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sind also maßgebend für die Berufung zum Amte
des Bundespräsidiums. Dadurch ist mittelbar die
Kaiserwürde erblich geworden; der Kaiser ist un-
absetzbar und stirbt nicht; niemals tritt ein Reichs-
vikariat ein, sondern nur, wenn der Thronfolger
regierungsunfähig ist, eine Regentschaft nach den
Bestimmungen des preußischen Rechts. Aus dieser
Erblichkeit erklärt sich, daß der Kronprinz von
Preußen kaiserliche Attribute, den Titel „Kron-
prinz des Deutschen Reichs“ und das Prädikat
„Kaiserliche Hoheit“ führt. Der Kaiser ist zu-
gleich Präsident des Reichs und Monarch von
Preußen, und nur aus dieser Vereinigung von
Amt und Herrschaft in einer Person läßt sich die
Führung des Prädikats „von Gottes Gnaden“
und die Unverantwortlichkeit des Kaisers für seine
Anordnungen und Verfügungen ableiten. Die
Verantwortung für letztere hat der vom Kaiser
ernannte Reichskanzler zu übernehmen (R.-V. Art.
17), wie für die Regierungsakte des Königs von
Preußen die gegenzeichnenden preußischen Mi-
nister verantwortlich sind (preuß. Verf. Art. 44).
Die verfassungsmäßig bestimmte Verantwortung
des Reichskanzlers ist in der Hauptsache nur von
politischer, nicht von staatsrechtlicher Bedeutung,
solange gesetzliche Bestimmungen über die Gerichts-
behörde und das Verfahren zur Geltendmachung
dieser Verantwortung fehlen. Bezüglich seiner
Privathandlungen untersteht dagegen der Kaiser
de jure der ordentlichen Gerichtsbarkeit; nur kann
er zufolge der Bestimmung der preußischen Ver-
fassung über die Unverletzlichkeit der Person des
Königs vor preußischen Gerichten nicht in straf-
rechtliche Untersuchung gezogen werden, und in
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche vor preußi-
schen Gerichten anhängig zu machen sind, hat er
nur vor dem bei dem Kammergericht gebildeten fu
Geheimen Justizrat und in letzter Instanz vor dem
Reichsgericht Recht zu geben. — 3) Im Gegensatze
zu dem kosmopolitischen und kirchlichen Charakter
des römischen Kaisertums deutscher Nation wurde
das deutsche Kaisertum ausschließlich zu nationalen
und staatlichen Zwecken gegründet. Seine Auf-
gaben sind in den Eingangsworten der Reichs-
verfassung zum Ausdrucke gebracht, wonach das
Deutsche Reich gegründet ist „zum Schutze des
Bundesgebietes und des innerhalb desselben gül-
tigen Rechts sowie zur Pflege der Wohlfahrt des
deutschen Volkes“, und in der Kaiserproklamation
von Versailles ist darüber gesagt: „Wir über-
nehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein
der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des
Reichs und seiner Glieder zu schützen, den Frieden
zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands zu
verteidigen. Uns aber und Unsern Nachfolgern
an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allezeit
Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an
kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern
und Gaben des Friedens auf dem Gebiete natio-
naler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“ Die
Reichsverfassung enthält keine Bestimmung über
Kaiser.
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das Verhältnis des Reichs zur Kirche. Bei der
Beratung der Reichsverfassung beantragte die
Zentrumsfraktion, die damals bestehenden grund-
rechtlichen Artikel der preußischen Verfassung,
welche die Freiheit des religiösen Bekenntnisses,
der Religionsübung und der Vereinigung zu
Religionsgesellschaften sowie die Selbständigkeit
der Religionsgesellschaften gewährleisteten, in die
Reichsverfassung aufzunehmen; der Antrag, wel-
chen der Abgeordnete Bischof v. Ketteler als „die
magna charta des Religionsfriedens in Deutsch-
land“ bezeichnete, wurde aber von allen andern
Fraktionen, auch von der Fortschrittspartei, ab-
gelehnt, wie ein ähnlicher Antrag des Abgeord-
neten v. Mallinckrodt bei Beratung der Nord-
deutschen Bundesverfassung abgelehnt worden
war. Das neue Kaisertum hat also nach der Ver-
fassung eine kirchliche Aufgabe nicht erhalten.
Kaiser und Reich sind konfessionslos. Sogar jede
religiöse Weihe des Amtsantritts ist vermieden:
der Kaiser leistet keinen Eid auf die Reichsver-
fassung, und auch ihm wird nur von den Reichs-
beamten der Diensteid und von den Truppen der
Fahneneid geleistet. Nur das Prädikat „von
Gottes Gnaden“, die an der Reichskrone ange-
brachten Kreuze und der in dem größeren Wappen
des Kaisers sowie an der kaiserlichen Standarte
angebrachte preußische Wahlspruch „Gott mit
uns“ erinnern an religiöse Beziehungen. —
4) Entsprechend dem Amtscharakter der kaiser-
lichen Gewalt kommt dem Deutschen Kaiser nicht
irgend welche Machtvollkommenheit, sondern nur
eine Summe bestimmter, einzelner, ausdrücklich
übertragener Befugnisse zu: a) Der Keiser ist
ausschließlicher Vertreter des Reichs in völker-
rechtlichen Beziehungen. Nur der Kaiser ist be-
gt, im Namen des Reichs Krieg zu erklären
und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere
Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Ge-
sandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur
Kriegserklärung ist, sofern nicht ein feindlicher
Angriff vorliegt, die Zustimmung des Bundes-
rates, zu Staatsverträgen, welche das Gebiet der
Reichsgesetzgebung berühren, die Zustimmung des
Bundesrates und des Reichstages erforderlich;
erstere Einschränkung des kaiserlichen Rechts er-
scheint, seit die Geschichte der Emser Depesche
bekannt ist, von geringer materieller Bedeutung.
Eine gleich ausschließliche Vertretung des Reichs
durch den Kaiser in staatsrechtlicher und privat-
rechtlicher Beziehung läßt sich aus den Bestim-
mungen der Reichsverfassung nicht ableiten, und
das Reichsgericht (Erk. v. 9. März 1888; E. XX,
148) anerkennt, daß die Landesbehörden der
selbständigen Kontingentsverwaltungen den ein-
heitlichen Militärfiskus des Reichs aus eigenem
Recht vertreten. — b) Dem Kaiser steht es zu,
den Bundesrat und den Reichstag zu berufen, zu
eröffnen, zu vertagen und zu schließen; er ist aber
zu dieser Berufung in gewissen Fällen verpflichtet,
muß insbesondere alljährlich Bundesrat und