem deutschen 
Verfassungsbündnis werden die Eurer Majestät 
übertragenen Präsidialrechte über alle deutschen 
Staaten sich erstrecken. Ich habe Mich zu deren 
Vereinigung in einer Hand in der Üüberzeugung 
bereit erklärt, daß dadurch den Gesamtinteressen 
des deutschen Vaterlandes und seiner verbündeten 
Fürsten entsprochen werde, zugleich aber in dem 
Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium nach 
der Verfassung zustehenden Rechte durch Wieder- 
herstellung eines Deutschen Reichs und der deut- 
schen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, 
welche Eure Majestät im Namen des gesamten 
deutschen Vaterlandes auf Grund der Einigung 
seiner Fürsten ausüben. Ich habe Mich daher an 
die deutschen Fürsten mit dem Vorschlage gewendet, 
gemeinschaftlich mit Mir bei Eurer Majestät in 
Anregung zu bringen, daß die Ausübung der 
Präsidialrechte des Bundes mit Führung des 
Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde.“ 
Nach erfolgter Zustimmung aller deutschen Fürsten 
und Freien Städte erklärte auch König Wilhelm 
von Preußen sein Einverständnis. Am 9. Dez. 
ließ der Großherzog von Weimar auf Wunsch 
Bismarcks im Bundesrat den Antrag stellen, den 
Art. 11 der Bundesverfassung dahin abzuändern: 
„Das Präsidium des Bundes steht dem Könige 
von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher 
Kaiser führt.“ Der Antrag wurde sofort ange- 
nommen. Als derselbe Antrag am folgenden Tag 
im Reichstag eingebracht wurde, erklärte der Präsi- 
dent des Bundeskanzleramtes unter Bezugnahme 
auf den Brief des Königs von Bayern, es solle damit 
an der entscheidenden Stelle der Bundesverfassung, 
„welche die Präsidialstellung der Krone Preußens 
bezeichnet“, der Begriff „Deutscher Kaiser“ zum 
Ausdruck gebracht werden. Mit dem Inkrafttreten 
der Reichsverfassung am 1. Jan. 1871 trat das 
neue Kaisertum in Geltung, wenn auch die feier- 
liche Ubernahme der Kaiserwürde erst mit der 
Kaiserproklamation in Versailles am 18. Jan. 
1871 erfolgte. Erst in der neuen Fassung der 
Reichsverfassung vom 16. April 1871 ist die Be- 
zeichnung „Kaiser“ überall, wo nicht gerade vom 
  
  
Kaiser. 
  
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Präsidium des Bundesrates die Rede ist, durch- 
geführt worden, womit übrigens nach den Mo- 
tiven des Verfassungsgesetzes „materielle Ande- 
rungen des bestehenden Verfassungsrechts nicht 
beabsichtigt“, und da entsprechende Erklärungen 
im Reichstage von seiten der Volksvertretung 
(Lasker, Windthorst) ohne Widerspruch abgegeben 
wurden, auch nicht bewirkt worden sind. König 
Wilhelm hat wiederholt in seiner schlichten Weise 
erklärt, daß er nichts anderes sein wolle als Bundes- 
feldherr und der erste unter seinesgleichen (v. Sybel 
V 463. 464). — Papst Pius IX. hat unterm 
6. März 1871 die Mitteilung des Kaisers von 
der Wiederaufrichtung des Kaisertums mit fol- 
gendem Glückwunschschreiben beantwortet: „Durch 
das geneigte Schreiben Eurer Majestät ist Uns 
eine Mitteilung geworden derart, daß sie von 
selbst Unsere Glückwünsche hervorruft sowohl wegen 
der Eurer Majestät dargebrachten höchsten Würde 
als wegen der allgemeinen Einstimmigkeit, mit 
welcher die Fürsten und Freien Städte Deutsch- 
lands sie Eurer Majestät übertragen haben. Mit 
großer Freude haben Wir daher die Mitteilung 
dieses Ereignisses entgegengenommen, welches, wie 
Wir vertrauen, unter dem Beistande Gottes für 
das auf das allgemeine Beste gerichtete Bestreben 
Eurer Mojestät, nicht allein für Deutschland, 
sondern für ganz Europa zum Heil gereichen wird. 
Ganz besondern Dank aber sagen Wir Eurer 
Majestät für den Ausdruck Ihrer Freundschaft für 
Uns, da Wir hoffen dürfen, daß derselbe nicht 
wenig beitragen wird zum Schutze der Freiheit 
und der Rechte der katholischen Religion. Dagegen 
bitten Wir auch Eure Majestät, überzeugt zu sein, 
daß Wir nichts unterlassen werden, wodurch Wir 
bei gegebener Gelegenheit Eurer Majestät nützlich 
sein können."“ 
II. Das Kaisertum nach der Reichs- 
verfassung. Das deutsche Kaisertum ist von 
dem römischen Kaisertum deutscher Nation nicht 
bloß dem Namen, sondern auch dem Wesen nach 
grundverschieden; es ist keine rechtliche Fortsetzung 
des römischen Kaisertums und die Zeit von 1806 
bis 1871 kein bloßes Interregnum; nicht einmal 
die territoriale Basis ist identisch, da Osterreich ab- 
getrennt ist. Gegenüber dem Bundespräsidium der 
Verfassung des Norddeutschen Bundes erscheint die 
inderReichsverfassung geschaffene Kaiserwürdenicht 
als eine neue staatsrechtliche Einrichtung, sondern 
lediglich als ein neuer „Name“ für das schon in 
der Verfassung des Norddeutschen Bundes geregelte 
Bundespräsidium, dessen Befugnisse durch die 
Reichsverfassung eine wesentliche Anderung nicht 
erfahren haben. In der staatsrechtlichen Literatur 
sehr umstritten ist die rechtliche Bedeutung der 
kaiserlichen Präsidialstellung. — 1) Die Präsi- 
dialrechte des Kaisers sind zu unterscheiden von 
den Mitgliedschaftsrechten des Bundesstaates 
Preußen, deren Träger der König von Preußen 
ist. Letztere Befugnisse stehen dem Könige kraft 
eigenen Rechts zu; es sind Herrschaftsrechte des
	        
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