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bedeutendste Mann im französischen Klerus, als
Erzieher, Staatstheoretiker und politischer Publi-
zist die hervorragendste Erscheinung im Zeitalter
Ludwigs XIV., wurde geboren auf Schloß Fänelon
(Périgord) am 6. Aug. 1651 aus einer den ent-
sittlichenden Einflüssen des bourbonischen Hoflebens
ferngebliebenen Familie. Er wurde erzogen in
den einfachen, ernst christlichen Traditionen des
französischen Altadels, dessen bestes Erbe, Unab-
hängigkeitssinn neben vollendeter Hingabe an
König und Volk, in ihm lebte. Nichts deutete bei
dem körperlich schwach sich entwickelnden Knaben
auf eine außergewöhnliche Begabung, bis zum
zehnten Lebensjahre. Mit dem Beginn der hu-
manistischen Studien zeigte sich indessen eine so
ungewöhnliche rasche Geistesreife, daß seine Eltern.
ihn bereits mit dem zwölften Lebensjahre nach der
nahen, wegen ihrer hellenistischen Richtung ge-
feierten Universität Cahors und von da bald nach
Paris brachten, wo er im Collége du Plessis die
humanistischen und philosophischen Studien so
glänzend vollendete, daß sein Onkel Marquis
Antoine, Generalleutnant der königlichen Armeen,
um den so jung Gefeierten den Gefahren der
Eitelkeit und Selbstüberhebung zu entziehen, ihn
für die theologische Ausbildung seinem Freunde,
dem Vorsteher der von Olier gegründeten Priester-
kongregation von St-Sulpice, übergab. Dem
sehnlichen Verlangen, als Missionspriester nach
der Levante zu gehen, machte sein Eintritt in die
Kongregalion (1675) ein Ende; dem erneuten
Gesuch um Verwendung in der Missionstätigkeit
trat 1678 Erzbischof Harlay de Champvallon von
Paris mit der Ernennung zum Leiter des Hauses
der Nouvelles catholiques, b. i. einer für Über-
getretene aus angesehenen protestantischen Familien
seit 1634 in Paris bestehenden Anstalt entgegen.
Den hohen Anforderungen an apostolischen Eifer,
vollendeten Takt, Klugheit und Vornehmheit des
Auftretens entsprach Fnelon so sehr, daß Lud-
wig XIV. durch Turenne, den Schützer des Hauses,
auf ihn aufmerksam wurde.
Drei Dinge waren es, aus welchen der frühe
Ruhm seines ersten Wirkens erblühte: seine
Predigten in Paris, seine Mission unter den Huge-
notten des Poitou und der Saintonge (1685 /86)
und seine Schrift über Mädchenerziehung (1687).
Weniger seine Predigten selbst als seine (3) noch
heute in den Grundauffassungen klassischen Dia-
ogues sur I’éloquence im allgemeinen und die
Kanzelrede im besondern haben ihm den Ruf eines
Meistertheoretikers gesichert. Die Zurücknahme
des Ediktes von Nantes (Okt. 1685) und die vor-
wiegend militärische Politik gegen den zum gewalt-
tätigen Widerstand neigenden Hugenottismus
hatten die kirchliche Missionstätigkeit zu einer
äußerst gefahrvollen und schwierigen gemacht. Als
Fenelon zum Vorsteher der Missionen im
Poitou, dem Herzen der neuen Widerstands-
bewegung, wider Willen berufen wurde, setzte er
die Entfernung der Truppen, die freie Wahl seiner
Fénelon.
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Mitarbeiter, das Einschreiten gegen die nichts-
würdigen Hetzereien (von Holland aus) als Be-
dingungen seiner Annahme der Mission durch;
sein nie ruhender Eifer, seine Milde und eine nie
sich genügende Liebe zu der erbitterten, verwilderten
Bergbevölkerung erzielten bald so glänzende Er-
folge, daß Ludwig XIV. ihn bei der Rückkehr sehr
auszeichnete, ohne ihn indessen dadurch dem Hofe
näher zu bringen. Als Frucht der im Poitou ge-
zeitigten Erfahrungen muß man den Trajté du
ministere des pasteurs (1688) betrachten, den
Erweis der Notwendigkeit des apostolischen Hirten-
amtes für die größte Zahl der Menschen, um sie
vor Irrtümern zu bewahren.
Wie für die weitesten Kreise einer religiös so
tief erregten Zeit diese Schrift allgemeinstes Auf-
sehen erregte, so für engere, namentlich höfische
Kreise die kleine, 1687 auf Drängen seiner Freunde
veröffentlichte Schrift: Traité sur I’éducation
des filles. Es war die erste Offenbarung seines
Gedankens einer großen politisch-sozialen Reform
auf christlicher Grundlage, welcher sein ferneres
Leben auf den verschiedensten Gebieten dienen sollte.
Auf Bitten der Herzogin von Beauvilliers hatte
Fenelon ihr zur Leitung der Erziehung ihrer acht
Töchter (und drei Knaben) ein kleines Gedenkbuch
über Mädchenerziehung verfaßt, in dem
nichts übersehen ist und das überreich ist an Be-
obachtungen, Einrichtungen und Lehren für die
Bildung der Vernunft, des Herzens, des Charak-
ters. Liest man heute die Schrift, so vergißt man
ganz, daß es sich um die Töchter eines Herzogs
und Pairs von Frankreich handelt, so klassisch ein-
fach, so zart, bescheiden und doch energisch ist hier
das altchristliche und doch stets neue Erziehungs-
programm dargelegt: die Entwicklung der natür-
lichen Anlagen und ihre Bildung durch christliche
Zucht, die Unterstützung der Gnade gegen die
Folgen der Erbsünde. Die Frau soll, so will es
Fenelons Ideal, einfach, offen, fest, freimütig, ohne
Geziertheit in Haltung und Kleidung sein; dabei
mutig, doch zurückhaltend und bescheiden in ihrem
ganzen Wesen; sparsam, nicht geizig, eine auf-
merksame Wirtschafterin, die durch und durch vor
allen andern Dingen ihr Haus und ihre Arbeit
kennt; eine ernste Christin von starkem Glauben,
zarter, erprobter Tugend, die alle Neuerungssucht,
religiöse Selbstüberhebung oder gar theologische
Rechthaberei haßt und jenes reife und gerade Urteil
sich bewahrt, welches über menschliche Unvoll=
kommenheit an sich oder andern sich weder erbittert
noch skandalisiert.
Am 17. Aug. 1689 vollzog Ludwig XIV. auf
Empfehlung der Frau von Maintenon und des
Oberhofmarschalls Herzog von Beauvpilliers die
Ernennung Fénelons zum Lehrer und Erzieher des
Herzogs Ludwig von Burgund, und Fenelon sah
sich jetzt vor die große Aufgabe der Fürsten-
erziehung gestellt, die Bossuet an dem Groß-
dauphin, dem Vater des Herzogs von Burgund,
nicht der öffentlichen Erwartung gemäß zu lösen
oon