Kaperei. 1. Geschichtliche Nachweise.
Zur Seemacht gehören auch diejenigen Privat-
schiffe, die in Kriegszeiten mit besonderer Er-
mächtigung der kriegführenden Macht Jagd auf
gegnerische Handelsschiffe machen. Sie heißen
Kaper (armateurs, corsaires, privateers), und
diese Art Kriegsführung heißt Kapern. Kommt
ihr auch gegenwärtig nicht mehr jene Bedeutung
zu, die sie in vergangenen Zeiten hatte, so kann
doch nicht gesagt werden, daß sie vollständig be-
seitigt sei. Man hat die Wahl, die Bezeichnung
„Kaper“ von dem lateinischen capere, von Kap-
par, wie die Seekönige der Normannen hießen,
oder von dem Süd-Kap, welches die holländischen
Ostindienfahrer umsegelten, herzuleiten. Doch ist
die letztgenannte Deutung kaum stichhaltig, ab-
gesehen davon, daß die Zulassung und Benutzung
von Kapern auf das mittelalterliche Repressalien-
institut zurückzuführen ist. Dagegen stehr ge-
schichtlich fest, daß um die Mitte des 16. Jahrh.,
während des Freiheitskampfes der Niederlande
gegen Spanien, holländische und englische Kauf-
fahrer in großer Anzahl Aufträge (Kommissionen)
annahmen, auf spanische und portugiesische Fahr-
zeuge Jagd zu machen. Alsbald artete der Brauch,
Korsaren= und Schmugglerfahrzeuge in Dienst zu
nehmen, in Seeraub aus, dem Einhalt zu ge-
bieten die lockere Schiffsdisziplin der Kaperführer
und die Ungebundenheit des Verkehrs zur See
erschwerte. Immer häufiger wurden die Klagen,
immer lauter die Stimmen, welche die Beseiti-
gung des Kaperwesens verlangten. Im preußisch-
amerikanischen Handelsvertrage von 1785 wurde
denn auch auf die Erteilung von Kaperbriefen Ver-
zicht geleistet, der bei der Erneuerung des Traktes
1799 und 1823 aber wieder fallen gelassen wurde.
In Frankreich erhob 1792 die Nationalversamm-
lung Protest gegen den Fortbestand dieser Insti-
tution, und im folgenden Jahre wurde in einem
Abkommen Frankreichs mit den Hansastädten auf
die Kaperei wechselseitig Verzicht geleistet. Im
Nov. 1806 erließ Napoleon I. ein Dekret gegen
Kaperei und Seebeute, freilich im Sinne seiner
Maxime: Völkerrecht ist dasjenige, was man
von andern verlangt. Ehrlicher gemeint waren
die Bemühungen des Bundes der fünf Groß-
mächte (Pentarchie), die Kaperei abzuschaffen. Im
russisch-türkischen Feldzuge 1828/49 wurde denn
auch von der Erteilung von Kaperbriefen Um-
gang genommen. Zu Beginn des Orientkrieges
1854 einigten sich Frankreich und England unter-
einander und dann beide Mächte mit Rußland,
die Ausrüstung von Kapern zu unterlassen. In
der Seerechtsdeklaration vom 16. April 1856,
Annex zum dritten Pariser Frieden, der den Krim-
Staatslexilon. 1II. 3. Aufl.
krieg beendete, wurde der Grundsatz proklamiert:
Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft (La course
est et demeure abolie). Demselben stimmte
auch England zu, jedoch mit der Maßgabe, die
Deklaration sei, wie schon ihre Bezeichnung be-
sage, nur eine Erklärung, nicht aber ein binden-
der Traktat. Die Regierung der Vereinigten
Staaten erhob grundsätzlich Widerspruch und er-
klärte, bei der Forderung verharren zu müssen,
daß das gesamte Seebeuterecht, gleichviel ob von
Schlachtschiffen, Staatskreuzern oder Privatkapern
ausgeübt, abgeschafft werden sollte zugunsten des
Grundsatzes, daß das feindliche Eigentum auch
auf feindlichen Schiffen vor Wegnahme gesichert
sei, mit Ausnahme der Kriegskonterbande, wie
das tatsächlich das obenerwähnte preußisch-nord-
amerikanische Ubereinkommen von 1785 ausge-
sprochen hatte (s. die Denkschrift des damaligen
Ministers für auswärtige Angelegenheiten, March).
Frankreich, Rußland, Preußen, Portugal und die
Niederlande waren geneigt, diesem Grundsatze zu-
zustimmen, nicht so die übrigen auf der Konferenz
vertretenen Mächte. Nicht beigetreten sind der
Vereinbarung betreffs Abschaffung der Kaperei
die Vereinigten Staaten, Spanien, Mexiko, Bo-
livia, Neugranada, Uruguay, Venezuela. Bei-
getreten sind Japan und 1907 auch Spanien und
Mexiko. Wären die Vereinigten Staaten bei-
getreten, nachdem sie ihre prinzipiell richtige For-
derung der Freiheit des Privateigentums zur See
nicht hatten durchsetzen können, so hätten auch die
sezessionistischen Staaten im Bürgerkriege 1861
bis 1865 keine Kaper ausrüsten dürfen, von denen
zwei, die „Alabama“ und die „Florida“, der Union
großen Schaden zufügten (vgl. Art. Internatio-
nale Schiedsgerichtsbarkeit: die Alabamafrage).
Die Pariser Seerechtsdeklaration verpflichtet nur
die Signatarmächte und auch diese nur in den
zwischen ihnen geführten Kriegen unter der Vor-
aussetzung vollständiger Gegenseitigkeit. Anläßlich
des russisch-englischen Konflikts im afghanischen
Grenzstreite 1885 wurde in der russischen Re-
gierungspresse die Auffassung vertreten, die Pariser
Seerechtsdeklaration sei kein Traktat; dieselbe binde
jeden Staat nur bis zu dem Momente, wo er-
klärt wird, daß der Staat nicht mehr beabsichtige,
dieser Erklärung gemäß sein Verhalten einzurich-
ten. Daß dem so sei, werde dadurch ersichtlich,
daß die Regierungen vor jedem Kriege bestätigen,
sie wollten die Bestimmungen der Deklaration
respektieren. Das sei denn auch im letzten Kriege
mit der Türkei durch den kaiserlichen Erlaß vom
12. April 1877 geschehen.
Indes besteht dasjenige, was man früher Kaper,
Kaperei nannte, seit dem deutsch-französischen
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