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beendigt ist, wird regelmäßig Tatfrage sein. Er
ist z. B. noch nicht beendigt, wenn der Dieb mit
der gestohlenen Sache flieht. Der Bestohlene darf
sich auch dann noch gegen den Diebstahl wehren,
selbst dadurch, daß er den Dieb niederschießt (be-
stritten mit Rücksicht auf § 859, Abs. 2 B.G.B.;
vgl. dagegen richtig Schollmeyer S. 6 f). Der
Angriff müß 3) rechtswidrig sein. Er muß
gegen das Recht verstoßen, doch genügt objektive
Rechtswidrigkeit. Verschulden oder Vorsatz des
Angreifers ist nicht erfordert. Es genügt aber
nicht, daß der Angriff sich gegen ein Recht des
Angegriffenen richtet, es muß hinzukommen, daß
der Angreifer kein Recht zu seinem Angriff hat.
Notwehr ist deshalb nicht gestattet gegenüber jeder
befugten Gewalt: gegenüber dem in rechtmäßiger
Ausübung seines Amtes begriffenen Beamten,
dem Inhaber eines Züchtigungsrechts (Vater,
Vormund, Lehrer) oder eines innerhalb der gesetz-
lichen Schranken (gute Sitten!) eingeräumten
andern Rechts und endlich auch gegenüber der
Notwehr selbst. Rechtlich unerheblich ist dagegen,
daß der Angriff vorausgesehen werden konnte,
oder daß er von dem Angegriffenen selbst ver-
schuldet worden ist. Der Angriff muß 4) gegen
ein Rechtsgut gerichtet sein, d. h. gegen
ein rechtlich geschütztes Interesse. Gegenstand des
Angriffs kann also die Person (Leben, Gesund-
heit, Freiheit, Ehre, Namensrecht des Angegriffe-
nen) oder das Vermögen (Eigentum, dingliche
und Forderungsrechte, und grundsätzlich auch der
Besitz) sein. Ebenso ist die Notwehr aber auch
gestattet gegen Angriffe auf das sittliche oder
religiöse Gefühl und zum Schutz gegen Landes-
verrat und andere gegen den Staat oder die All-
gemeinheit gerichtete Verbrechen. Endlich muß
5) die Verteidigung erforderlich sein, um den
Angriff abzuwenden. Sie darf also zwar grund-
sätzlich so weit ausgedehnt und so kräftig geübt
werden, daß der Angriff erfolgreich abgewiesen
wird, sie darf dabei aber die Grenzen des unbe-
dingt Notwendigen nicht überschreiten. Die Ver-
teidigung muß der Stärke des Angriffs ange-
paßt sein: der Angegriffene darf zu den jeweils
schärferen Verteidigungsmitteln erst dann greifen,
wenn die schwächeren nicht ausreichen; er darf den
Angreifer nicht töten, wenn er dem Angriff auch
durch seine Festnahme erfolgreich begegnen kann.
Entscheidend für das unbedingt notwendige Maß
der Verteidigung kann stets nur die Kampflage
selbst sein, und zwar sowohl im Hinblick auf die
Person des Angreifers und die Beharrlichkeit
seines Angriffes als auch auf den Stand und
Beruf des Angegriffenen. Auf das gegenseitige
Wertverhältnis des durch den Angriff und des
durch die Verteidigung gefährdeten Rechtsguts
kommt es jedoch nicht an; das geringfügigste
Rechtsgut darf durch Tötung des Angreifers ge-
schützt werden, wenn der Angriff auf andere Weise
nicht abgewehrt werden kann. Das Recht muß
sich dem Unrecht gegenüber wenn nötig mit den
Notwehr ufw.
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äußersten Mitteln behaupten dürfen. Die Not-
wehr ist deshalb auch dann statthaft, wenn der
Angegriffene sich dem Angriff durch die Flucht
oder durch eine List entziehen, oder wenn er zu
seinem Schutz die Hilfe der Staatsgewalt an-
rufen könnte; er kann frei entscheiden, ob er sich
wehren oder einen dieser drei Wege einschlagen will.
Stets aber darf sich die Verteidigung nur gegen
den Angreifer selbst, nicht gegen Dritte richten.
Die Verletzung des Angreifers über die Grenzen
der erforderlichen Verteidigung hinaus unterliegt
als rechtswidrige Handlung den allgemeinen Vor-
schriften der Gesetze. Grundsätzlich setzt der Han-
delnde sich durch sie also allen gegen sie angedrohten
straf= und zivilrechtlichen Folgen aus. Mit Rück-
sicht darauf aber, daß er tatsächlich ein Recht hatte,
sich zu wehren, und daß es oft schwierig ist, dem
plötzlichen Angriff gegenüber das richtige Ver-
teidigungsmittel anzuwenden, entschuldigt das
Gesetz von alters her den Täter, indem es ihm
bei Notwehrüberschreitung eine mildere Strafe zu-
billigt oder ihn gänzlich straflos läßt, wenn er in
der Aufregung gehandelt hat. Die meisten Straf-
gesetzbücher berücksichtigen jedoch nur Bestürzung,
Furcht und Schrecken als Strafausschließungs-
gründe, nicht auch die Leidenschaft, die doch eine
natürliche Begleiterscheinung des Kampfes ist und
notwendig durch ihn erzeugt wird. Das Wesen
der echten Notwehr wird durch die infolge der
Leidenschaft gesteigerte Kraftaufwendung nicht auf-
gehoben, soweit das Ziel des Kampfes um das
Recht der Sieg über das Unrecht ist. Trotzdem
wäre es bedenklich, auch die Leidenschaft voll als
Strafausschließungsgrund anzuerkennen. Es ge-
nügt, wenn sie als strafmildernd berücksichtigt wird,
wie es u. a. in dem R. St. G. B. 8 213 geschehen
ist. Nicht unerwähnt mag dabei der Versuch
neuerer Entwürfe von Strafgesetzbüchern bleiben,
die Überschreitung der Notwehr ganz allgemein
dann als unverschuldet anzusehen, wenn der Täter
nur infolge des durch den Angriff herbeigeführten
Mangels an Besonnenheit über die Grenzen der
Verteidigung hinausgegangen ist. Begeht der
Handelnde absichtlich, im Bewußtsein des Über-
maßes seiner Gewalt, eine Notwehrüberschreitung,
dann ist er wegen seiner bösen Absicht selbstver-
ständlich verantwortlich. Entspringt die Über-
schreitung nicht der bösen Absicht, dann kann sie
doch noch auf ein Verschulden des Handelnden aus
Fahrlässigkeit zurückzuführen sein, falls sich aus
den Umständen ergibt, daß die pflichtmäßige Über-
legung oder Aufmerksamkeit von dem Täter ver-
nachlässigt worden ist. Eine solche Überschreitung
wird zu ahnden sein, wenn das Gesetz mit Rück-
sicht auf die fragliche Verletzung die Fahrlässigkeit
überhaupt straft. — Nicht unter den Begriff der
Notwehrüberschreitung gehört der Fall, daß je-
mand, der sich rechtswidrig angegriffen glaubt,
ohne es zu sein, zur Notwehr greift. Hier kommen
lediglich die Grundsätze über den Irrtum in An-
wendung.