Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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geliehene Geldsumme zurückerhält. Erfordert ist, 
daß die Gefahr eine wahre und außergewöhnliche 
sei. Es genügt nicht jene allgemeine Gefahr, der 
alle äußern Güter unterliegen, sondern sie muß 
gerade in der Überlassung der Darlehenssumme 
an den Schuldner begründet sein. Nicht einmal 
die dem Darlehen als solchem eigentümliche Gefahr, 
mröglicherweise beim Schuldner zugrunde zu gehen, 
genügt. Die Gesahr muß eine außerordentliche 
und wahrscheinliche sein. Nur dann verliert tat- 
sächlich die Summe an Wert, so daß der Gläubiger 
Anspruch auf Vergütung hat. Dieser Titel kam 
zu besonderer Bedeutung im mittelalterlichen Han- 
del, der mit außerordentlichem Risiko verknüpft 
war. Insbesondere war das beim Seehandel der 
Fall. Das foenus nauticum wurde darum stets 
als berechtigt anerkannt. 
Die Verzugszinsen endlich (titulus morae) 
sollten nach Alexander von Hales und Raimund 
von Pennaforte dem Gläubiger einen Ersatz ge- 
währen, wenn ihm durch verspätete Rückgabe des 
Kapitals ein Schaden erwachse. Bald wurde dieser 
Titel auch als zulässig erkannt, wenn der Schuldner 
aus eigner Schuld die Zahlung versäumte und 
für diesen Fall durch richterliche Entscheidung oder 
durch vorherige Vereinbarung der Parteien eine 
Strafe festgesetzt war, ohne daß dem Gläubiger 
ein Schaden erwachsen wäre (poena conven- 
tionalis). Wo keine Schuld, sei es Betrug oder 
grobe Fahrlässigkeit, vorlag, durfte eine Konven- 
tionalstrafe nicht erhoben werden. Sie „bildet 
einen Fall des restitutionspflichtigen „Wuchers an 
den Bedingungen“ sobald sie nicht nur als Ver- 
tragsbestärkungsmittel, sondern in gewinnlicher 
Absicht gefordert wird. Eine solche Absicht ist 
zu präsumieren, wenn der Gläubiger die Fristen 
planmäßig so gestellt hat, daß der Schuldner sie 
nicht einhalten kann, daher ohne eignes Verschul- 
den in die Strafe fallen muß“ (Pesch, Zinsgrund 
410). 
Die genannten Titel genügten jedoch keines- 
wegs, um eine Fruktifizierung des Gelds zu er- 
möglichen. Auch in den gebundenen Erwerbs- 
verhältnissen des Mittelalters mochte es Fälle 
geben. in denen das Geld fruchtbringende Ver- 
wendung finden konnte. Das war um so mehr 
der Fall, als die ersten Anfänge kapitalistischer 
Wirtschaft sich regten. Freilich war nur der Han- 
del auf Kredit angewiesen. Im Handwerk waren 
Kapital und Arbeit noch vereinigt, die Zunftkassen 
befriedigten den augenblicklichen Geldbedarf eines 
Meisters. Kredit war um so weniger notwendig, 
als jedes Handwerk vollständige Gebrauchswerte 
verfertigte und die Arbeitsteilung, die nur Tausch- 
werte produziert, deswegen mehr auf Kredit an- 
gewiesen ist, noch unbekannt war. Ganz anders 
war es im Handel, der besonders seit den Kreuz- 
zügen sehr lebhaft geworden war. Da das Zins- 
verbot die fruchtbringende Geldanlage ausschloß, 
suchte man dasselbe auf mancherlei Weise zu um- 
gehen. Es mußten neue Rechtsformen gefunden 
Wucher und Zins. 
  
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werden, in denen sich die Kapitalvermittlung voll- 
zog. Unter diesen Ausnahmen vom Zinsverbot 
nimmt der Rentenkauf die bedeutsamste Stelle 
ein. Der Vorläufer desselben war der Zinskauf 
oder die Satzung, die darin bestand, daß bei der 
Aufnahme einer Geldsumme der Schuldner dem 
Gläubiger Besitz und Nutznießung eines Grund- 
stücks überließ. Späterhin verblieb dem Schuldner 
Besitz und Nutznießung seines Eigentums, dem 
Gläubiger aber wurde ein dingliches Recht an dem 
Grundstück eingeräumt. Diese neuere Satzung ist 
im wesentlichen dasselbe wie der Rentenkauf (Funk, 
Wucher und Zins 65 f). Unter diesem ist jenes 
Rechtsgeschäft zu verstehen, in welchem der Gläu- 
biger gegen Hingabe einer Geldsumme sich das 
Recht erwirbt, aus einer dem Schuldner gehörigen 
Sache eine Rente zu beziehen. Der Kapitalist 
wurde Käufer, der Schuldner Verkäufer der Rente. 
Das hingegebene Kapital wurde auf ein bestimmtes 
Gud des letzteren radiziert, aus dessen Erträgnissen 
die Rente bestritten wurde. Trotzdem der Kauf 
einer lebenslänglichen Rente an Heinrich von Gent 
(gest. 1293) einen bedeutenden Gegner fand, hatte 
er im 13. Jahrh. schon weite Verbreitung ge- 
funden. „Nicht bloß Laien, sondern auch Geist- 
liche, nicht bloß bürgerliche Gemeinwesen, sondern 
auch Kirchen und Klöster machten von ihm häufigen 
Gebrauch“ (Funk, Geschichte 43). Seitens der 
Kirche wurde er durch die Päpste Martin V., 
Kalixt III. und Pius V. für sittlich erlaubt er- 
klärt. Nur die Personalrente erfuhr durch letzteren 
ausdrückliche Verwerfung. Diese haftet an der 
Person, die sie entweder aus dem Erträgnis ihrer 
Arbeit oder aus sonstigen Gütern entrichtet. Das 
Verbot begreift sich, wenn man beachtet, daß zur 
Zeit der Zunftverfassung die Arbeit, d. h. die 
Anteilnahme an der Produktivität derselben kein 
persönliches, sondern ein dingliches Recht war 
(Funk, Wucher und Zins 68 f), so daß die Per- 
sonalrente, wo die Realunterlage fehlte, als Aus- 
wucherung der Arbeit erschien. Zugleich wird sich 
der Rentenverkäufer meist nur unter dem Antrieb 
der Not zur Übernahme einer solchen Leistung 
verstehen, wie er auch von der aufgenommenen 
Geldsumme bloß einen konsumtiven Gebrauch 
machen kann, da die Voraussetzung der Personal- 
rente ist, daß der Verkäufer weder Grund und 
Boden noch ein Gewerberecht zu produktiver Be- 
tätigung seiner Arbeitskraft besitzt, während der- 
jenige, der imstande ist, eine Realrente zu leisten, 
nicht so von Hilfsmitteln entblößt war, daß er 
unbedingt ein unentgeltliches Darlehen bean- 
spruchen konnte (Funk, Geschichte 45). „Insofern 
ist mit der Verwerfung der Personalrente nicht, 
wie man geglaubt hat, dem Verkehr eine un- 
genügende Schranke gezogen, sondern nur eine 
dem ganzen Wirtschaftssystem konforme sittliche 
Bestimmung ausgesprochen“ (Funk, Wucher und 
Zins 70). 
Ursprünglich galt nur die strengere Form des 
Rentenkaufs, die unkündbare oder ewige Rente,
	        
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