385
tretendenfalls das gemeinsame obere Gericht
(Mil. St. G. O. § 36). Ebenso wird der Kom-
petenzstreit mehrerer Verwaltungsbehörden unter-
einander (Ressortstreit) durch die gemeinschaftliche
höhere Verwaltungsbehörde entschieden, in letzter
Linie meist durch die Staatsministerien.
II. Kompetenzkonflikt. 1. Begriff. Mit
dem Kompetenzstreit darf der Kompetenzkonflikt
zwischen einer Rechtspflegebehörde und einer Ver-
waltungsbehörde (conflit d’attribution) nicht
verwechselt werden. Das entscheidende Begriffs-
merkmal liegt in der Sonderung verschiedenbehörd-
licher Wirksamkeit, in der Grenzziehung zwischen
der Tätigkeit von Rechtspflegebehörden und der-
jenigen von Verwaltungsbehörden. Der Kom-
petenzkonflikt tritt ein, wenn eine Rechtspflege-
behörde und eine Verwaltungsbehörde zur Ent-
scheidung einer Sache sich für kompetent erklären,
sog. positiver Kompetenzkonflikt, oder wenn
solche Behörden ihre Inkompetenz in derselben
Sache endgültig ausgesprochen haben, sog. nega-
tiver Kompetenzkonflikt. Im ersteren Falle ist
eine der beiden Behörden Kläger, im letzteren die
von ihnen abgewiesene Privatpartei.
2. Geschichtliche Entwicklung. Wenn
auch in den deutschen Staaten Verwaltung und
Rechtspflege grundsätzlich getrennt sind, so ist doch
die Grenze zwischen denjenigen Angelegenheiten,
welche vor die Verwaltungsbehörden, und den-
jenigen Sachen, welche vor die Rechtspflegebehörde
gehören, nicht immer sicher. Denn eine begriffliche
Scheidung zwischen ihnen ist nicht möglich. Es
bedurfte daher besonderer Bestimmungen darüber,
wie ein Zwiespalt zwischen Rechtspflege und Ver-
waltung über die Kompetenzfrage zu lösen ist.
A. Einheimische Gesetzgebung. a) Bis-
heriges Recht. o) Im Staatsrecht des alten
deutschen Reiches galt der Grundsatz, daß
die Gerichte selbständig über die Abgrenzung ihrer
Kompetenz entschieden, im Anschluß an den Satz
des römischen Rechts: Praetoris est aestimare,
an sua sit jurisdictio (fr. 5 de ind. 5, 1) und
infolge der unbestrittenen Autorität der Reichs-
gerichte über die Territorialstaatsgewalt. Die
obersten Reichsgerichte gaben auch Recht gegenüber
Verletzungen durch die Landesherren und deren
Behörden; ihre bezüglichen Entscheidungen waren
unanfechtbar. Auf dem Gebiet des Reiches selbst
fehlte ein rechter Boden für Kompetenzkonflikte,
da die Tätigkeit der Reichsgewalt sich mehr und
mehr auf die oberste Rechtsprechung zurückzog. Die
Frage der Kompetenzkonflikte nahm vielmehr ihren
Ursprung auf dem Boden des deutschen Territo-
rialstaatsrechts, wo Konflikte zwischen Justiz= und
Verwaltungsbehörden nicht selten waren. Hier
entwickelte sie sich namentlich seit der Auflösung
des alten deutschen Reiches, indem sie an den in
Frankreich während der großen Revolution für
das Verhältnis zwischen Rechtsprechung und Ver-
waltung streng durchgeführten Grundsatz der Ge-
waltenteilung anknüpfte.
Staatslexikon. III. 3. Auft.
Kompetenz usfw.
386
6) In Preußen stellte zuerst die Instruktion
vom 10. Febr. 1756 Regeln für die Lösung von
Kompetenzkonflikten auf. Bei der Trennung von
Verwaltung und Rechtspflege durch die Verord-
nung wegen verbesserter Einrichtung der Pro-
vinzial-, Polizei= und Finanzbehörden vom
26. Dez. 1808 wurden erweiterte Bestimmungen
zunächst nicht erlassen. Erst die Kabinettsorder
vom 30. Juni 1828 füllte diese Lücke aus.
Danach sollte jeder einzelne Fall eines Kompetenz-
konflikts, der nicht gemeinsam vom Justizminister
und dem Minister der betreffenden Verwaltung zu
erledigen war, im gesamten Staatsministerium
nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Verhält-
nissen gründlich geprüft werden und alsdann das
Staatsministerium in einem mit Gründen ver-
sehenen gutachtlichen Bericht auf die unmittelbare
Bestimmung des Königs antragen. In allen Fällen
hatte diese sich jedoch vorbehalten, entweder unmittel-
bar, erforderlichenfalls nach zuvörderst erstattetem
Gutachten des Staatsrats, zu entscheiden oder die
Entscheidung dem höchsten Gerichtshof, mithin nach
Bewandtnis des Ressorts entweder dem Geheimen
Obertribunal oder dem Rheinischen Revisionshof,
aufzutragen. "
Um den Mängeln, welche die Erledigung von
Kompetenzkonfliktsfällen im Gefolge hatten, ab-
zuhelfen, erging das Gesetz über das Verfahren
bei Kompetenzkonflikten zwischen den Gerichten und
Verwaltungsbehörden vom 8. April 1847.
Es übertrug die Entscheidung der Kompetenz-
konflikte zwischen den Gerichten und Verwaltungs-
behörden (einschließlich der Auseinandersetzungs-
behörden) sowie derjenigen Streitigkeiten zwischen
den Gerichten und Verwaltungsbehörden, bei wel-
chen eine jede von ihnen sich in der Sache für in-
kompetent und dagegen die andere für kompetent
hielt, einer besondern Behörde, dem Gerichtshof zur
Entscheidung der Kompetenzkonflikte. Er war aus
bleibenden Mitgliedern gebildet, nämlich dem Prä-
sidenten des Staatsrats, dem Staatssekretär und
neun andern auf Vorschlag des Präsidenten vom
Könige ernannten Staatsratsmitgliedern, von
denen fünf Justizbeamte, die übrigen vier aber
Verwaltungsbeamte sein mußten. In rechtskräftig
von den Gerichten entschiedenen Sachen konnte der
Kompetenzkonflikt nicht mehr erhoben werden. Zur
Erhebung waren nur die Zentral= und die Pro-
vinzialverwaltungsbehörden befugt. Die Entschei-
dung des Kompetenzkonfliktgerichtshofes erfolgte auf
den schriftlichen Vortrag eines Referenten und Kor-
referenten hin unter Teilnahme von wenigstens
sieben Mitgliedern. Das Erkenntnis war mit Ent-
scheidungsgründen zu versehen, vom Vorsitzenden zu
unterzeichnen und dem Justizminister sowie dem
beteiligten Verwaltungschef zur Mitteilung an das
Gericht bzw. die Verwaltungsbehörde zuzustellen.
Das Gericht machte den Parteien das Erkenntnis
bekannt. War die Entscheidung gegen die Zulassung
des Rechtsweges ausgefallen, so hob es das Rechts-
verfahren auf. Durch die Erhebung des Kompetenz-
konflikts wurde der Lauf der prozessualen Aus-
schlußfristen und die Vollstreckung gehemmt.
Ein großer Fortschritt dieses Gesetzes läßt sich
nicht verkennen. Die preußische Verfassungsurkunde
13