1573
europäischen Staaten, der ein einheitliches und
vollständiges Binnenwasserstraßennetzge-
schaffen hat. Der Anfang wurde in den Jahren
1604/42 mit dem Bau des Scheitelkanals von
Briare gemacht, der eine Verbindung zwischen der
Seine und der Loire schafft; einige Jahre später
wurde der berühmte Canal du Midi eröffnet, der
die Garonne mit der Aude und damit den Atlan=
tischen Ozean mit dem Mittelländischen Meere
verbindet. Um dieselbe Zeit erbaute Vauban die
Wasserstraße zwischen Lille und Calais und Dün-
kirchen. Zahlreiche Kanäle wurden sodann im
Laufe des 18. und 19. Jahrh., namentlich im
Norden und Osten, gebaut. Im Bau begriffen ist
zurzeit der Canal du Nord, der den Canal de St-
Quentin entlasten soll, und geplant ist der Canal
du Nord-Est, der das Kanalnetz von Flandern
und Pas-de-Calais mit dem Stromgebiete der
Maas verbinden würde. Ein Gesetz vom 5. Aug.
1879 hat die Minimaldimensionen der Kanäle
wie folgt bestimmt: Wassertiefe 2 m. Schleusen-
breite 5,20 m, nutzbare Schleusenlänge 38,5 m,
freie Höhe unter den Brücken 3,70 m. Diese
Dimensionen gestatten die Benutzung der Kanäle
durch Schiffe von 285/290 t. Dieselben Minimal-
sätze sind auf einer internationalen Konferenz von
Deutschland, Belgien und Holland angenommen
worden. — Es gibt im ganzen 3000 km kanali-
sierte Flüsse und 5000 km Kanäle.
Indem der Staat die von ihm erbauten und
unterhaltenen Binnenwasserstraßen lediglich unter
den durch die Polizeiverordnungen bestimmten
Bedingungen den Schiffern zur unentgeltlichen
Benutzung überläßt, übt er einen heilsamen Druck
auf die Gestaltung der Tarife der Eisenbahn-
gesellschaften aus. Die Traktion ist auf einzelnen
Kanalstrecken vom Staate selbst in die Hand ge-
nommen, auf einigen andern von ihm Unter-
nehmern übergeben; meist aber erfolgt sie von
den Schiffern selbst mit eigenen oder gemieteten
Pferden. Auf den Kanälen des Nordens ist elek-
trischer Betrieb eingerichtet. Seit einigen Jahren
befolgt der Staat das Prinzip, die Interessenten,
die regelmäßig durch die Handelskammern reprä-
sentiert werden, an den Kosten der Erbauung der
neuen Kanäle (Canal du Nord, Canal de la Marne
d la Saöne, Canal du Marseille au Rhöne) zu
beteiligen. In diesem Falle sind die Interessenten
berechtigt, zur Deckung ihrer Zuschüsse Abgaben
zu erheben.
Literatur. Guide officiel de la Navigation
intérieure (avec carte itinéraire des voies navi-
gables de la France) dressé par les soins du
ministere des travaux publics (Par. /1903); M.
Dusuzeau, Les voies de Navigation intérieure en
France (Compiègne 1907).
Um dieselbe Zeit, in der Frankreich den Kanal
von Briare erhielt, begann auch in Preußen
die Ara des Kanalbaues mit der in das Jahr 1610
fallenden erstmaligen Anlage des Finow-Kanals.
Hervorragende Verdienste um die weitere Entwick-
Kanäle.
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lung der preußischen Wasserstraßen haben sich der
Große Kurfürst und Friedrich der Große erwor-
ben. Bis Ende des 18. Jahrh. hatte Preußen eine
durchgehende Wasserstraße von der Elbe bis zur
Memel und zum Pregel erhalten. Die Länge der
damals vorhandenen künstlichen Wasserstraßen be-
trug etwa 650 km;z sie stieg bis zur zweiten Hälfte
des 19. Jahrh. auf etwa 1700 km. Mit der An-
lage von Kanälen hatte die Regulierung und stellen-
weise die Kanalisierung der Ströme gleichen Schritt
gehalten. Der mit den 1870er Jahren einsetzende
wirtschaftliche Aufschwung brachte auch für die
weitere Entwicklung des preußischen Kanalnetzes
eine neue Epoche (Näheres unter IV, 1).
Auch in Schweden (über dessen Kanäle
Oberst Lindgren zum Binnenschiffahrtskongreß in
Manchester 1890 ausführlich Bericht erstattet hat),
in den Niederlanden (vgl. Gedenkboek uit-
geven ter gelegenheid von het viftigjarig be-
staan vanhet Koninkl. Institut van ingenieurs
1897) und in Belgien ist im Laufe des 19. Jahrh.
viel zur Hebung des Kanalbaues geschehen; es sind
viele ältere Kanäle umgebaut und neue angelegt
worden. Über die Wasserstraßen Belgiens und der
angrenzenden Länder gibt eine klare Ubersicht eine
im Jahre 1898 im belgischen Ministerium der
öffentlichen Arbeiten angefertigte Karte. Nähere
Angaben über die belgischen Wasserstraßen finden
sich auch in den von dem genannten Ministerium
im Jahre 1908 herausgegebenen Dispositions
réglementant la police et la navigation.
Kein Land Europas ist zur Anlage von Kanälen
so geeignet wie Rußland, dessen gewaltige Tief-
ebene nach verschiedenen Richtungen von mächtigen,
meist langsam fließenden Strömen durchzogen ist.
So erklärt es sich leicht, daß bereits unter Peter
dem Großen und dann auch in der Folgezeit eine
Reihe von Kanälen, namentlich Verbindungs-
kanälen, gebaut worden sind, die indessen den
modernen Anforderungen nicht mehr genügen. In
den letzten Dezennien des vorigen Jahrh. hat man
dies auch in Rußland erkannt, und man plant
deshalb die Anlage in westeuropäischem Sinne
leistungsfähiger künstlicher Wasserstraßen. Man
hat sich als Ziel eine Verbindung der verschiedenen
Flüsse und damit der verschiedenen an Rußland
angrenzenden Meere gesteckt. Ein Teil der Pro-
jekte ist schon ausgearbeitet; die Ausführung
hängt davon ab, wann es bei der zurzeit schlechten
Finanzlage Rußlands möglich sein wird, die zu
ihrer Verwirklichung erforderlichen Geldmittel auf-
zubringen. Der große wirtschaftliche Wert der
russischen Wasserstraßen springt in die Augen,
wenn man sich ihre große Länge vergegenwärtigt,
wenn man z. B. die das Baltische mit dem
Schwarzen Meere verbindende Wasserstraße Riga-
Cherson mit einer westeuropäischen Wasserstraße
vergleicht. Hervorzuheben sind folgende Projekte:
das im Jahre 1886 von einem privaten, russisch-
französischen Konsortium (Léon Dru) ausgearbeitete
Projekt eines Verbindungskanals Don-Wolga,
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