Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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unserer Rechnungsweise die Forderung von 12 %%, 
bei Früchten die Forderung der Hälfte als Zins 
erlaubt war, und es begreift sich von selbst, daß 
seine Verordnung auch von der Kirche nicht un- 
berücksichtigt gelassen wurde, zumal es sich um eine 
Frage handelte, in der . guch die Christen in 
ihrem Urteil auseinandergingen. Bei der Stellung, 
welche die römischen Kaiser namentlich in der öst- 
lichen Hälfte des Reichs zu den kirchlichen Dingen 
einnahmen, war die Aufstellung eines allgemeinen 
Zinsverbots der Kirche kaum möglich, wenn nicht 
etwa, wozu aber geringe Aussicht vorhanden war, 
der Staat seine Einwilligung dazu gab“ (Funk 
S. 9). Daß die Konzilien das Zinsnehmen, auch 
wenn sie es nicht formell den Laien verboten, ganz 
allgemein für verabscheuungswürdig hielten, dafür 
fehlt es nicht an Belegen. 
Das frühe Mittelalter verschärfte die Praxis der 
alten Kirche, insofern das Zinsverbot auch auf die 
Laien Ausdehnung fand, im Gegensatz zur grie- 
chischen Kirche, wo mit Rücksicht auf die staatliche 
Gesetzgebung nur die Kleriker davon betroffen 
wurden (Jacobson S. 342). Schon durch zwei 
englische Synoden vom Jahr 787 war das Zins- 
nehmen staatlich und kirchlich ganz allgemein ver- 
boten worden. Ihnen folgte die karolingische Ge- 
setzgebung, nämlich das Capitulare Karls d. Gr. 
vom Jahr 789, und die Synode zu Aachen (789). 
Ganz vereinzelt freilich war das Verbot für Kleriker 
und Laien schon vorher ausgesprochen worden auf 
dem Konzil von Eliberis im Jahr 310 (vgl. Ja- 
cobson S. 342). Man kann fragen, wodurch 
die Verschärfung bzw. die Ausdehnung des Zins- 
verbots auf die Laien bewirkt wurde. Funk 
(S. 19) sagt, man werde dem Kardinal de la 
Luzerne nicht unrecht geben können, wenn er als 
einen der Gründe, die im Mittelalter diesen Um- 
schwung in der Behandlung der Zinsfrage herbei- 
führten, den Mangel einer näheren Kenntnis der 
Bäter oder der Disziplin der alten Kirche bezeichnet. 
Aber mehr als dies sei der Grund in den sozialen 
und ökonomischen Verhältnissen des Mittelalters, 
nämlich in seiner Naturalwirtschaft zu erblicken, in 
der Darlehen vorwiegend aus Not zu konsumtiven 
Zwecken begehrt wurden. Hätte das Zinsverbot 
nicht seinen Boden in den wirtschaftlichen Zustän- 
den gehabt, hätte sich Karl d. Gr. schwerlich dazu. 
entschlossen. 
Aber wie schon in der Bäterzeit das Zinsverbot 
nicht allgemein beobachtet wurde, so fand es auch 
diesmal keine bereitwillige Aufnahme, um so mehr 
als im Lauf der Zeit die Voraussetzungen ins- 
besondere in den Städten hinfällig wurden. „Das 
Zinsverbot hatte so einen fortwährenden Kampf 
zu beftehen, indem es sich selbst zugleich weiter ent- 
wickelte und steigerte“ (ebd.). 
Der leitende Grundgedanke der kirchlichen 
Wuchergesetzgebung war überall, daß der Wucher 
sowohl im Alten wie im Neuen Testament ver- 
boten sei, wie dies Alexander III. auf dem Lateran- 
konzil von 1179 aussprach. Deshalb könne nie- 
Wucher und Zins. 
  
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mand ein Dispens von diesem Verbot erteilt 
werden (Jacobson S. 343). Die weltliche Gesetz- 
gebung stand im ganzen im Einklang mit der 
kirchlichen. Während der Schwabenspiegel das 
Zinsverbot auf „Gott und den Papst und den 
Kaiser und alles geistliche Gericht und Recht“ 
begründet, nahm der Sachsenspiegel ein ausdrück- 
liches Verbot nicht auf. Die meisten norddeutschen 
Stadtrechte lassen die Zins= oder Wucherfrage 
unberührt, während die süddeutschen durchweg das 
kanonische Verbot aufgenommen haben (Lexis, 
Zins 913). 
Auch jetzt jedoch konnte sich keineswegs das 
Zinsverbot allgemeine Geltung verschaffen; die 
Klagen über den Wucher der Kleriker, ja selbst 
der Mönche wurden auf den Konzilien nicht selten 
laut (Funk, Geschichte 21; Glaser, Die franzis- 
kanische Bewegung [1903] 36 f 88). Auch die 
Besten vermochten sich nicht jederzeit von der 
Sündhaftigkeit jedes Zinsbezugs zu überzeugen: 
die selige Jutta z. B. legt ihr Geld auf Zinsen 
an (Glaser S. 47; Funk S. 22); ihr Biograph 
bemerkt: obwohl diese Handlung eine sehr große 
Sünde sei, habe man sie zu jener Zeit doch 
vielfach für keine oder nur geringe Sünde ge- 
halten. Der Klerus, der sich selbst nicht von 
Wucher stets rein erhielt, leistete auch dadurch 
dem Wucher vielfach Vorschub, daß er so viele 
Darlehen aufnahm. Nach Matthäus Paris gab 
es in England um das Jahr 1235 kaum einen 
Prälaten, der nicht in die Netze der Wucherer ver- 
strict war (Historia maior anni 1235; Funk 
S. 25; Sombart, Der moderne Kapitalismus I 
(19021 256). 
Welcher Art der Kampf war, den die Kirche 
gegen das schier unausrottbare Zinsnehmen führte, 
zeigt sich darin, daß mehrere Synoden die 
Wucherer den Wahrsagern, Meineidigen, Brand- 
stiftern, Räubern, Fälschern, Blutschändern, 
Konkubinariern, Ehebrechern und Räubern gleich- 
stellten und ihnen das kirchliche Begräbnis ver- 
weigerten, falls nicht der ganze Wuchergewinn 
restituiert worden war (Funk S. 22 f). Allmäh- 
lich wurde das Wucherverbot auch auf solche 
Verträge ausgedehnt, durch welche das Zins- 
nehmen unter anderer Form üblich geworden war, 
wie den Kauf auf Kredit mit Preiserhöhung, 
Pfandnutzung usw. 
Die kirchliche Strafgesetzgebung, die dem Wu- 
cherer die Sakramente und das christliche Be- 
gräbnis verweigerte, erstreckte sich nur auf die 
Mitglieder der Kirche. Auch die staatliche Gesetz- 
gebung, soweit sie das Zinsnehmen verbot, ver- 
pflichtete zunächst nur die Untertanen der christ- 
lichen Fürsten, während die Fremden (Juden, 
Lombarden) vielfach eine Ausnahmestellung be- 
saßen. Zu einer solchen mochte das starke Geld- 
bedürfnis, dem im Mittelalter geistliche und 
weltliche Fürsten vielfach unterlagen, vor allem 
Veranlassung gegeben haben. Zwar hatte das 
Konzil von Tours (1163), das einschneidende
	        
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