1065 Währungsfrage
menschliche Wille den durch die Natur der Dinge
herbeigeführten Wertsturz und den damit in Ver-
bindung stehenden Wertschwankungen des Silber-
geldes aufhalten müsse, indem man dem Silber
das Sitzrecht auf dem Währungsthron neu be-
ftätigte und sichere durch Festlegung eines ein für
allemal maßgebenden Wertverhältnisses zwischen
Gold und Silber. Seit 1876 wurde dieser Ge-
danke mehr und mehr Ausgangspunkt einer sehr
bedeutsamen Bewegung, des Bimetallismus. Her-
vorragende Theoretiker wie Schäffle und Adolf
Wagner, gewandte Parlamentarier wie v. Kar-
dorff und Otto Arendt, unterstützten mit einer
zahlreichen Gefolgschaft diese bimetallistische Be-
wegung in Deutschland. Die reichsten theoretischen
Ergebnisse der erregten Debatte findet man ins-
besondere niedergelegt in den Verhandlungen der
internationalen Münzkonferenz, die im Nov. 1892
in Brüssel stattfand und in den Beratungen der
deutschen Silberkommission, die 1894 einberufen
wurde, weil die Entwertung des Silbers zum
Teil infolge weiterer Fortschritte der Goldwährung
einen immer beängstigenderen Grad erreichte.
Das außerordentlich interessante Ringen endete
aber ganz unzweifelhaft mit einer Niederlage der
Bimetallisten. Man sah ein, daß ihre Pläne
weder theoretisch klar durchdacht noch praktisch
durchführbar waren. Theoretisch wurde gegen die
Bimetallisten insbesondere folgendes vorgebracht:
Der Preissturz des Silbers sei nicht eine Folge
der veränderten Währungsverhältnisse, Verbilli-
gung und Steigerung der Silberproduktion seien
mindestens ebensosehr dafür verantwortlich zu
machen. Eine Reglung der Silberproduktion sei
aber so gut wie unmöglich, einmal weil Silber
meist ein Nebenprodukt der Blei= und Kupfer-
gruben sei, dann vor allem, weil die Silber-
produktion teilweise in Ländern ohne starke zu-
verlässige Regierung, die die Kontrolle in die
Hand nehmen könnte, stattfinde. Eine neue Er-
hebung des Silbers zum Währungsmetall würde
die Silberproduktion nur noch steigern. Hinsicht-
lich der scheinbar bedenklichen Begünstigung des
Imports und Erschwerung des Exports in Gold-
währungsländern wurde geltend gemacht, daß es
sich da nur um vorübergehende Vorteile der Silber-
länder handeln könne, die sich nur so lange geltend
machen würde, bis die Inlandepreise in den
Silberwährungsländern sich als Folge des Sin-
kens des Silbergeldes gehoben hätten. Dazu
komme dann aber, daß die Länder mit Silber-
währung ebenso wie die mit Papierwährung des-
halb, weil der Wert ihres Geldes ein sehr schwan-
kender sei, auch auf eine gesunde, sich stetig ent-
wickelnde Volkswirtschaft verzichten müßten. Die
Folge sei unter anderem, daß das vom Ausland
zur Verfügung gestellte Leihkapital sehr hoch ver-
zinst werden müsse, wodurch die Konkurrenz er-
schwert werde.
Ganz und gar nicht bestätigt hat sich auch die
Prophezeiung der Bimetallisten, die Golddecke
und Geldwesen. 1066
werde schließlich für unsere Währung zu knapp
sein. „Von Goldknappheit können jetzt nur noch
Leute sprechen, die naiverweise den Geldmangel
in ihren Taschen mit der Unzulänglichkeit des
Geldvorrats in der Volkswirtschaft verwechseln“
(Lexis). Wie außerordentlich stark die Gold-
produktion in den letzten Jahrzehnten zugenom-
men hat, zeigt die folgende Tabelle:
Die jährliche Goldproduktion der Welt (1876/1910)
nach den Berichten des amerikan. Münzdirektors.
Jahr x6 1000 A Jahr kt 1000
1876 156 015 /435282 1894 272 591 J760 529
1877 171142 1783231855 299060834377
188 179187 40991 1896 307317 8490474
1879 163 667 156 631448297 355212 991 041
1880 160 1592 446 S24 43 66 1204 320
1881 155 020 432 506 461 515 1287727
1882 153 465 428 167|/1900 383 049 10068 707
1383 143543 100 185]1901 392 705. 1095 647
1884 153 000 427037|1902 446 400 1245 707
1885 163169 455242 0 493 1375701
1886 159748 445 697 1904 522 6686 1458294
1887 159157 444 048.100 572 204 1596448
1088 165 813 462 618 1906 60/4 835 19687490
1880 185 812 5184151907 617748 1 723517
1890 178 814 498 891 1508 664 958 1855233
1391 196 574 548 44141 683748 1 908000
18392 220 648 615 6081910 684 757 1 910000
1893 236 978 661 169
1 Vorläufige Ergebnisse.
Sind so die Befürchtungen der Bimetallisten
entweder gänzlich unbegründet oder doch außer-
ordentlich übertrieben, so lassen sich dagegen
manche Bedenken ihrer Gegner nicht aus der Welt
schaffen. Insbesondere fürchten die Gegner des
Bimetallismus, wie mir scheint durchaus mit
Recht, daß durch Einführung der Doppelwährung
die Geldzirkulation belastet werde mit einem im
Wert künstlich gesteigerten Silberkurantgeld, das
mit Rücksicht auf die Gefahr des Zusammen-
bruchs des künstlichen Gerüstes, auf dem es ruhen
soll, als nicht vollwertig in der Volkswirtschaft
angesehen wird. Eine Geldentwertung und damit
plötzlich erhöhte Preise aller Produkte mit all den
daraus sich ergebenden bedenklichen volkswirt-
schaftlichen und sozialen Folgeerscheinungen werde
unausbleiblich sein.
Entscheidend waren dann schließlich aber doch
für die endgültige Niederlage des Bimetallismus
auch in der öffentlichen Meinung einfache prak-
tische Erwägungen. Zunächst besteht vollends
heute nicht die mindeste Aussicht, daß die not-
wendige internationale Vereinbarung zustande-
kommen könnte, ohne die die Durchführung der
Doppelwährung unmöglich wäre. Mindestens
Deutschland, Frankreich und die Vereinigten
Staaten, so schlugen ja auch die Bimetallisten vor,
sollten sich zu einem Währungsbund vereinigen,
der dem Silber volle Währungseigenschaft geben
soll, so daß also Privatprägung ohne Beschrän-
kung nicht nur dem Gold, sondern auch dem
Silber gewährt werden müßte auf Grund eines
gleichen gesetzlichen Wertverhältnisses zwischen ge-
prägtem Silber und Gold in allen beteiligten