Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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beendigt ist, wird regelmäßig Tatfrage sein. Er 
ist z. B. noch nicht beendigt, wenn der Dieb mit 
der gestohlenen Sache flieht. Der Bestohlene darf 
sich auch dann noch gegen den Diebstahl wehren, 
selbst dadurch, daß er den Dieb niederschießt (be- 
stritten mit Rücksicht auf § 859, Abs. 2 B.G.B.; 
vgl. dagegen richtig Schollmeyer S. 6 f). Der 
Angriff müß 3) rechtswidrig sein. Er muß 
gegen das Recht verstoßen, doch genügt objektive 
Rechtswidrigkeit. Verschulden oder Vorsatz des 
Angreifers ist nicht erfordert. Es genügt aber 
nicht, daß der Angriff sich gegen ein Recht des 
Angegriffenen richtet, es muß hinzukommen, daß 
der Angreifer kein Recht zu seinem Angriff hat. 
Notwehr ist deshalb nicht gestattet gegenüber jeder 
befugten Gewalt: gegenüber dem in rechtmäßiger 
Ausübung seines Amtes begriffenen Beamten, 
dem Inhaber eines Züchtigungsrechts (Vater, 
Vormund, Lehrer) oder eines innerhalb der gesetz- 
lichen Schranken (gute Sitten!) eingeräumten 
andern Rechts und endlich auch gegenüber der 
Notwehr selbst. Rechtlich unerheblich ist dagegen, 
daß der Angriff vorausgesehen werden konnte, 
oder daß er von dem Angegriffenen selbst ver- 
schuldet worden ist. Der Angriff muß 4) gegen 
ein Rechtsgut gerichtet sein, d. h. gegen 
ein rechtlich geschütztes Interesse. Gegenstand des 
Angriffs kann also die Person (Leben, Gesund- 
heit, Freiheit, Ehre, Namensrecht des Angegriffe- 
nen) oder das Vermögen (Eigentum, dingliche 
und Forderungsrechte, und grundsätzlich auch der 
Besitz) sein. Ebenso ist die Notwehr aber auch 
gestattet gegen Angriffe auf das sittliche oder 
religiöse Gefühl und zum Schutz gegen Landes- 
verrat und andere gegen den Staat oder die All- 
gemeinheit gerichtete Verbrechen. Endlich muß 
5) die Verteidigung erforderlich sein, um den 
Angriff abzuwenden. Sie darf also zwar grund- 
sätzlich so weit ausgedehnt und so kräftig geübt 
werden, daß der Angriff erfolgreich abgewiesen 
wird, sie darf dabei aber die Grenzen des unbe- 
dingt Notwendigen nicht überschreiten. Die Ver- 
teidigung muß der Stärke des Angriffs ange- 
paßt sein: der Angegriffene darf zu den jeweils 
schärferen Verteidigungsmitteln erst dann greifen, 
wenn die schwächeren nicht ausreichen; er darf den 
Angreifer nicht töten, wenn er dem Angriff auch 
durch seine Festnahme erfolgreich begegnen kann. 
Entscheidend für das unbedingt notwendige Maß 
der Verteidigung kann stets nur die Kampflage 
selbst sein, und zwar sowohl im Hinblick auf die 
Person des Angreifers und die Beharrlichkeit 
seines Angriffes als auch auf den Stand und 
Beruf des Angegriffenen. Auf das gegenseitige 
Wertverhältnis des durch den Angriff und des 
durch die Verteidigung gefährdeten Rechtsguts 
kommt es jedoch nicht an; das geringfügigste 
Rechtsgut darf durch Tötung des Angreifers ge- 
schützt werden, wenn der Angriff auf andere Weise 
nicht abgewehrt werden kann. Das Recht muß 
sich dem Unrecht gegenüber wenn nötig mit den 
Notwehr ufw. 
  
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äußersten Mitteln behaupten dürfen. Die Not- 
wehr ist deshalb auch dann statthaft, wenn der 
Angegriffene sich dem Angriff durch die Flucht 
oder durch eine List entziehen, oder wenn er zu 
seinem Schutz die Hilfe der Staatsgewalt an- 
rufen könnte; er kann frei entscheiden, ob er sich 
wehren oder einen dieser drei Wege einschlagen will. 
Stets aber darf sich die Verteidigung nur gegen 
den Angreifer selbst, nicht gegen Dritte richten. 
Die Verletzung des Angreifers über die Grenzen 
der erforderlichen Verteidigung hinaus unterliegt 
als rechtswidrige Handlung den allgemeinen Vor- 
schriften der Gesetze. Grundsätzlich setzt der Han- 
delnde sich durch sie also allen gegen sie angedrohten 
straf= und zivilrechtlichen Folgen aus. Mit Rück- 
sicht darauf aber, daß er tatsächlich ein Recht hatte, 
sich zu wehren, und daß es oft schwierig ist, dem 
plötzlichen Angriff gegenüber das richtige Ver- 
teidigungsmittel anzuwenden, entschuldigt das 
Gesetz von alters her den Täter, indem es ihm 
bei Notwehrüberschreitung eine mildere Strafe zu- 
billigt oder ihn gänzlich straflos läßt, wenn er in 
der Aufregung gehandelt hat. Die meisten Straf- 
gesetzbücher berücksichtigen jedoch nur Bestürzung, 
Furcht und Schrecken als Strafausschließungs- 
gründe, nicht auch die Leidenschaft, die doch eine 
natürliche Begleiterscheinung des Kampfes ist und 
notwendig durch ihn erzeugt wird. Das Wesen 
der echten Notwehr wird durch die infolge der 
Leidenschaft gesteigerte Kraftaufwendung nicht auf- 
gehoben, soweit das Ziel des Kampfes um das 
Recht der Sieg über das Unrecht ist. Trotzdem 
wäre es bedenklich, auch die Leidenschaft voll als 
Strafausschließungsgrund anzuerkennen. Es ge- 
nügt, wenn sie als strafmildernd berücksichtigt wird, 
wie es u. a. in dem R. St. G. B. 8 213 geschehen 
ist. Nicht unerwähnt mag dabei der Versuch 
neuerer Entwürfe von Strafgesetzbüchern bleiben, 
die Überschreitung der Notwehr ganz allgemein 
dann als unverschuldet anzusehen, wenn der Täter 
nur infolge des durch den Angriff herbeigeführten 
Mangels an Besonnenheit über die Grenzen der 
Verteidigung hinausgegangen ist. Begeht der 
Handelnde absichtlich, im Bewußtsein des Über- 
maßes seiner Gewalt, eine Notwehrüberschreitung, 
dann ist er wegen seiner bösen Absicht selbstver- 
ständlich verantwortlich. Entspringt die Über- 
schreitung nicht der bösen Absicht, dann kann sie 
doch noch auf ein Verschulden des Handelnden aus 
Fahrlässigkeit zurückzuführen sein, falls sich aus 
den Umständen ergibt, daß die pflichtmäßige Über- 
legung oder Aufmerksamkeit von dem Täter ver- 
nachlässigt worden ist. Eine solche Überschreitung 
wird zu ahnden sein, wenn das Gesetz mit Rück- 
sicht auf die fragliche Verletzung die Fahrlässigkeit 
überhaupt straft. — Nicht unter den Begriff der 
Notwehrüberschreitung gehört der Fall, daß je- 
mand, der sich rechtswidrig angegriffen glaubt, 
ohne es zu sein, zur Notwehr greift. Hier kommen 
lediglich die Grundsätze über den Irrtum in An- 
wendung.
	        
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