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Zugunsten der Todesstrafe wurde von jeher,
nebst dem Vergeltungsgedanken, die Notwendigkeit
der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung (durch Abschreckung der Gesamt-
heit, Generalprävention) hervorgehoben; man
dürfe nicht nur das Wohl des Mörders, sondern
man müsse vor allem das Leben des friedlichen
Bürgers energischem Schutz unterstellen. Der letz-
tere Gesichtspunkt, der sich mit dem Postulat einer
gerechten Vergeltung nahe berührt, gibt zugleich
der Todesstrafe Richtung und Maß. Und während
die ausschließliche Betonung des Abschreckungs-
zwecks zu einer allzu häufigen Androhung dieses
eindrucksvollsten aller Strafmittel tendieren würde,
liegt in der Vergeltungsidee die Forderung be-
schlossen, die Todesstrafe jedenfalls grundsätzlich
auf die gefährlichsten und verwerflichsten Straf-
laten zu beschränken; dazu gehören insbesondere
die schwersten Fälle des Hochverrats und der voll-
Todesstrafe.
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ster Leonhardt, die Beibehaltung der Todesstrafe
im Strafensystem sei Bedingung der Annahme
des Entwurfs durch den Bundesrat. Daraufhin
wurde in der 3. Lesung am 23. Mai ein Antrag
v. Luck betr. Wiederaufnahme der Todesstrafe
mit 127 gegen 119 Stimmen angenommen. Am
25. Mai erfolgte ohne namentliche Abstimmung
die Annahme des ganzen Entwurfs mit „sehr
großer Majorität“. Für die Beibehaltung der
Todesstrase traten namentlich ein der Bundes-
kanzler Graf Bismarck und der Abgeordnete Peter
Reichensperger; dagegen sprachen insbesondere
die Abgcordneten Schwarze, v. Kirchmann und
Lasker. (Sitzungen vom 28. Febr. und vom
23. Mai 1870; Stenographische Berichte über
die Verhandlungen des Reichstags des Norddeut-
schen Bunds 1870 1 95 ff, II 1119 ff.)
Nach deutschem Reichsrecht ist die Todes-
strafe ausschließlich angedroht: bei vollendetem
endeten Vernichtung fremden Menschenlebens. Ob Mord (§ 211 St.G.B.), Mord und Mord-
und auf welche Verbrechen in einem Land die versuch an dem Kaiser, dem eignen Landesherrn
Todesstrafe angedroht wird, ist Sache genauer # und dem Landesherrn des Aufenthaltsstaats (§ 80
positivrechtlicher Reglung durch den betreffenden St.G. B.), Mißbrauch von Sprengstoffen im
Gesetzgeber, welchem die Strafrechtswissenschaft Fall, daß durch die Handlung der Tod eines
unter Berücksichtigung des jeweiligen Kuliurstands Menschen herbeigeführt worden ist und der Täter
und der sonstigen Verhältnisse vorzuarbeiten hat. einensolchen Erfolg hatvoraussehen können (Reichs-
III. Gesetzgehung. Die Todesstrafe wurde gesetz vom 9. Juni 1884). Weiter trifft die Todes-
unter dem Einfluß einzelner Schriftsteller des Auf- l strafe, jedoch wahlweise neben andern Strafen,
klärungszeitolters (s. unten unter Lit.) im 18. Jahrh. den Veranstalter und Anführer eines zum Zweck
vorübergehend beseitigt in Toscana und Oster= des Sklavenraubs unternommenen Streifzugs,
reich. Das 19. Jahrh. brachte weitere Erfolge der wenn durch diesen der Tod einer der Personen,
auf Abschaffung der Todesstrafe gerichteten (sog. gegen welche der Streifzug unternommen war,
abolitionistischen) Bewegung. So wurde die Todes= vrrursacht worden ist (Reichsgesetz vom 28. Juli
strafe beseitigt in Rumänien 1864, in Portugal 1895). Gegenüber Personen unter 18 Jahren ist
1867 (nicht mehr vollzogen seit 1843), in Holland diee Todesstrafe ausgeschlossen. An schwangern
1870, in ganz Italien 1889, in Norwegen 1902 oder geisteskranken Personen darf ein Todesurteil
(nicht mehr vollzogen seit 1875). Auch einzelnen nicht vollstreckt werden (8 485, Abs. 2 St. P.O.).
nordamerikanischen Unionstaaten und einem Teil
der südamerikanischen Republiken ist sie fremd.
In der Schweiz wurde sie 1848 für politische
Delikte, 1874 überhaupt versassungsrechtlich ver-
boten. Allein schon 1879 schränkte man dieses
Bundesverbot wieder auf politische Delikte ein,
worauf zehn Kantone von dem Recht zur Wieder-
einführung der Todesstrase Gebrauch machten.
In Deutschland wurde die Todesstrafe um
die Mitte des 19. Jahrh. von mehreren kleineren
Menschen zur Folge hatte und dies von dem
Täter vorausgesehen werden konnte (§ 86 des
von 1848 ihre Abschaffung proklamiert
auch öffentliche Gewalttätigkeit durch boshafte
Handlungen oder Unterlassungen unter besonders
Staaten, jedoch meist nur vorübergehend, aufge-
hoben, nachdem in den „Grundrechten des deut-
schen Volks“
worden war. Oldenburg, Anhalt und Bremen
hielten bis zur Einführung des deutschen Straf-
gesetzbuchs an der Beseitigung fest, und Sachsen
3) Vollrachter Mord für den Täter, Besteller
schaffte noch 1868 die Todesstrafe ab.
Im Deutschen Reich begegnete die Auf-
nahme der Todesstrafe in das Strafgesetzbuch
starkem Widerstand. In der 2. Beratung des Ent-
In Österreich steht die Todesstrafe auf sol-
gende Verbrechen: 1) Hochverrat, wenn das
Verbrechen gegen die Person des Kaisers oder die
Ausübung seiner Regierungsrechte gerichtet ist,
oder in der Urheberschaft, Anstiftung, Nädels-
führung oder unmittelbaren Mitwirkung zu andern
hochverräterischen Unternehmungen besteht (§ 59,
Lit. a u. b des Strafgesetzes). 2) Offentliche Ge-
walttätigkeit durch boshafte Beschädigung frem-
den Eigentums, wenn dieselbe den Tod eines
Strafgesetzes), sowie unter gleicher Voraussetzung
gefährlichen Verhältnissen (§ 88 des Strafgesetzes).
und unmittelbar Mitwirkenden (§ 136 des Straf-
gesetzes). 4) Räuberischer Totschlag für jene, welche
zur Tötung mitgewirkt haben (§ 141 des Straf-
wurfs eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen gesetzes). 5) Brandlegung, wenn ein Mensch dabei
Bund beschloß der Reichstag am 1. März 1870 getölet wurde und dies von dem Brandleger vor-
die Abschaffung der Todesstrafe mit 118 gegen hergesehen werden konnte, oder wenn der Brand
81 Stimmen. Am 21. Mai erklärte Justizmini= durch besondere, auf Verheerungen gerichtete Zu-
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