Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Anerkennung des Arbeiterausschusses; Wieder- 
einstellung entlassener (organisierter) Arbeiter; 
Entlassung von Vorgesetzten; Vornahme gesund- 
heitlicher Verbesserungen; Reglung des Lehrlings- 
wesens; Einführung eines paritätischen Arbeits- 
nachweises. 
Nicht immer jedoch sind es positive Forde- 
rungen, welche die Arbeiter in den Kampf treiben. 
Oft genug setzen sie sich gegen die Verschlechterung 
bereits bestehender Arbeitsverhältnisse, z. B. gegen 
Verlängerung der bisher üblichen Arbeitszeit, zur 
Wehr. Sie befinden sich in der Rolle des Ver- 
teidigers, der das bisher Errungene verteidigen 
will. Solche Streiks nennt man Abwehrstreiks, 
während die auf positive Besserung der Arbeits- 
verhältnisse abzielenden Ausstände Angriffsstreiks 
heißen. — Die vornehmlichsten Motive für die 
Arbeitgeber, ihre Arbeiter auszusperren, sind: 
Aufrechterhaltung des bisherigen Lohns oder der 
bisherigen Arbeitszeit, Beendigung eines Streiks, 
Austritt aus der Gewerkschaft. 
Die formale Seite von Streik und Aus- 
sperrung, die Art und Weise des Vorgehens 
wird in erster Linie mitbestimmt durch das Haupt- 
motiv, die Gegenpartei durch eine ungünstige 
Wirtschaftslage willfährig zu stimmen. Die Strei- 
kenden leitet die feste Hoffnung, daß der Unter- 
nehmer schließlich, durch den immer größer werden- 
den Gewinnausfall genötigt, seine Entschließungen 
in einem ihnen günstigen Sinn fassen wird. Des- 
halb wird beim Streik das Arbeitsverhältnis nicht 
einfachhin gelöst, sondern nur für eine Zeitlang 
unterbrochen; sobald die Lage der Arbeiter eine 
bessere wird, soll die Arbeit wieder aufgenommen 
werden. Alles einzelne in einem wohlüberlegten 
Streikplan zielt nun dahin, den angegriffenen 
Unternehmer in seiner Geschäftslage mehr und 
mehr einzuengen. Deshalb stellt stets eine größere 
Anzahl Arbeiter zur selben verabredeten Zeit die 
Arbeit ein; der Ausfall einer einzelnen Arbeits- 
kraft würde für das Unternehmen kaum fühlbar 
sein. Je größer die Zahl der Ausständigen, um 
so stärker ist der Druck, um so vollständiger und 
aussichtsreicher der Streik. Gehören die Strei- 
kenden sämtlich ein und demselben Betrieb an, so 
spricht man vom Einzelstreik. Dehnt er sich auf 
andere, demselben Gewerbe angehörende Betriebe 
auf Grund der gleichen Forderungen aus, so liegt 
ein Gruppenstreik vor. — Für sehr wichtig halten 
mit einer sonst nicht üblichen und mit den Be- 
es die Streikenden natürlich, den Streik in einem 
Zeitpunkt zu beginnen, wo eine Produktions- 
einschränkung einen empfindlichen Schaden be- 
deutet. Als günstiger Zeitpunkt gilt im allgemei- 
nen die günstige Konjunktur, wo viele Aufträge 
übernommen sind, die dann infolge einer teil- 
weisen oder gänzlichen Stilllegung des Betriebs 
nicht alle oder nicht rechtzeitig erfüllt werden 
können. Auch darauf werden die Streikführer be- 
dacht sein, daß sie den Unternehmer mit dem Aus- 
stand in einem Augenblick überraschen, wo dieser 
gar nicht darauf gefaßt ist und keine Maßregeln 
Streik ufw. 
  
  
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ergriffen hat, den etwa entstehenden Streikschäden 
vorzubeugen. Leider führt diese Uberrumplungs- 
politik zuweilen zu plötzlichen Ausständen ohne 
Beachtung der vertraglich festgesetzten Kündigungs- 
frist, wenn auch Kontraktbruch beim Streik lange 
nicht mehr so häufig ist als früher. — Da der 
Erfolg des Streiks in Frage gestellt wird, sobald 
es dem Unternehmer gelingt, leistungsfähige Er- 
satzarbeiter sich zu beschaffen, so suchen die Strei- 
kenden diese Möglichkeit nach Kräften zu verhin- 
dern; sie suchen „Zuzug fernzuhalten“. An den 
Bahnhöfen werden Streikposten aufgestellt, die 
zugereiste Arbeiter über die Lage des Streiks und 
der Streikenden informieren und von der Arbeit 
fernzuhalten suchen. Dasselbe geschieht in der Nähe 
der von Streiks betroffenen Arbeitsstätten. Dieses 
Vorgehen der Arbeiter kann ihnen gewiß niemand 
verwehren, solange sie niemandes Recht verletzen 
und Ruhe und Ordnung nicht stören. Nicht selten 
aber führt die leidenschaftliche Erregung der Strei- 
kenden gegen die Arbeitswilligen, oder wie sie von 
jenen ausnahmslos genannt werden, die Streik- 
brecher, zu blutigen Zusammenstößen und Straßen- 
krawallen. In solchen Fällen hat der Staat offen- 
bar das Recht, durch Einschreiten seiner Organe 
Frieden und Ordnung wiederherzustellen; aller- 
dings brauchen die staatlichen Behörden darum 
nicht immer einseitig gegen die Streikenden Partei 
zu ergreifen. Noch viel weniger sind Gesetze an- 
gebracht, die, wie die Zuchthausvorlage der deut- 
schen Reichsregierung (1897), jede Behinderung 
der Arbeitswilligen während des Streiks mit den 
schärfsten Strafen belegen. — In diesem Zu- 
sammenhang sei noch ein Mittel erwähnt, das auf 
eine direkte Eigentumsschädigung des Unterneh- 
mers ausgeht. Es ist die von französischen Ge- 
werkschaften anarchistischen Geprägs angewandte 
Sabotage (von sabot = Hemmschuh, Bremse); 
sie besteht darin, daß schlechte Arbeit geliefert wird, 
Maschinen unversehens zerstört, Leitungsdrähte 
zerschnitten werden, kurz der Betrieb unsicher und 
unbrauchbar gemacht wird. In deutschen Ländern 
hat die Sabotage nie Eingang gefunden; das Un- 
moralische dieses Vorgehens wurde auch von der 
sozialdemokratischen Fachpresse verabscheut. — 
Eine harmlosere Form haben die Grundgedanken 
der Sabotage in der „passiven Resistenz“ der 
italienischen und österreichischen Eisenbahner ge- 
sunden. Es wurden die bestehenden Reglements 
triebsinteressen auch nicht verträglichen Umständ- 
lichkeit und Sorgsalt zur Ausführung gebracht. 
Das genügte, um eine empfindliche Lähmung des 
ganzen Verkehrs herbeizuführen. 
Bei der Aussperrung geht ein Hauptstreben der 
Arbeitgeber dahin, die Gewerkschaft, in der die 
ganze Macht und Widerstandskraft der Arbeiter 
beruht, zu schwächen. So erklärt sich die oft be- 
obachtete Taktik, Einzelstreiks mit einer großen, 
den ganzen Bezirk oder die ganze Branche um- 
sassenden Aussperrung zu beantworten. Oder es
	        
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