Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Bedeutung ist endlich die am 11. Dez. 1885 ge- 
gründete Deutsche Landwirtschaftsgesell- 
schaft. Es hat diese Vereinigung auf allen Ge- 
bieten der technischen Landwirtschaft eine außer- 
ordentlich anregende und befruchtende Tätigkeit 
entfaltet. Das gilt insbesonders für alle Zweige 
der Tierzucht, welche durch die jährlich veranstal- 
teten Ausstellungen aufs nachhaltigste gefördert 
und gehoben wurde. Unstreitig gebührt dieser 
Gesellschaft das Verdienst, zum erstenmal die dem 
landwirtschaftlichen Berufe gewidmeten Männer 
des ganzen Reiches zu gemeinsamer ernster und 
wirksamer Arbeit vereinigt zu haben. Naturgemäß 
sind es die höher gebildeten, intelligenteren Ele- 
mente, welche die Förderung des Werkes sich zum 
Ziele gesetzt haben. Die Deutsche Landwirtschafts- 
gesellschaft beschränkt sich auf die Förderung der 
landwirtschaftlichen Technik auf allen Gebieten 
unter strengem Ausschluß aller politischen Bestre- 
bungen, sie arbeitet ausschließlich mit den durch 
die Beiträge ihrer Mitglieder sowie aus den 
geschäftlichen Unternehmungen aufkommenden 
Mitteln. 
Für die Organisation des lan dwirtschaft- 
lichen Genossenschaftswesens haben sich 
nach den bisherigen Erfahrungen die folgenden 
Punkte als besonders beachtenswert ergeben. Eine 
und dieselbe Genossenschaft soll in der Hauptsache 
nur einem Zwecke dienen. Der Bereich einer Ge- 
nossenschaft soll namentlich da, wo Mittel= und 
Kleinbesitz vorherrscht, sich auf den Umkreis einer 
Dorfgemeinde beschränken. Zur Vertretung der 
Genossenschaften nach außen und zur Vermittlung 
der gesetzlichen Revision ist ein Zusammenschluß in 
größere Verbände im höchsten Grade empfehlens- 
wert. Bezüglich des Umfanges dieser Verbände 
hat die Erfahrung gelehrt, daß eine allzu weit 
gehende Zentralisation vom Übel ist. Wenn die- 
selben den berechtigten Eigentümlichkeiten der ein- 
zelnen Volksstämme und den in den betreffenden 
Bezirken herrschenden besondern Verhältnissen Rech- 
nung tragen sollen, dürfen sie über den Rahmen 
einer Provinz oder eines Bundesstaates nicht hin- 
ausgehen; dies hindert nicht, daß sich sämtliche 
Verbände zu einer das Ganze vertretenden Ver- 
einigung zusammenschließen. Im Laufe der Zeit 
hat sich eine Anzahl von großen Verbänden ge- 
bildet, welche unter sich weniger durch die Ver- 
schiedenheit ihrer genossenschaftlichen Grundsätze 
als vielmehr infolge des historischen Werdeganges 
sowie durch politische und andere Tendenzen 
differieren. Da mehrere dieser Verbände ihre 
Tätigkeit gleichzeitig über ein und dasselbe Ge- 
biet erstrecken, so sind daraus viele Unzuträglich- 
keiten entstanden, welche die sonst so segensreiche 
Wirksamkeit des Genossenschaftswesens in bedauer- 
licher Weise beeinträchtigt haben. Die Ubernahme 
geschäftlicher Funktionen seitens der Verbände hat 
ich nicht bewährt; vielmehr empfiehlt sich zur Be- 
friedigung eines nach dieser Richtung hin sich gel- 
end machenden Bedürfnisses die Bildung von 
  
Landwirtschaftskammern. 
  
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Zentralgenossenschaften, deren Mitglieder die be- 
treffenden Einzelgenossenschaften sind. Von den im 
Gesetze freigegebenen Formen hat sich für die große 
Mehrzahl der Fälle die Genossenschaft mit un- 
beschränkter Haftpflicht am besten bewährt, und 
weitaus die meisten der heute bestehenden Ge- 
vustensten haben sich diesen Grundsatz zu eigen 
emacht. 
Der rasche Ausschwung, den das landwirt- 
schaftliche Genossenschaftswesen seit der reichs- 
gesetzlichen Reglung dieser Materie genommen hat, 
muß als ein bedeutsamer Faktor für den Fort- 
schritt des landwirtschaftlichen Gewerbes bezeichnet 
werden. Je mehr die Landwirtschaft durch den 
raschen Gang der Entwicklung auf den andern 
Gebieten wirtschaftlichen Lebens sich gezwungen 
sieht, in der Steigerung des Stoffumsatzes und 
der höheren Verwertung der Produkte ihre Ret- 
tung zu suchen, desto mehr muß auch das Bedürf- 
nis des genossenschaftlichen Zusammenschlusses 
hervortreten, und zwar ist dies in besonders hohem 
Grade dort der Fall, wo der Klein= und Mittel- 
besitz vorherrscht. Denn es ist geradezu ein Ding 
der Unmöglichkeit, daß der kleine Mann allein all 
den Anforderungen entspreche, welche das land- 
wirtschaftliche Gewerbe namentlich in kaufmänni- 
scher Beziehung an den einzelnen stellt. Ab- 
gesehen davon, daß der durch die Genossenschaft 
gegebene Kredit überhaupt erst die Ausführung 
der betreffenden Maßnahmen ermöglicht, ist deren 
Tätigkeit auch darum unentbehrlich, weil sie zu- 
gleich die Anleitung dazu gibt, nach welcher Rich- 
tung vorgegangen werden muß. Gewiß wäre in 
der Genossenschaft die schönste Lösung des Pro- 
blems zu erblicken, auf welche Weise die den 
Fortschritt hemmenden Eigentümlichkeiten des 
Kleinbetriebes zu beseitigen seien, wenn man sich 
der Hoffnung hingeben dürfte, daß die genossen- 
schaftliche Bewegung einstens die Gesamtheit aller 
dieser Landwirte umfassen werde. 
Über Aufgaben und Ziele der Bauern- 
vereine vgl. d. Art. 
Literatur. Stadelmann, Das landwirtsch. 
Vereinswesen in Preußen (1874); Statistisches jähr- 
lich in Mentzel u. v. Lengerkes Landw. Kalender. 
[Ramm, rev. Kellermann.) 
Landwirtschaftskammern. Die Land- 
wirtschaftskammern sind aus dem Bedürfnis ent- 
standen, einmal eine sämtliche Landwirte um- 
sassende Vertretung der landwirtschaftlichen Inter- 
essen zu haben, und anderseits durch Beiträge aller 
Landwirte die zur Förderung der Landwirtschaft 
ersorderlichen Mittel durch eine gesetzliche Ein- 
richtung zu beschaffen. Man hatte ja längst schon 
gegen die landwirtschaftlichen Zentralvereine den 
Einwand erhoben, daß sie nicht als die legitimen 
Vertreter der Landwirtschaft angesehen werden 
könnten, da sie bei weitem nicht alle Landwirte 
umfaßten, und daß anderseits viele Personen zu 
ihnen gehörten, die mit der Landwirtschaft direkt 
nichts zu tun hatten, und trotzdem die Staats- 
 
	        
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