Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

1577 
einem lebhaften Ortsverkehr auch einen weit rei- 
chenden Durchgangsverkehr — ohne Umschlag — 
hat, so wird man sich nur in seltenen Fällen zum 
Bau eines solchen entschließen, wenn man ihn 
nicht wenigstens an einer Seite mit einem größeren 
Flusse oder einem Meere in Verbindung setzen 
kann. Ihm auch an dem andern Ende eine solche 
Verbindung zu geben, ist in der Regel wünschens- 
wert, kann unter Umständen aber auch schaden. 
In technischer Beziehung spielen sodann die 
Bodenverhältnisse eine große Rolle. Sie dürfen 
nicht so schwierig sein, daß die Kosten ihrer Uber- 
windung außer Verhältnis zu dem zu erwarten- 
den Nutzen stehen. Auch muß eine ausreichende, 
Schleusenverbrauch, Verdunstung und Durch- 
sickerung genügend berücksichtigende Speisung des 
Kanals mit Wasser gesichert sein. Selbstredend 
hat der Bau eines Kanals zu unterbleiben, wenn 
ernstlich zu befürchten ist, daß ein Bergwerks- 
oder sonstiger wichtiger Betrieb erheblich durch 
ihn geschädigt oder er durch den Betrieb ge- 
fährdet würde. Es muß aber noch weiter geprüft 
werden, welche wirtschaftlichen Verschiebungen 
vom Kanalbau zu erhoffen oder zu befürchten 
sind. Die Verbindung Lothringens mit dem 
rheinisch-westfälischen Industriegebiete durch die 
vorhin erwähnte Wasserstraße z. B. könnte mög- 
licherweise die Folge haben, daß es der mit dem 
Rechenstift arbeitenden Großindustrie zweckmäßig 
erschiene, die Verhüttung nicht mehr im rheinisch- 
westfälischen Industriegebiet, sondern in Loth- 
ringen vorzunehmen. Ehe man die in Rede 
stehende Wasserstraße baut, muß man sich also 
darüber klar werden, ob dieser Effekt wünschens- 
wert und in welchem Grade er wahrscheinlich 
ist. — Endlich wird der einen Kanal bauende 
Staat, wenn er Eigentümer der Eisenbahnen ist, 
auch zu der Frage Stellung nehmen müssen, in 
welchem Umfange ein Ausfall an den Einnahmen 
der letzteren infolge des Kanalbaues zu befürchten 
ist, und ob seine Finanzen diesen Ausfall ertragen 
können. Anders liegt für ihn die Sache, wenn 
— wie z. B. in Frankreich — die Eisenbahnen 
im Eigentume von Aktiengesellschaften stehen. 
Dann darf er hoffen, durch Gewährung eines 
billigen oder gar abgabefreien Kanalbetriebes 
mildernd auf die Eisenbahntarife einwirken zu 
können. Man sieht also, daß in andern Ländern 
gemachte Erfahrungen nur mit Vorsicht verwertet 
werden können. 
Alle Gebiete des Erwerbslebens können durch 
einen Kanalbau günstig beeinflußt werden, den 
Hauptnutzen aber hat regelmäßig von ihm die 
Großindustrie. Diese hat längst eingesehen, daß 
bei der zum internationalen Gemeingut gewordenen 
Vervollkommnung der Herstellungsmethoden die 
Verbilligung der Transportkosten eigentlich das 
einzige Mittel ist, durch welches sich gegenüber der 
Konkurrenz noch ein Vorsprung erringen läßt. 
III. Bau und Betrieb der Kanäle. 1. Der 
Bau und die Verwaltung der Kanäle wird durch- 
Kanäle. 
  
1578 
weg — mit Ausnahme von England — vom 
Staate in die Hand genommen. 
Darüber, wie ein Kanal zu bauen sei, lassen 
sich allgemein gültige Vorschriften nicht aufstellen. 
In erster Linie wird auf die Beschaffenheit des 
Terrains Rücksicht zu nehmen sein; sodann muß 
das Bestreben obwalten, den Kanal dem Verkehrs- 
bedürfnis nach Größe und Leistungsfähigkeit 
richtig anzupassen. Auch muß darauf geachtet 
werden, daß die Scheitelstrecken überall und wenn 
möglich das ganze Jahr hindurch aus natürlichen 
Zuflüssen gespeist werben können; Pumpwerke 
sind nur ein Notbehelf, auf den keinesfalls ge- 
rechnet werden darf. In Preußen sind die Maß- 
verhältnisse des für 600/700-Tonnen-Schiffe 
fahrbaren Dortmund-Ems-Kanals für alle neuen 
Kanäle westlich von der Oder vorbildlich ge- 
worden. Auch die neuen österreichischen Kanäle 
sollen dieselben Abmessungen erhalten. Danach 
beträgt die Wassertiefe 2,50 m, die Sohlenbreite 
18 m, die Wasserspiegelbreite 30 m und die Licht- 
höhe unter den Brücken 4 m. Auf beiden Kanal- 
ufern wird ein 3.5 m breiter und 1,5 m über dem 
Wasserspiegel liegender Leinpfad mit einem Seiten- 
graben und einem 1m breiten Geländeschutzstreifen 
angelegt. 
Für die Kanäle östlich der Oder sind kleinere 
Abmessungen vorgesehen. Sie sollen nur von 
Schiffen bis zu 400 t Ladefähigkeit befahren wer- 
den. Die älteren Kanäle sind durchweg fahrbar 
für Schiffe von 50 bis 300 t. 
Das zum Bau der Kanäle erforderliche Terrain 
wird, wenn es nicht auf gütlichem Wege zu er- 
halten ist, auf Grund des Enteignungsgesetzes er- 
worben. 
Führt die Trace über Bergwerke, so steht nach 
preußischem Berggesetz § 153 den Bergbautreiben- 
den gegen die Ausführung der Kanäle ein Wider- 
spruchsrecht nicht zu. Sie sollen nur seitens der 
zuständigen Behörde darüber gehört werden, in 
welcher Weise unter möglichst geringer Benach- 
teiligung des Bergwerkseigentums die Kanäle aus- 
zuführen seien. Gegen den Erbauer der Kanäle 
— gewöhnlich also den Staat — steht ihnen ein 
Schadensersatzanspruch zu. „Ein Schadensersatz 
findet aber nur insoweit statt, als entweder 
die Herstellung sonst nicht erforderlicher Anlagen 
in den Bergwerken oder die sonst nicht erforderliche 
Beseitigung oder Veränderung bereits in den Berg- 
werken vorhandener Anlagen nötig wird.“ Ent- 
gangener Gewinn wird also nicht vergütet. 
Die Höhe der Baukosten ist naturgemäß auch 
bei Binnenschiffahrtskanälen sehr verschieden. Sie 
hängt in erster Linie von dem Preise ab, der für 
die Kanaltrace zu bezahlen ist, und sodann davon, 
in welchem Umfange die Gestaltung des Ter- 
rains Erdarbeiten oder gar Schleusenanlagen 
nötig macht. 
In der letzten Zeit ist es gebräuchlich geworden, 
diejenigen Gegenden, die von einem zu erbauenden 
Kanale den größten Vorteil haben werden, zu
	        
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