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geliehene Geldsumme zurückerhält. Erfordert ist,
daß die Gefahr eine wahre und außergewöhnliche
sei. Es genügt nicht jene allgemeine Gefahr, der
alle äußern Güter unterliegen, sondern sie muß
gerade in der Überlassung der Darlehenssumme
an den Schuldner begründet sein. Nicht einmal
die dem Darlehen als solchem eigentümliche Gefahr,
mröglicherweise beim Schuldner zugrunde zu gehen,
genügt. Die Gesahr muß eine außerordentliche
und wahrscheinliche sein. Nur dann verliert tat-
sächlich die Summe an Wert, so daß der Gläubiger
Anspruch auf Vergütung hat. Dieser Titel kam
zu besonderer Bedeutung im mittelalterlichen Han-
del, der mit außerordentlichem Risiko verknüpft
war. Insbesondere war das beim Seehandel der
Fall. Das foenus nauticum wurde darum stets
als berechtigt anerkannt.
Die Verzugszinsen endlich (titulus morae)
sollten nach Alexander von Hales und Raimund
von Pennaforte dem Gläubiger einen Ersatz ge-
währen, wenn ihm durch verspätete Rückgabe des
Kapitals ein Schaden erwachse. Bald wurde dieser
Titel auch als zulässig erkannt, wenn der Schuldner
aus eigner Schuld die Zahlung versäumte und
für diesen Fall durch richterliche Entscheidung oder
durch vorherige Vereinbarung der Parteien eine
Strafe festgesetzt war, ohne daß dem Gläubiger
ein Schaden erwachsen wäre (poena conven-
tionalis). Wo keine Schuld, sei es Betrug oder
grobe Fahrlässigkeit, vorlag, durfte eine Konven-
tionalstrafe nicht erhoben werden. Sie „bildet
einen Fall des restitutionspflichtigen „Wuchers an
den Bedingungen“ sobald sie nicht nur als Ver-
tragsbestärkungsmittel, sondern in gewinnlicher
Absicht gefordert wird. Eine solche Absicht ist
zu präsumieren, wenn der Gläubiger die Fristen
planmäßig so gestellt hat, daß der Schuldner sie
nicht einhalten kann, daher ohne eignes Verschul-
den in die Strafe fallen muß“ (Pesch, Zinsgrund
410).
Die genannten Titel genügten jedoch keines-
wegs, um eine Fruktifizierung des Gelds zu er-
möglichen. Auch in den gebundenen Erwerbs-
verhältnissen des Mittelalters mochte es Fälle
geben. in denen das Geld fruchtbringende Ver-
wendung finden konnte. Das war um so mehr
der Fall, als die ersten Anfänge kapitalistischer
Wirtschaft sich regten. Freilich war nur der Han-
del auf Kredit angewiesen. Im Handwerk waren
Kapital und Arbeit noch vereinigt, die Zunftkassen
befriedigten den augenblicklichen Geldbedarf eines
Meisters. Kredit war um so weniger notwendig,
als jedes Handwerk vollständige Gebrauchswerte
verfertigte und die Arbeitsteilung, die nur Tausch-
werte produziert, deswegen mehr auf Kredit an-
gewiesen ist, noch unbekannt war. Ganz anders
war es im Handel, der besonders seit den Kreuz-
zügen sehr lebhaft geworden war. Da das Zins-
verbot die fruchtbringende Geldanlage ausschloß,
suchte man dasselbe auf mancherlei Weise zu um-
gehen. Es mußten neue Rechtsformen gefunden
Wucher und Zins.
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werden, in denen sich die Kapitalvermittlung voll-
zog. Unter diesen Ausnahmen vom Zinsverbot
nimmt der Rentenkauf die bedeutsamste Stelle
ein. Der Vorläufer desselben war der Zinskauf
oder die Satzung, die darin bestand, daß bei der
Aufnahme einer Geldsumme der Schuldner dem
Gläubiger Besitz und Nutznießung eines Grund-
stücks überließ. Späterhin verblieb dem Schuldner
Besitz und Nutznießung seines Eigentums, dem
Gläubiger aber wurde ein dingliches Recht an dem
Grundstück eingeräumt. Diese neuere Satzung ist
im wesentlichen dasselbe wie der Rentenkauf (Funk,
Wucher und Zins 65 f). Unter diesem ist jenes
Rechtsgeschäft zu verstehen, in welchem der Gläu-
biger gegen Hingabe einer Geldsumme sich das
Recht erwirbt, aus einer dem Schuldner gehörigen
Sache eine Rente zu beziehen. Der Kapitalist
wurde Käufer, der Schuldner Verkäufer der Rente.
Das hingegebene Kapital wurde auf ein bestimmtes
Gud des letzteren radiziert, aus dessen Erträgnissen
die Rente bestritten wurde. Trotzdem der Kauf
einer lebenslänglichen Rente an Heinrich von Gent
(gest. 1293) einen bedeutenden Gegner fand, hatte
er im 13. Jahrh. schon weite Verbreitung ge-
funden. „Nicht bloß Laien, sondern auch Geist-
liche, nicht bloß bürgerliche Gemeinwesen, sondern
auch Kirchen und Klöster machten von ihm häufigen
Gebrauch“ (Funk, Geschichte 43). Seitens der
Kirche wurde er durch die Päpste Martin V.,
Kalixt III. und Pius V. für sittlich erlaubt er-
klärt. Nur die Personalrente erfuhr durch letzteren
ausdrückliche Verwerfung. Diese haftet an der
Person, die sie entweder aus dem Erträgnis ihrer
Arbeit oder aus sonstigen Gütern entrichtet. Das
Verbot begreift sich, wenn man beachtet, daß zur
Zeit der Zunftverfassung die Arbeit, d. h. die
Anteilnahme an der Produktivität derselben kein
persönliches, sondern ein dingliches Recht war
(Funk, Wucher und Zins 68 f), so daß die Per-
sonalrente, wo die Realunterlage fehlte, als Aus-
wucherung der Arbeit erschien. Zugleich wird sich
der Rentenverkäufer meist nur unter dem Antrieb
der Not zur Übernahme einer solchen Leistung
verstehen, wie er auch von der aufgenommenen
Geldsumme bloß einen konsumtiven Gebrauch
machen kann, da die Voraussetzung der Personal-
rente ist, daß der Verkäufer weder Grund und
Boden noch ein Gewerberecht zu produktiver Be-
tätigung seiner Arbeitskraft besitzt, während der-
jenige, der imstande ist, eine Realrente zu leisten,
nicht so von Hilfsmitteln entblößt war, daß er
unbedingt ein unentgeltliches Darlehen bean-
spruchen konnte (Funk, Geschichte 45). „Insofern
ist mit der Verwerfung der Personalrente nicht,
wie man geglaubt hat, dem Verkehr eine un-
genügende Schranke gezogen, sondern nur eine
dem ganzen Wirtschaftssystem konforme sittliche
Bestimmung ausgesprochen“ (Funk, Wucher und
Zins 70).
Ursprünglich galt nur die strengere Form des
Rentenkaufs, die unkündbare oder ewige Rente,