Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Hauptstadt (an 180 000). Die Kurden, etwa 1½ 
Mill., wohnen im nördlichen Mesopotamien, in 
Armenien und im östlichen Kleinasien, die Griechen, 
etwa 2 Mill. (nach griechischen Autoren weit mehr), 
sitzen hauptsächlich auf der kleinasiatischen Küste, 
auf den Inseln des Mittelmeers, in den Küsten- 
gegenden von Thrakien und Mazedonien nördlich 
bis Adrianopel und im südlichen Albanien bis 
nördlich von Janina. Die Albanesen oder Ski- 
petaren, an 1¼ (nach andern 2) Mill., wohnen 
im eigentlichen Albanien, an der Küste des Adria- 
tischen Meers und in einem Teil von Nord- 
mazedonien; sie zerfallen in die zwei großen sprach- 
lich voneinander verschiedenen Hauptgruppen der 
Gegen im Norden und der Tosken im Süden, 
diese beiden wieder in zahlreiche kleinere Stämme 
(bei den zum Teil katholischen Gegen sind zu 
nennen die Mirditen, die Malissoren, Klementi, 
Kastrati usw.). Sie haben ihre eigne nationale 
Verwaltung mit der eigentümlichen Clanverfassung 
bis in die Gegenwart zu bewahren gewußt, bis 
die jetzige jungtürkische Regierung rücksichtslos 
gegen ihre nationale Eigenart und Sonderinteressen 
vorging. Die Bulgaren, etwa 1 Mill., wohnen in 
Thrakien, Mazedonien und einem Teil von Ost- 
albanien (in der Umgebung des Sees von Ochrida), 
die Serben, an ½ Mill., im Sandschak Novi- 
pasar, im nördlichen Albanien und Mazedonien. 
Kleinere Völker sind die Mazedo-Rumänen, Kutzo- 
wlachen oder Zinzaren, in Mazedonien und Epirus, 
an 100000 (nach andern ¼ Mill.) Seelen, die 
georgischen Lasen, an 100 000, an der Südost- 
küste des Schwarzen Meers, die Tscherkessen (an 
400 000), einst im Kaukasus, die in verschiedenen 
Teilen des Reichs als Kolonisten angesetzt wurden, 
die Tataren, die ebenfalls als Flüchtlinge Auf- 
nahme fanden, die teils ansässigen teils noma- 
dischen Zigeuner und die Perser (an 50 000) in 
Südostmesopotamien. Über das ganze Reich zer- 
streut sind die Juden, über 600 000, teils von 
jeher im Land ansässig teils Nachkommen der im 
15. Jahrh. aus Spanien und Portugal Ein- 
gewanderten (daher Spaniolen genannt), in der 
neueren Zeit auch Einwanderer aus Osteuropa 
(besonders Rußland und Dobrudscha); sie sind 
meist Städtebewohner (in Palästina auch in Acker- 
baukolonien) und bilden in Saloniki (an 80 000) 
und Jerusalem (an 55.000) die Mehrheit der 
Einwohner, in andern Städten einen ansehnlichen 
Bruchteil (in Konstantinopel an 65000, in Bag- 
dad an 40000, in Smyrna an 35000, in 
Adrianopel an 17000). Unter den europäüschen 
Städten hat nach neuerer Schätzung Konstanti- 
nopel 943.000, mit den asiatischen Vororten 
1 106 000 Einw., Saloniki 144,000. Adrianopel 
123.000, Prisrend 60 000, Monastir 50 000; 
von den asiatischen Städten hat Smyrna 225,000, 
Damaskus 200 000, Beirut 185.000, Aleppo 
135.000, Bagdad 125 000, Konia und Erserum 
je 120 000, Jerusalem 115 000, Trapezunt an 
100 000 Einwohner. 
Türkei. 
  
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Kaum minder bunt ist das Bild der kon- 
fessionellen Zusammensetzung. Staats- 
religion ist der Islam, dem gut die Hälfte der 
gesamten Bevölkerung angehört (an 17 Mill.): 
außer den eigentlichen Türken auch die Araber, 
die Nachkommen der zum Islam übergetretenen 
Bulgaren (Pomaken) und Griechen, die Mehr- 
zahl der Albanesen und die. Bosniaken. Zur 
schiitischen Form des Islams bekennen sich die 
Perser sowie einige Kurden und Araberstämme 
Mesopotamiens. Unter den christlichen Konfessio- 
nen zählt die meisten Anhänger die griechisch- 
orthodoxe (an 3½—4 Mill.), die in zwei Kirchen, 
der griechischen und bulgarischen, organisiert ist, 
dann die katholische Kirche (einschließlich der mit 
Rom unierten orientalischen Riten an 114—1½ 
Mill.), die gregorianisch-armenische Kirche (an 
11¼/ Mill.), die protestantischen Denominationen 
(Anglikaner, Methodisten, Lutheraner usw.). Die 
Juden (s. o.) sind ihrem väterlichen Glauben meist 
treu geblieben; die zum Islam Übergetretenen, 
die in der neuen konstitutionellen Türkei durch ihre 
Geldmacht, Rührigkeit usw. eine bedeutende poli- 
tische Rolle spielen (im Komitee Einheit und Fort- 
schritt; Führer der frühere Finanzminister Dscha- 
vid Bey) werden Dönmes genannt. Ein Teil der 
Zigeuner huldigt noch dem Heidentum. In Sy- 
rien, Mesopotamien und Kurdistan hat sich im 
Mittelalter aus der Vermischung mohammedani- 
scher, sabäischer, christlicher und anderer Gebräuche 
eine Reihe von Sekten gebildet, wie die Nosairer, 
Kisilbaschen, Drusen, Jesiden, Mandäer usw., 
insgesamt wohl über ½ Mill. Seelen. Über die 
Organisation des Islams und der christlichen 
Kirchen siehe unten IV. 
III. Staatswesen. Mit der Wiederherstellung 
der alten Verfassung vom 23. Dez. 1876 durch 
die erfolgreiche Revolution 1908 (s. Abschn. 1) ist 
die Türkei in die Reihe der konstitutionellen Mon- 
archien getreten. Die heutige Verfassung des 
Reichs beruht auf folgenden kaiserlichen Erlassen 
und Gesetzen: dem vom Sultan Abdu'l-Medschid 
am 3. Nov. 1839 erlassenen Hatt-i-scherif von 
Gülhane, in dem allen Untertanen Schutz des 
Lebens, der Ehre und des Vermögens zugesagt 
sowie Offentlichkeit des Strafverfahrens, gerechte 
Verteilung der Steuern usw. in Aussicht gestellt 
wird; dem Hatt-i-humajun vom 18. Febr. 1856, 
der den ersten Halt bestätigt, die alte strenge 
Scheidung zwischen Mohammedanern und Nicht- 
mohammedanern und die damit verbundene Be- 
vorzugung der ersteren beseitigt, die alten Privi- 
legien der in der Türkei anerkannten Religions- 
gesellschaften bekräftigt und freie Religionsübung 
für alle Konfessionen garantiert; der Verfassung 
vom 23. Dez. 1876, die von Sultan Abdu'l- 
Hamid II. dem Volk aufoktroyiert und niemals 
ausdrücklich aufgehoben wurde, aber seit der Auf- 
lösung des ersten Parlaments als stillschweigend 
suspendiert galt; dem Hatt.i-humajun vom 1. Aug. 
1908, der diese Verfassung in ihrem ganzen Um-
	        
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