645
oberste Leitung des Bußwesens bestimmt, erlangte
sie allmählich auch eine nicht unbedeutende Juris-
diktion pro foro externo. Pius V. unterzog sie
dann 1569 einer gänzlichen Umgestaltung. Gleich-
wohl erhielt sie seit der französischen Revolution
wieder die Vollmacht, den kanonisch Armen auch
in foro externo Ehedispensen zu erteilen. Nun-
mehr ist ihre Jurisdiktion, nachdem die Vollmacht
zur Dispensation von öffentlichen Ehehindernissen,
unter Aufhebung der konkurrierenden Kompetenz
des Brevensekretariats, der Propaganda, der Da-
tarie und der Kongregation für außerordentliche
Angelegenheiten, ausschließlich (von den erwähnten,
dem S. Officium reservierten Fällen abgesehen) der
Sakramentskongregation übertragen ist, wieder-
um gänzlich auf das forum internum sowohl
sacramentale (Beichtforum) wie nonsacramen-
tale (Gewissensforum) beschränkt. Hier aber ist
sie ausschließlich zuständig für alle Gnaden, Abso-
lutionen (außer den wenigen dem Papste specia-
lissimo modo reservierten Zensuren, wie z. B.
bei Verletzung des secretum S. Officü), Dispen-
sationen, Kommutationen von einfachen Gelübden,
Kondonation für den unrechtmäßigen Erwerb von
Kirchengut, Sanation ungültiger Ehen und un-
gültiger Pfründenverleihung wie überhaupt für alle
Gewissensfragen. — Die Pönitentiarie steht unter
dem Kardinal-Großpönitentiar, dessen Vertreter
und erster Gehilfe der regens poenitentiariae
ist. Als Fachgelehrte dienen der theologus aus
dem Jesuitenorden und der canonista. Ais# weitere
Beamte kommen in Betracht der datarius, cor-
rector, sigillator, ferner 2 Sekretäre und 5 Unter-
beamte. — Sämtliche Materien sind secreto et
gratis zu expedieren (Sap. Cons. II 1; Norm.
pec. c. VIII, art. 1; Index a. a. O. 129 #).
2. Die Sacra Romana Kote ist aus den
auditores sacri palatü hervorgegangen, denen
die Päpste die Instruktion oder auch die Entschei-
dung der an sie gebrachten Rechtsstreitigkeiten
übertrugen. Nachdem ihr Johann XXII. 1331
eine feste Organisation gegeben hatte, bildete sie
das ständige Tribunal in höchster Instanz für die
kirchlichen Streitsachen aus der ganzen Christen-
i wie für die weltlichen derselben Art aus dem
irchenstaat. Gegenüber der wachsenden Gerichts-
barkeit der Kongregationen sank die Bedeutung
dieses ehrwürdigsten und angesehensten Gerichts-
hofes der Welt mehr und mehr herab und ward
seine Kompetenz, wenn er auch prinzipiell für Ehe-
und Benefiziensachen zuständig blieb, doch auf die
weltlichen Zivilprozesse des Kirchenstaates be-
schränkt, bis ihm 1870 auch diese Wirksamkeit ge-
nommen ward. Leo XIII. suchte die Rota insofern
zu erhalten, als er ihre Mitglieder zu Richtern
über die Gültigkeit der Prozesse in den Angelegen-
heiten der Beatifikation und Kanonisation er-
nannte. Außerdem wurden einzelne von ihnen in
Richter= und Präsidentenstellen in der 1882 er-
richteten Prälatenkommission zur Entscheidung von
Rechtsstreitigkeiten zwischen den päpstlichen Palast-
Kurie.
646
beamten und der Palastverwaltung verwendet.
Nunmehr ist die Rota wiederum als Appellations-
gerichtshof für alle kirchlichen Zivil-, aber auch
Strafprozesse, die ein strenges Justizverfahren ver-
langen, eingesetzt worden. Ausgenommen sind nur
die dem Papste ausdrücklich reservierten causae
maiores. — Grundsätzlich ist die Rota Gerichts-
hof höherer Instanz. Nur ausnahmsweise kann sie
in erster Instanz tätig werden, wenn ihr der Papst
motu proprio oder auf Bitten der Parteien eine
Sache überweist. Hier fällt sie dann gegebenenfalls
auch in zweiter und dritter Instanz das Urteil,
wobei naturgemäß das Richterkollegium (turnus)
eine andere Zusammensetzung aufweist. Zweite
Instanz ist sie für die Appellationen gegen erst-
instanzliche Urteile des römischen Stadtvikariates
oder der Ordinarien. Weitere Appellation geht
gleichfalls an den nächstfolgenden Turnus. Als
letzte Instanz ist sie zuständig, wenn der Prozeß
schon zwei bischöfliche Instanzen durchlaufen hat.
Der Rota steht ferner die Entscheidung über das
außerordentliche Rechtsmittel der restitutio in
integrum gegen ein rechtskräftig gewordenes
Urteil der Ordinarien zu, für die Appellation
gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen der
Ordinarien ist dagegen nicht die Rota, sondern
die betreffende Kongregation, für die restitutio
gegen ein rechtskräftiges Rota-Urteil die Signatura
kompetent. — Die Rota setzt sich zusammen aus
10 Prälaten als Richtern, auditores genannt, von
denen der älteste der Dekan als primus inter
Pares ist, ferner aus gleichviel adiutores zur
Unterstützung der Auditoren, dem promotor
iustitiae und dem defensor vinculi, sowie
schließlich 6 Offizialen. Als Gerichtshof fungiert
die Rota entweder im Turnus von drei Auditoren,
von denen der amtsälteste der jeweilige auditor
ponens causae ist, oder aber in der Gesamtheit.
Nur bei UÜberweisung einer Angelegenheit seitens
des Papstes oder einer Kongregation kann ein
Kollegium von fünf oder sieben Richtern angeord-
net werden (Sap. Cons. II 2; Lex propria
tit. I; Index a. a. O. 130 #)
3. Die Signatura Apostolica geht
zurück auf die päpstlichen referendarü#, welche
Gutachten darüber anzufertigen hatten, ob sich eine
Angelegenheit überhaupt zur Verhandlung vor den
kirchlichen Gerichten eigne und welchem Richter sie
gegebenenfalls zu überweisen sei, der erst auf
Grund eines besondern, mit der päpstlichen Unter-
schrift (signatura) versehenen Auftrages (com-
missio) tätig werden konnte. Hiervon erhielt
dann die Behörde, welche die Gutachten für die
Unterschrift ausarbeitete, den Namen Signatura.
Später wurden die Gesuche in Prozeßsachen in
einem formellen Gerichtsverfahren entschieden
(Signatura lustitiae), während die davon ab-
gezweigte Signatura Gratiae den Charakter einer
beratenden Behörde zur Vorbereitung der Ent-
scheidung außerordentlicher Gnadenakte durch den
Papst behielt. Gregor XVI. überwies dann 1834
- 21ss