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der gemeinen Soldaten, die Pensionierung der-
selben in ihrer Heimatgemeinde statt der damaligen
Unterbringung in den militärischen Invaliden=
kasernen. Mit größter Entschiedenheit will Fenelon
die Allherrschaft der Intendanten, der „dreißig
Könige Frankreichs“, und damit das schlimmste
Werkzeug der seit Mazarin eingeführten und seither
raffiniert ausgebildeten Zentralisationsmaschine
des Landes beseitigt sehen. In den Provinzen
soll eine ständische, populäre Selbstverwal-
tung unter königlicher Aufsicht, in besondern
Fällen durch sog. Missi Dominici, eingeführt
werden. In der Justiz verlangt Fenelon die
Zuteilung anständiger, ausreichender Gehälter,
damit die Kosten des Gerichtswesens nicht mehr
ganz auf die Rechtsuchenden abgeschoben würden,
dazu weniger Richter, weniger Gesetze, ein besseres
allgemeines Gesetzbuch. Auch für den Kauf-
manns= und Handelsstand verlangt er
korporative Organisation und Selbstverwaltung;
er fordert ein Bureau von Kaufleuten, welches von
den General= und Provinzialständen wie von den
Ministern in allen Fragen des Handels und Ver-
kehrs zu befragen sei; er empfiehlt die Errichtung
von Kassen und Leihanstalten, ähnlich
unsern heutigen Darlehens= und Vorschußkassen,
und weist auf die Einführung einerBVermögens-
zensur für solche hin, welche über den (recht-
mäßigen) Gewinn hinaus durch Umgehung der
Gesetze sich unrechtmäßig bereicherten. Obschon
ein entschlossener Gegner der gallikanischen „Ser-
vituten“, war er ein Anhänger des mehr autonomen
Kirchenregiments: kein Staatskirchentum
mehr, Unabhängigkeit der beiden großen Ge-
walten, Kirche und Staat, voneinander und doch
ein für beide förderliches Zusammenwirken zum
Wohl des Ganzen.
Wer will leugnen, daß uns hier nicht nur als
möglich und wahrscheinlich, sondern auch nach rein
menschlichem Ermessen nahegerückt, in vollem Um-
fang jene große christliche und friedvolle Staats-
reform vor Augen steht, welche die Revolution
des Jahres 1789 unmöglich machen konnte? Daß
der antichristliche Geist sich erbittert, wenn ihm
diese Erinnerungen vorgeführt werden, ist ja er-
gesetzte falsche Haltung des Kardinals schlug Fi-
klärlich; aber wird die Tatsache darum weniger
bedeutsam, daß dem Thronfolger nur noch kaum
am 18. Febr. 1712 fast jäh dahinstarb, rief selbst
der harte Saint-Simon: „Frankreich steht unter
der letzten, schwersten Züchtigung: Gott ließ das
Land einen Fürsten schauen, den es nicht ver-
diente.“ Für Fénelon war damit das helle Licht
der Zukunft erloschen; von seinem Schmerz drang
nichts nach außen. „Gott“, schrieb er am 27. Febr.
1712 an den Herzog von Chevreuse, „hat uns all
unsere Hoffnung für die Kirche und den Staat
genommen. Er hatte diesen jungen Fürsten ge-
bildet, er hat ihn für die größten Güter vorberei-
Fénelon.
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bald zerstört. Ich bin niedergebeugt vor Ent-
setzen; ich bin todkrank vor Ergriffenheit, krank,
ohne krank zu sein.“ Das ist der einzige Schmer-
zensruf, der uns begegnet. Dann beschäftigt sich
der Brief mit der Sorge um den Frieden, mit der
Lage des Königs, der Kirche, Frankreichs. So
handelt, schreibt, denkt Fnelon in einem der
schwersten Augenblicke seines Lebens. „Der Ehr-
geiz schwimmt überall oben“, ruft Saint-Simon,
und die Epigonen von heute haben noch kein an-
deres Wort gefunden.
Aber nicht Ehrgeiz, sondern Pflichterfüllung
im vollen Sinn des Wortes erfüllte Fenelons
letzte Anstrengungen. Man lese den letzten
Briefwechsel mit dem Herzog von Chevreuse nach
dem Tode des Großdauphin über die Sicherstel-
lung der höchsten Staatsinteressen beim Ableben
des Königs, die Regentschaft, die ersten Maß-
nahmen; man baachte seine Beurteilung des un-
seligen Philippe d'Orléans, der sich auf Schleich-
wegen in den Vordergrund drängte und dem er
noch, wahrscheinlich um ihn von den Wegen des
Atheismus und entsetzlicher Verdorbenheit zu
retten, seine ersten (3) Lettres sur divers sujets
de métaphysique et de religion zusandte.
Man überblicke seine apologetischen Schriften, die
er gegen die von England und Holland (Toland
I16961, Basnage, Leclerc und Bayle (16971)
unaufhaltsam hereindrängende Flut der rohesten
Spöttereien, des unwissendsten Unglaubens rich-
tete. Man denke an die unvergleichliche Lettre de
I. Académie (1713), die heute noch die Akademie
beschäftigt (Sprachreform Leygues). Man ver-
folge besonders die letzten großen Anstrengungen
gegen den Jansenismus und die unselige, das
Land bis an den Rand des Schismas drängende
Haltung des Pariser Kardinals de Noailles. Am
25. Febr. 1714 war der diese Haltung beschöni-
gende Hirtenbrief des Kardinals ergangen. Aller
Augen waren auf Fenelon gerichtet, als dieser am
9. Juni 1714 in zwei Hirtenschreiben (eines da-
von an den durch den Utrechter Vertrag zu Holland
geschlagenen Teil seiner Diözese) die Bulle Uni-
genitus, diesen letzten feierlichen Akt des Ponti-
fikates Klemens' XI., publizierte. Gegen die fort-
nelon die Berufung eines Nationalkonzils durch
drei Monate blieben, um über diese Aufgaben,
seiner Reformtätigkeit nachzudenken? Als derselbe
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den Kardinal vor. Als man Fenelon aufforderte,
mit seinem Ansehen und seinem Namen gegen die
Gallikaner und den Kardinal aufzutreten, lehnte
er ab mit den Worten: des Kardinals eigenster
Ruhm und höchstes Verdienst vor Gott und den
Menschen müsse es sein, der Kirche den Frieden
zu schenken. Durch diese kluge Selbstbescheidung
wurde das Schisma vermieden. Wie in der Vor-
ahnung seines Endes begab sich Fenelon auf Visi-
tationsreisen. Durch einen Sturz aus dem Wagen
verletzte er sich schwer und wurde nach Cambrai
gebracht. Am 5. Jan. 1715 kündigten sich die
Todesfieber an. Am 6. Jan., nach dem Empfang
tet, er hat ihn der Welt gezeigt; er hat ihn als= der Sterbsakramente, diktierte und unterzeichnete